interview

Lenze x500: Ticket to go

Keine Frage, Maschinenbauer wie -betreiber stehen unter der Pandemie-Prämisse vor der Herausforderung, ihre Produkte zusehends mehr schlecht als recht(zeitig) dem Markt zukommen zu lassen. Lieferengpässe bezüglich Rohmaterialien sind dafür eine der Hauptursachen. Wie man jedoch trotz dieser Umstände bestehende Maschinen und Anlagen zu Höchstleistungen bzw. deren Gesamtanlageneffektivität tunen und deren Ausfälle bzw. Stillstände auf ein Minimum reduzieren kann, zeigen Softwareentwickler mit digitalen Kompetenzen in beeindruckender Weise. So hat der Automatisierungsspezialist Lenze sein Softwareangebot fit für digitale Kommunikation gemacht und erreicht damit für OEMs wie Endkunden gleichermaßen gewinnbringende Effekte, zu denen sich x-technik mit Burkhard Balz, Senior Vice President Automation Systems bei Lenze, unterhalten hat.

Unser neues Service-Tool, das Ticketmanagement, sorgt für einen zusätzlichen Mehrwert bei der Fehlerbehebung in Maschinen und trägt somit massiv dazu bei, Stillstandzeiten zu reduzieren. 

Burkhard Balz, Senior Vice President Automation Systems bei der Lenze SE

Unser neues Service-Tool, das Ticketmanagement, sorgt für einen zusätzlichen Mehrwert bei der Fehlerbehebung in Maschinen und trägt somit massiv dazu bei, Stillstandzeiten zu reduzieren. Burkhard Balz, Senior Vice President Automation Systems bei der Lenze SE

Herr Balz, Lenze konzentriert seine Aufmerksamkeit noch stärker als bisher auf sein Systemlösungsportfolio. Was treibt Lenze hier an?

Dass sich Lenze in den letzten zehn Jahren vom mechatronischen Komponentenanbieter zum Systemanbieter gewandelt hat, ist mittlerweile am Markt hinlänglich bekannt. Das Lösungsportfolio zu dieser Transformation haben wir inzwischen komplettiert und befinden uns seit einigen Jahren in der Umsetzung unserer Automatisierungssysteme am OEM-Markt. Unser Fokus ist dabei, Maschinenbauer bei ihrer Entwicklung und Produktion hochflexibler wie leistungsfähiger Maschinen zu unterstützen – und das über den gesamten Lebenszyklus ihrer Maschine. Dabei hilft uns unser Domänenwissen, welches wir in 75 Jahren aufbauen konnten. Da sich der Trend „time to market“ in der industriellen Produktion zusehends verkürzt, sind auch die OEMs stärker denn je gefordert, ihre Maschinen mittels automatisierender Systeme und Digitalisierung effektiver wie produktiver zu machen.

Welche Ihrer Hard- und Softwareangebote spielen dazu für den zuverlässigen Maschinenüberblick eine tragende Rolle?

Die Hardware – angefangen vom Kabel über Motoren, Getriebe, intelligente Umrichter bis hin zu modernsten Steuerungen unserer C5- und C7-Plattformen – bildet die Basis. Darauf aufbauend unterstützt unser FAST-Applikationsframework mit seiner umfangreichen Bibliothek unsere Kunden sehr rasch, ihre Steuerungssoftware zu entwickeln. Eine moderne Web-Visualisierung ist das Gesicht der Maschine und die erste Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine.

Darüber hinaus sind über unser IoT-Gateway x500 der sichere Remote-Zugriff und weitere Dienste möglich. Im X4-Portal werden Daten gesammelt und bei kritischen Werten Nachrichten versendet. Mit Anwendungen wie Asset- und Ticketmanagement ermöglichen wir es unseren Kunden, den Überblick über die Maschine und deren Zustand zu behalten. Auch Maschinenkennzahlen wie OEE (Overall Equipment Effectiveness) lassen sich in Dashboards im X4-Portal anzeigen und auswerten.

