interview
SCHUNK EGL: Intelligente Greifer wissen „einiges“
Stichprobenartige Qualitätsprüfungen am Ende des Produktionsprozesses – das war einmal. Der Trend geht zunehmend in Richtung Inline-Kontrolle. Statt abseits unter Laborbedingungen wird direkt vor Ort in der Fertigungslinie erfasst, vermessen und für „in Ordnung“ bzw. „nicht in Ordnung“ befunden. Professor Dr.-Ing. Markus Glück, Geschäftsführer Forschung und Entwicklung (CINO) der Schunk GmbH & Co. KG Spanntechnik und Greifsysteme in Lauffen am Neckar, verrät, inwieweit intelligent vernetzte Greifer die tatsächliche Beschaffenheit von Werkstücken „checken“ können. Das Gespräch führte Sandra Winter, x-technik
Sensorsignale vermehrt lokal am Greifer und am Werkstück auszuwerten – dahin gehe die Reise, wie Prof. Dr.-Ing. Markus Glück, Geschäftsführer Forschung und Entwicklung/Chief Innovation Officer (CINO) bei der Schunk GmbH & Co. KG, verrät.
Professor Dr.-Ing. Markus Glück
Geschäftsführer Forschung und Entwicklung (CINO) der Schunk GmbH & Co. KG
„Wenn wir beim Greifen gleichzeitig eine Prüfung vornehmen, machen wir im Prinzip genau das, was auch der Mitarbeiter an der Maschine tut: Er nimmt ein Werkstück in die Hand, macht eine Sichtprüfung und drückt gegebenenfalls kurz die Finger zusammen, um ein Gefühl dafür zu bekommen – passt oder passt nicht.“
Herr Professor Glück, welche Mess- und Prüfaufgaben könnten „smarte“ Greifer in einer entsprechend vernetzten Produktionsumgebung übernehmen?
Mit unseren Greifern befinden wir uns seit jeher „closest to the part“. Diese Ausgangsposition lässt sich hervorragend nutzen, um Mehrwerte zu generieren. Smarte Greifer ermöglichen u. a. eine Closed-Loop Qualitätskontrolle. Denn, wann immer ein Greifwerkzeug schließt, kann es mit entsprechender Sensorik bestückt z. B. die genaue Position eines Werkstücks aufnehmen und somit dessen Größe vermessen. Würde ein falsches Werkstück vorliegen – ein kleineres oder größeres als normalüblich, ließe sich das sofort erkennen und an die Anlagensteuerung weitermelden.
Gelebte Echtzeit-Prozessregelung: Mit dem SCHUNK EGL mit Profinet-Schnittstelle können Bauteile prozessintegriert vermessen und identifiziert werden.
Sie spielen auf die besonderen Fähigkeiten des intelligenten Greifers SCHUNK EGL mit integrierter Profinet-Schnittstelle an?
Ja. Dieser in der höchsten Kategorie C zertifizierte Profinet-Universalgreifer schafft optimale Voraussetzungen für eine Echtzeit-Prozessregelung. Mit seiner Hilfe können Bauteile prozessintegriert vermessen und identifiziert werden. Etwaige Beschädigungen oder Anomalien werden bereits auf Ebene des Greifers erkannt und fließen sofort in eine Gut/Schlecht-Entscheidung ein.
Greifer helfen Prozesse zu optimieren: SCHUNK Co-act Greifer werden zukünftig in der Lage sein, alle relevanten Prozess- und Umgebungsdaten an die Steuerungs- und Produktionssysteme zu übermitteln.
Wie sehen die weiteren Pläne von Schunk bei seinen smarten Greifern aus?
Unser Ziel ist es, möglichst viel Intelligenz in die Handhabung zu bringen. Beim Menschen sitzt die Rechenleistung im Kopf und die Haptik in den Fingern. Dazwischen verlaufen Nervenbahnen mit relativ kurzen Übertragungsraten. Bei einem Roboter funktioniert dieses „natürliche“ Zusammenspiel zwischen Finger, Auge und Steuerung, das bei uns vollautomatisch abläuft, nicht ganz so gut. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Rechenleistung näher an die Finger bringen. Dort können wir sie dann auch für eine Erstverarbeitung gewisser Daten nutzen, Stichwort Edge-Computing, oder für das Trainieren neuronaler Netzwerke einsetzen.
Generell geht die Reise dahin, Sensorsignale vermehrt lokal am Greifer und am Werkstück auszuwerten: Aus Kraft- und Weg-Informationen beispielsweise könnten durchaus auch weitere Informationen abgeleitet werden.
Wie weit wird von den Kunden bei der Suche nach aufschlussreichen Datenquellen bereits an einen Greifer gedacht?
