interview
Schunk EGL-C: Mit intelligent dosierter Greifkraft voraus
Wie viel bzw. welche Art von Intelligenz braucht es bei MRK-Greifwerkzeugen, um das Traglastpotenzial gängiger Cobots voll ausschöpfen zu können? Schunks Antwort auf diese Frage ließ nicht allzu lange auf sich warten. Mit dem EGL-C Großhubgreifer dringt das Unternehmen in eine bislang unerreichte Gewichtsklasse bei kollaborativen Anwendungen vor. x-technik AUTOMATION erkundigte sich bei Professor Dr.-Ing. Markus Glück, Entwicklungschef bei Schunk, wie dieser Co-Act Gripper den technisch herausfordernden Spagat zwischen ISO/TS 15066-konformer Sicherheit und bis zu 450 N starker Greifkraft meistert. Das Gespräch führte Sandra Winter, x-technik
Prof. Dr.-Ing. Markus Glück, Geschäftsführer Forschung & Entwicklung, Chief Innovation Officer (CINO) bei der Schunk GmbH & Co. KG, Lauffen/Neckar.
Herr Professor Glück, was ist der Unterschied zwischen einem smarten und einem intelligenten Greifer?
„Smarte“ Greifer stellen eigentlich eine Vorstufe von „intelligenten“ Greifern dar: Sie haben bereits einiges an Sensorik integriert, können also Daten aufnehmen und beispielsweise mit einem unterschiedlichen Schließen auf die jeweiligen Sensor-Signale reagieren.
Ein „intelligenter“ Greifer wartet bei der Aufgabenerfüllung darüber hinaus auch noch mit einer Rückkopplungsschleife auf. Das bedeutet, dass er nicht mehr nur Daten aufnimmt, sondern diese auch weiterverarbeitet und analysiert bevor er eine Aktion setzt oder sein Verhalten anforderungsgerecht anpasst. Durch solche intelligenten Rückkopplungsschleifen wird dann ein Adaptieren beim Greifen – u. a. durch einen Einsatz künstlicher Intelligenz – möglich.
Der SCHUNK Co-act EGL-C ist ein Großhubgreifer für MRK-Anwendungen. Er kann kraftschlüssig Werkstücke bis 2,25 kg handhaben, formschlüssig sogar bis 8 kg.
Das bedeutet, dass ein kollaborativer Greifer intelligent sein muss?
Sobald er in einer höheren Liga spielt auf jeden Fall. Beim kollaborativen Greifen geht es ja letztendlich immer darum, mit welchen Funktionen ein zuverlässiger Schutz des Menschen gewährleistet werden kann. Dazu ist nicht bei jeder Applikation zwingend ein wirklich intelligenter Greifer erforderlich. Wir können die per Norm geforderte Sicherheit auch durch ein inhärent sicheres Design herstellen, indem wir mit konstruktionstechnischen Maßnahmen eine Überschreitung bestimmter Leistungs- und Kraftgrenzen unterbinden. Wie dies konkret aussieht, wird bei der für kollaborative Anwendungen zertifizierten Baureihe Co-act EGP-C deutlich: Bei diesen in vier Baugrößen erhältlichen Greifern wurde die am Finger wirkende Greifkraft auf einen gesundheitsunschädlichen Maximalwert von 140 N sicher begrenzt.
Sobald aber die von der Norm vorgegebenen Kraftgrenzen oder die Gewichtsgrenzen des Werkstücks überschritten werden, braucht es den Einsatz intelligenter Systeme für einen sicheren kollaborativen Betrieb. Denn bei zwei bis fünf oder gar acht Kilogramm schweren Teilen sind Haltekräfte von mindestens 450 Newton aufzubringen, um diese unabhängig von ihrer Beschichtung und ihrem Verschmutzungsgrad sicher zu halten.
Und hier kommt dann der Co-act Greifer EGL-C von Schunk ins Spiel?
