Der intelligente Teil der intelligenten Fabrik
Engineering und Produktion für den Steuerungs- und Schaltanlagenbau 4.0: Wie immer man die Vision einer Industrie 4.0 zu interpretieren und umzusetzen versucht, klar ist die führende Rolle der Informations- und Datentechnik. Auf der Anlagen- bzw. Maschinenebene muss die Automatisierungs- und Steuerungstechnik die Voraussetzungen für die Fabrik der Zukunft schaffen. Mit einer durchgängigen Systemplattform ermöglicht Rittal die bedarfsgerecht automationsunterstützte Herstellung der meist hoch-individualisierten Steuerungs- und Schaltanlagen von ersten Planungsschritten bis zur Inbetriebsetzung. Der intelligenteste Teil der intelligenten Fabrik entsteht so mit deren Methoden. Autor: Ing. Peter Kemptner / x-technik
Uwe Scharf
Leiter Produktmanagement Rittal GmbH & Co KG
„Rittal und seine Partnerunternehmen ermöglichen ihren Kunden bereits heute, die Vision von Industrie 4.0 im eigenen Betrieb schrittweise wahr werden zu lassen, zumindest im Schaltanlagenbau.“
Im Schaltanlagenbau geht es meist nicht darum, große Mengen eines immer gleich aufgebauten und ausgestatteten Schaltschranks zu produzieren. Ganz im Gegenteil, in der Regel gleicht kein Schaltschrank dem anderen. „Deshalb hat sich der Schaltanlagenbau lange Zeit der Automatisierung widersetzt“, weiß DI Uwe Scharf, Leiter Produktmanagement bei Rittal. „Mit rascher Reaktion auf Kundenanforderungen und einer hochgradig individualisierten Produktion mit Losgröße eins sind die Anforderungen genau diejenigen, die ‚Industrie 4.0‘ zu lösen verspricht.“
Automatisierung trotz Unikat-Produktion?
Da unter diesem Begriff nicht alle dasselbe verstehen, präzisiert Uwe Scharf sein Verständnis dessen, was eine intelligente Produktion in der beginnenden vierten industriellen Revolution ausmacht. „Auf Basis durchgängig genutzter Planungsdaten lassen sich bisher ausschließlich in Handarbeit durchgeführte Arbeitsschritte automatisieren, und das auch bei kleinen und kleinsten Losgrößen“, sagt er. „Der Einsatz von Maschinen entlang des Entstehungsprozesses bietet sich vor allem dort an, wo dieser wiederkehrende und stupide Tätigkeiten überflüssig macht oder besser geeignet ist, eine gleichbleibend hohe Qualität zu gewährleisten.“
Steuerungs- und Schaltanlagenbau 4.0
Um zu verdeutlichen, dass die praktischen Umsetzungsmöglichkeiten dieser Vision näher liegen als man gemeinhin glauben könnte, zeigte Rittal auf der SPS IPC Drives 2015 den praktischen Ansatz zur vertikalen Integration der Wertschöpfungskette im Schaltanlagenbau von der Planung zur Produktion und umgekehrt. Unter dem Titel ‚Steuerungs- und Schaltanlagenbau 4.0‘ hatte das zentrale Unternehmen der Friedhelm Loh Group eine Schau-Werkstatt aufgebaut, in der Schaltanlagen sämtliche Phasen ihres Entstehens durchliefen. Von der Planung über die vielen verschiedenen Schritte, die bis zur Herstellung elektrotechnischer Anlagen erforderlich sind, bis zu den abschließenden Test- und Dokumentationsaufgaben.
Messebesucher konnten in dieser Schauwerkstatt über den gesamten Herstellungsprozess hinweg die gezeigten Methoden und Detaillösungen zur Steigerung der Produktivität im Schaltanlagenbau studieren. Eine zentrale Rolle spielten dabei die Maschinen des neu gegründeten Geschäftsbereichs ‚Rittal Automation Systems‘. Dabei handelt es sich um spezialisierte Bearbeitungszentren und Tools für verschiedene Teilaufgaben innerhalb des Schaltanlagenbaus, von der Blechbearbeitung über die Kabelkonfektionierung und die Bestückung ganzer Klemmenblöcke auf Hutschienen bis zur Montage und Verdrahtung. „Rittal hat das Maschinenprogramm des Konzernunternehmens Kiesling übernommen und ist dabei, es laufend zu erweitern“, erläutert Uwe Scharf.