Die Kunden wissen es immer mehr zu schätzen, dass ein Greifer gleichzeitig als Messwerkzeug fungieren kann. Denn wir sind die, die das Werkstück „in die Hand“ nehmen. Man will sogar, dass wir es in die Hand nehmen!
Und wenn wir nun beim Greifen gleichzeitig eine Prüfung vornehmen, machen wir im Prinzip genau das, was auch der Mitarbeiter an der Maschine tut: Er nimmt ein Werkstück in die Hand, macht eine Sichtprüfung und drückt gegebenenfalls kurz die Finger zusammen, um ein Gefühl dafür zu bekommen – passt oder passt nicht, ist unerwartet schwer oder unerwartet leicht etc. Solche Dinge versuchen wir technologisch umzusetzen.
Wieviel bzw. welche Art von Sensorik ist heute schon in einem smarten SCHUNK Greifer mit an Bord und was könnte eventuell noch als Verstärkung hinzukommen in Zukunft?
Derzeit nehmen wir vor allem Kraft- und Weg-Informationen auf, wodurch wir u. a. auf die Größe eines Werkstücks schließen können. Über Kamerasysteme können wir dann weitere Details überprüfen, beispielsweise ob eine Verpackungseinheit vollständig bestückt wurde, ob die Codierungen der Werkstücke passen und einiges andere mehr.
Temperaturen zu erfassen oder richtig einschätzen zu können, ist ein weiterer Punkt, der uns interessiert. Weil diese bei der Entnahme von Werkstücken sehr oft eine bedeutende Rolle spielen. Wenn man die tatsächliche Temperatur eines Werkstücks kennt, kann man sehr frühzeitig greifen und ablegen. Kennt man diese nicht, muss man entsprechende Warte- oder Abkühlzeiten vorsehen.
Außerdem beschäftigen wir uns damit, wie wir aus dem Kraft-Weg-Umfeld zuverlässige Rückschlüsse auf andere Kerngrößen und Eigenschaften des zu transportierenden Werkstücks ziehen könnten. Dann könnte der Greifer beispielsweise in Echtzeit unterscheiden, ob er es mit Glas oder Stahl zu tun hat und entsprechend sensibel agieren. Im Rahmen einer Sensor-Fusion können auch mehrere Sensoren gleichzeitig für aufschlussreiche Analysen der laufenden Prozesse genutzt werden.
Vernetzen vom Shopfloor bis in die Cloud, Inline-Kontrollen, vorausschauendes Diagnostizieren und Warten etc. – sind solche Dinge auch für KMUs interessant?
Auf jeden Fall! In Zeiten eines zunehmend globalen Wettbewerbs muss sich jedes produzierende Unternehmen damit auseinandersetzen, wie sich das Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine bzw. zwischen Maschinen und IT-Systemen bestmöglich koordinieren lässt. Ich glaube sogar, dass es für kleinere Betriebe fast noch wichtiger ist, die Vorzüge der Digitalisierung für sich zu nutzen, als für große Serienfertiger. Denn gerade wer kleinere Losgrößen produziert, sieht sich mit häufigen Werkzeugwechseln, permanent verändernden Arbeitsprozessen und ähnlichen Herausforderungen konfrontiert.
Letzte Frage: Sie haben an anderer Stelle mehrere Trends angeführt, die die smarte Produktion von morgen prägen werden – könnten Sie dazu ein paar Worte sagen?
Gerne. Kleine Stückzahlen und maßgeschneiderte Produkte erfordern ein Maximum an Flexibilität. Deshalb geht man vermehrt dazu über, Produktionsanlagen modular aufzubauen. Weiters werden wie bereits erwähnt dank leistungsstarker Vernetzung zunehmend Inline-Messsysteme in den Fertigungslinien Einzug halten. Ebenfalls bereits angesprochen wurden die Themen Sensor-Fusion – eine gleichzeitige Nutzung mehrerer Datenquellen für noch aussagekräftigere Analysen – und Edge Computing, eine Erstverarbeitung von Daten möglichst nahe beim unmittelbaren Ort des Geschehens.
Weiters sind MRK-Anwendungen, also eine gezielte Aufgabenteilung zwischen Mensch und Roboter, sowie die digitalen Zwillinge als virtuelles Abbild der realen Welt stark im Kommen. Und last but not least zählt natürlich der vermehrte Einsatz künstlicher Intelligenz zu den großen Trendthemen der Digitalisierung. Aber ähnlich wie beim Thema Industrie 4.0 gilt auch in Sachen KI: Wir sprechen in diesem Zusammenhang in Wahrheit eher von einer „natürlichen“ Evolution als von einer echten Revolution. Denn dahinter stecken Logiken und Methoden, die bereits seit vielen Jahren bekannt sind und mit denen demzufolge schon längst gearbeitet wird – auch bei unseren Greifern.
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