Aber das eigentlich Spannende ist die Durchgängigkeit. Bausteine auf der Steuerung bis hin zu Cloud-Dashboards sind vorbereitet und können ohne aufwendiges Engineering übernommen werden. Dies trifft beispielsweise auf Condition Monitoring zu. Hier reichen vorhandene Daten aus dem Umrichter aus, um eine erste Auswertung auf der Steuerung durchzuführen oder diese einer KI-On-Prämisse oder in der Cloud zur Verfügung zu stellen. Unterstützt wird das Ganze von den Lenze-Engineering-Tools, die ab der ersten Idee, Antriebsauslegung, Steuerungsprogrammierung, Inbetriebnahme und Wartung unterstützen.

Und wir setzen auf Offenheit in unserem System. Unterstützen auch Komponenten und Lösungen von Drittanbietern – Standards wie OPC UA spielen hier eine wichtige Rolle.

Durch vernetzte Maschinen kann im Fehlerfall schnell geholfen werden – die wichtigen Maschinendaten kombiniert mit der richtigen Dokumentation reduzieren im Fehlerfall die Stillstandzeit. Hier profitieren OEM und Maschinenbetreiber gleichermaßen von einem gemeinsamen Portal.

Durch vernetzte Maschinen kann im Fehlerfall schnell geholfen werden – die wichtigen Maschinendaten kombiniert mit der richtigen Dokumentation reduzieren im Fehlerfall die Stillstandzeit. Hier profitieren OEM und Maschinenbetreiber gleichermaßen von einem gemeinsamen Portal.

Generiert über die Lenze Administration Shell ist der Digitale Zwilling einer Maschine bzw. Anlage speziell für Ihr Asset Management-Angebot eine perfekte Basis. Über welches Tool reichern Sie den Digitalen Zwilling dazu an?

Nun, der Easy System Designer (ESD) ist das Tool, mit dem wir den Digitalen Zwilling zum Leben erwecken. Mit ihm können wir die komplette Maschine beschreiben. Die Idee ist, diese erste Struktur als Basis zu nutzen und weiter anzureichern. Dazu bedienen wir uns der Verwaltungsschale und Standards. Ist dieser erste Wurf der Maschine gemacht, wird die Struktur in den PLC-Designer übergeben und dort angezeigt. Anschließend nutzen wir sie, um Live-Daten wie beispielsweise Serialnummern oder Zustände über ein OPC UA-Informationsmodell zur Verfügung zu stellen. Diese erste „Verwaltungsschale“ lässt sich dann in unserem X4-Portal weiterverwenden und zeigt dort z. B. die verbauten Komponenten an. Das Ganze wird dann mit Produktinformationen aus unserem Webservice, dem Produkt-Information-Hub, verbunden.

Ergo: Es ist weniger ein einzelnes Tool als das Zusammenspiel verschiedener Sichten, die auf einer Struktur basieren – nämlich der Verwaltungsschale. Das ist ein spannendes, zukunftsweisendes Konzept.

Mit dem webbasierten Engineering-Tool Easy System Designer (ESD) lässt sich das erste digitale Abbild einer Maschine erstellen.

Mit dem webbasierten Engineering-Tool Easy System Designer (ESD) lässt sich das erste digitale Abbild einer Maschine erstellen.

Mit dem cloudbasierten X4-Portal hat Lenze ja jüngst eine Lösung zum Thema Maintenance und Service kreiert. Wer profitiert davon? Und ist dieses Portal ausschließlich für OEMs konzipiert oder können auch Endkunden davon profitieren?

Von unserem Serviceportal profitieren sowohl Maschinenbauer als auch Maschinenbetreiber. Beide Seiten greifen auf die gleichen Informationen aus unserem Portal zu. Die dort sichtbar gemachten Informationen unterstützen z. B. bei evtl. Fehlerbehebungen oder Inbetriebnahmen. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die Maschine im Netz bzw. in der Cloud „hängt“. Besonders große Chancen bietet das Portal allerdings den KMUs, die mit der eigenen Mannschaft keine eigenen digitalen Services entwickeln und anbieten können.

Der Digitale Zwilling als Herzstück von Industrie 4.0 in der konkreten Umsetzung.