Maschinen- und Schaltanlagenbau nicht trennbar
„Der Weg zu einer hoch individualisierten und zugleich weitgehend automatisierten Produktion – Ziel und Inhalt von Industrie 4.0 – beginnt jedoch bereits weit vor dem Einsatz solcher Maschinen und macht die Beseitigung einiger Hürden erforderlich“, weiß Uwe Scharf. „Elektro- und Fluidtechnik sowie der Schaltanlagenbau sind kein Selbstzweck, sondern ein untrennbarer Teil des Maschinen- und Anlagenbaus. Da die Disziplinen Materialwirtschaft, Mechanik und Elektrotechnik jedoch traditionell voneinander streng getrennt betrieben wurden, haben sich unterschiedliche Datenuniversen herausgebildet. Deren Grenzen müssen zunächst überwunden werden.“
Die ersten Schritte des Weges zu einem intelligenteren Steuerungs- und Schaltanlagenbau müssen in den frühen Phasen der Planung unternommen werden. Hier ist heute noch sehr häufig der Austausch von Listen als einziges Mittel der disziplinübergreifenden Datennutzung anzutreffen. Geschuldet ist das einer unglaublichen Vielfalt von Datenformaten – allein für 3D-Modelle sind es mehr als 80 – und der schieren Unmöglichkeit, zwischen all diesen gut funktionierende Schnittstellen zu schaffen und über alle Softwareversionen der beteiligten Systeme hinweg zu warten.
Virtueller Prototypenbau als Chance
In der Elektroplanung hat die gemeinsame Marktmacht der Konzernschwestern Rittal und Eplan für eine gewisse Vereinheitlichung bereits gesorgt. Die Hersteller von Teilen, Baugruppen und Geräten mit sowohl mechanischen als auch elektrotechnischen Eigenschaften bieten deren Daten immer häufiger über das EPLAN Data Portal an, diese können direkt aus der Eplan Plattform heraus aufgerufen werden. Die kaufmännischen Daten werden von Rittal zur freien Entnahme im Internet angeboten, und das in vereinheitlichten Datenformaten, die von praktisch allen Warenwirtschafts-, Konstruktions- und Planungssystemen verstanden werden.
„Das und die Möglichkeiten der Eplan-Softwareplattform zur bidirektionalen Zusammenarbeit mit den Entwicklungssystemen der anderen Disziplinen sowie mit kaufmännischen Softwaresystemen eröffnet eine Chance für die Harmonisierung der Entwicklungsaktivitäten mittels standardisierter Daten“, sagt Uwe Scharf. „Ingenieure aus den unterschiedlichen Teilbereichen der Entwicklung können dadurch Projekte gemeinsam bearbeiten, ohne ihre gewohnte Softwareumgebung zu verlassen. So können sie abwechselnd einen gemeinsamen virtuellen Prototyp immer weiter komplettieren.“
Erleichterte Variantenerstellung
Sie sind dadurch in der Lage, Varianten ein und derselben Maschine oder Anlage konstruktiv vorzusehen, im Fall einer Schaltanlage etwa die Ausrüstung nach unterschiedlichen Normen und Vorschriften. Sie bewältigen diese Variantenkonstruktion mit sehr geringem Zeitaufwand, vor allem aber mit einer deutlich reduzierten Gefahr von Fehlern, da sie Eplan Pro Panel als intelligente Konstruktions-Software auf Basis der Daten aller eingesetzten Komponenten auf drohende Kollisionen oder Ausschließungen hinweisen kann.
Mit Sorgfalt zur Produktivitätssteigerung
Der virtuelle Prototyp ist die digitale Beschreibung des zu schaffenden Endproduktes, z. B. einer Maschine oder deren Steuerungs- und Schaltanlage. Wie ein klassischer Plansatz besteht er aus verschiedenen, oft von Produkt zu Produkt unterschiedlichen Detailplänen aus den unterschiedlichen Disziplinen. Diese sind jedoch datentechnisch miteinander verknüpft, sodass Änderungen in einem davon in all den anderen erkennbar werden, auf die sie Auswirkungen haben.