Ja, mit diesem Großhubgreifer haben wir die Liga des Kleinteilehandlings bei kollaborativen Anwendungen verlassen und eine „menschenfreundliche“ Hebehilfe für höhere Lasten auf den Markt gebracht. Der EGL-C ist ein intelligenter Greifer, der mit bis zu 450 N kraftvoll zupacken kann. Kraftschlüssig kann er Werkstücke mit bis zu 2,25 kg und formschlüssig sogar bis zu 8 kg sicher handhaben. In Montageanwendungen sorgt er als Handhabungsunterstützung für wichtige ergonomische Entlastung der Werker.
Wie funktioniert dieser Großhubgreifer im Detail?
Wir lernen von Kindesbeinen an, wie unterschiedliche Materialien bzw. unterschiedlich schwere Objekte „sicher“ – also ohne, dass sie uns aus der Hand zu fallen drohen – zu greifen sind. Diese Intelligenz, die wir naturgemäß mitbringen, müssen wir bei einem Greifsystem mit ausgeklügelter Sensorik umsetzen. Unser Co-act EGL-C Großhubgreifer wird auf die Geometrie eines Werkstücks trainiert. Er weiß, wie die von ihm zu greifenden Teile aussehen und stimmt seine Herangehensweise darauf ab. Er packt erst dann mit voller Kraft, also mit bis zu 450 N zu, wenn die Distanz zum Werkstück nur noch wenige Millimeter beträgt. Solange bei größeren Distanzen zum Werkstück noch die Möglichkeit besteht, dass Hände oder Finger des mit ihm kooperierenden Menschen eingeklemmt werden könnten, agiert er mit einer harmlosen Greifkraft von 30 N.
Dank einer integrierten Kraft- und Wegmessung registriert der Co-act EGL-C jedwede Abweichung von der eingelernten Geometrie und erkennt auch, wenn kein bzw. ein falsches Werkstück gegriffen wurde oder wenn dieses rauszurutschen droht.
Diese Sicherheitsintelligenz beim Co-act EGL-C wurde laut Presseinformation sogar zum Patent angemeldet – was ist das Besondere daran?
Es wurden mehrere Sicherheitsszenarien in der Sicherheits-Logik hinterlegt. Insgesamt sind es mehr als sechs Sicherheitsfunktionen, die beim Co-act EGL-C für ein sicheres Greifen sorgen: Es werden u. a. Kraft, Weg und Bewegung sicher gemessen. Neben der sicheren Wegmessung und der sicheren Positionsermittlung der Greiffinger gibt es eine sichere Abschaltung (Safe Torque Off – STO), eine sichere Bremskontrolle (Safe Brake Control – SBC), eine sichere Betriebssystemarchitektur (Safe Operation System – SOS) sowie eine sichere Bewegungs- und Geschwindigkeitskontrolle (Safety Limited Speed –SLS).
Außerdem basiert diese Greiflösung auf zwei unabhängig voneinander arbeitenden Rechnern, die sich permanent gegenseitig abfragen und kontrollieren, um ein gefahrloses Nebeneinander von Mensch und Roboter zu ermöglichen. Damit wird auch gewährleistet, dass ein bereits gegriffenes Teil selbst bei einer Not-Aus-Situation und einer damit einhergehenden Vollbremsung einen sicheren Halt erfährt.
Für welche Anwendungen bietet sich der Einsatz eines Co-act EGL-C an?
Aufgrund der biomechanischen Limits – vorgegeben durch die ISO/TS 15066 – konzentrierte sich der Einsatz von Cobots bislang auf das Handling von Kleinteilen. Mit unserem Großhubgreifer EGL-C erschließen wir nun aber eine neue Bauteildimension: Erstmals ist es möglich, formschlüssig gegriffene Werkstücke mit einem Gewicht von bis zu acht Kilogramm sicher zu handhaben. Damit ergeben sich auch bei Werkzeugmaschinen oder in der Montage große Potenziale. Es wurden bereits einige Musterapplikationen umgesetzt – dabei assistierten solche Greifer bei der Getriebemontage, beim Aufsetzen von Gehäusedeckeln und beim Handling von Weißware.
Ich bin mir sicher, dass die Mensch-Roboter-Kollaboration die Arbeitswelt über kurz oder lang radikal verändern wird, weil sie einerseits flexiblere Arbeitsprozesse, Effizienzsteigerungen sowie Prozessoptimierungen unterstützt und andererseits den Menschen ergonomisch entlastet.
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