„Diese digitale Produktbeschreibung ist die Grundlage, auf der eine weitgehend automatisierte Produktion erfolgen kann, denn sie trägt alle Informationen in sich, die für die Blechbearbeitung und für die Bestückung benötigt werden, ebenso für die Kabelkonfektionierung und -verlegung sowie sämtliche Beschriftungen“, fasst Uwe Scharf den Nutzen dieser Vorgehensweise zusammen. „Dadurch amortisiert sich der Aufwand, den man natürlich zunächst in die Qualität und Vollständigkeit der Planung stecken muss, mehrfach in Form einer Produktivitätssteigerung über den gesamten Produktlebenszyklus bis zur Inbetriebnahme und darüber hinaus.“
Alle Lücken füllen
Eine wesentliche Voraussetzung für adaptive Produktionsprozesse mit einem hohen Automatisierungsgrad ist eine hohe Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit von Maschinen und Anlagen. Das macht bereits in der Entwicklungsphase eine planerische Berücksichtigung von Einflussgrößen aus, die bei weitgehend manueller Herstellung nur empirisch ermittelt wurden, und das oft sehr spät in der Entstehungskette. Bei Schaltanlagen ist das z. B. die thermische Komponente.
„Unseren Untersuchungen zufolge sind ca. 80 % aller Schaltschränke thermisch nicht korrekt ausgelegt“, bestätigt Uwe Scharf einen Missstand, dem Rittal gemeinsam mit Eplan und Phoenix Contact mit der ‚Thermal Design Integration‘ den Kampf erklärt hat. „Schon durch ihre Möglichkeiten zur Verbesserung der Energieeffizienz wird die Optimierung der Schaltschrankklimatisierung mittels digitalem Prototyping in Eplan Pro Panel den Schaltanlagenbau ein ganzes Stück weiter nach vorne bringen.“
Mit Modularisierung zur Automatisierung
Obwohl im Schaltanlagenbau die Einzelanfertigung die Regel ist, lässt sich in der Planung vieles standardisieren und ein modularer Baukasten gestalten, aus dem sich die benötigten Varianten durch reines Konfigurieren bedarfsgerecht zusammensetzen lassen. „Im Maschinenbau ist das bereits heute gängige Praxis, denn Sondermaschinenbauer, die tatsächlich jedes Stück vom leeren Blatt weg neu konstruieren, wären kostenmäßig nicht konkurrenzfähig“, ist Uwe Scharf überzeugt. „Ebenso lassen sich auf Basis der Daten aus dem virtuellen Prototypen viele der überwiegend manuell ausgeführten Produktionsschritte automatisieren, denn auch diese haben von einer Variante zur nächsten zahlreiche funktionale Ähnlichkeiten.“
Eine Vollausstattung aus dem Hause Rittal könnte das Bohren und Ausstanzen bzw. Laser-Schneiden der Blechteile ebenso umfassen wie das Bearbeiten von Hutschienen, Kabelführungen anderer mechanischer Komponenten, das Bestücken der Komponenten auf die Schienen und der so entstehenden Module auf der Montageplatte sowie die Herstellung beinahe beliebig komplexer Kabelkonfektionen und schließlich die Verdrahtung, die heute immerhin durchschnittlich ca. 42 % des Zeitaufwandes ausmacht.
Automatisierung mit Augenmaß
„Natürlich ist der direkte Umstieg auf eine solche Produktions-Vollautomatisierung für viele Produzenten nicht der gangbare Weg“, weiß Uwe Scharf. „Auch in hoch entwickelten Produktionsszenarien wird es noch lange ein Miteinander automatisierter und manueller Arbeitsschritte geben.“ Auch für diese hält die Friedhelm Loh Gruppe ein Mittel bereit, das die Anwender einen Schritt näher an die Vorteile von Industrie 4.0 heranbringt. „Wer in der Verdrahtung von der Handarbeit sofort auf den vollautomatischen Bestückungsroboter umsteigt, braucht Siebenmeilenstiefel“, so Uwe Scharf weiter. „Da wir nicht lange warten wollen, um unseren Kunden die Methoden der intelligenten Fabrik nutzbar zu machen, entwickelt Rittal mit Eplan eine web-basierte Smart Wiring Applikation, die Schaltanlagenbauer auf Basis derselben Daten bei jedem Schritt dieser oft langwierigen Handarbeit unterstützt.“
Damit ergänzen Rittal und seine Partnerunternehmen das Produktportfolio, mit denen sie ihren Kunden ermöglichen, die Vision von Industrie 4.0 im eigenen Betrieb schrittweise wahr werden zu lassen, zumindest im Schaltanlagenbau. Und weil sich das leichter sagt als glaubt, hat Rittal im Februar 2015 in Wien ein ‚Kompetenzzentrum für den Schaltanlagen- und Steuerungsbau‘ eröffnet, in dem Besucher diese Möglichkeiten erleben und nachvollziehen können.
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