Der Digitale Zwilling als Herzstück von Industrie 4.0 in der konkreten Umsetzung.

Apropos Leistungen – welche im Detail können spezifisch über Ihr White-Label-OEM-Portal generiert werden?

Das White-Label-OEM-Portal ist grundsätzlich mit den Maschinen des OEM verknüpft. Über das X4-Portal wird die Maschinenstruktur inklusive sämtlicher Maschinendaten übernommen, wie z. B. Infos zu allen verbauten Komponenten, zu deren Seriennummern, sämtlichen Dokumentationen über technische Spezifikationen, Safety-Vorkehrungen, einem Fehlerverzeichnis, Handbüchern, technischen Zeichnungen in aktueller Version und viele Daten mehr.

Im Fokus steht zunächst der Servicefall, also die Vermeidung von Stillstandzeiten und die schnelle Fehlerbehebung. Der Schlüssel zum Erfolg ist hier die Möglichkeit, gemeinsam an Tickets zu arbeiten, remote direkt auf die Maschine zugreifen zu können und einen Ort zu haben, an dem alle relevanten Informationen zu finden sind. Aber es geht noch weiter – so lassen sich wesentliche KPIs, wie beispielsweise die OEE, anzeigen und auswerten. Offenheit spielt auch bei dieser Lösung eine wesentliche Rolle. So ermöglichen wir, Drittanbieter anzubinden – denn wer will schon von jedem Hersteller eine eigene Plattform haben?

Dazu hat Lenze doch vor wenigen Monaten auch ein automatisiertes Ticketmanagement vorgestellt …

Richtig! Dieses neue Service-Tool sorgt für einen zusätzlichen Mehrwert bei der Fehlerbehebung in Maschinen. Droht z. B. ein Sensorausfall, so kann die Maschine nun selbst automatisch dazu ein Ticket in der Steuerung erstellen, das den Servicetechniker frühzeitig über den drohenden Ausfall informiert. Dazu erhält dieser über das Ticket detaillierte Informationen zur fehlerhaften Komponente – wie z. B. die Modellart, ihre Variante und Seriennummer sowie ihre Position in der Maschinen-Topologie. Benötigte Ersatzteile können zudem automatisiert über das Portal bestellt werden. Das Ticketmanagement trägt somit massiv dazu bei, Stillstandzeiten zu reduzieren. Und dieses Angebot ist für den OEM wie für einen Maschinenbetreiber gleichermaßen nutzbar.

Ein Beispiel aus der Praxis dazu: Das Sägeblatt einer Maschine wird stumpf – das erkennt das Steuerungssystem über einen erhöhten Strombedarf oder über die Maschinenvibration – dazu löst die Werkzeugmaschine ein Ticket aus und sorgt damit für die Zuführung eines neuen Sägeblatts, das bestenfalls auch gleich über den angebundenen Onlineshop nachbestellt wird.

Mittels einem OEE- und Daten-Tracking können z. B. aber ebenso Einsichten und Rückschlüsse hinsichtlich der Verbesserung von Maschinenperformance und Prozesse bewirkt werden. Aus eigener Erfahrung kann ich an dieser Stelle dazu ein sehr erfolgreiches Applikationserlebnis liefern: Bei einem großen international tätigen Produktionsbetrieb konnte derart die Prozesseffektivität umgehend um 2 % erhöht werden – das ergab eine enorme Einsparung auf der Kostenseite für den Maschinenbetreiber, der sich mehr als begeistert darüber zeigte!

Angenommen, im System sind veraltete Dokumentationen zu aktuell neu existierenden Komponenten gespeichert – damit wäre das System obsolet. Kann das passieren?

Das ist völlig ausgeschlossen, denn der Vorteil der Vernetzung liegt genau darin, das zu vermeiden. Es gibt keine unkoordinierte Ablage der Dokumentation mehr. Über unseren Product-Information-Hub ist stets die korrekte Dokumentation in der richtigen Version mit nur wenigen Klicks erreichbar.

Dazu stellt sich dann aber die Frage, ob Ihre Plattform über offene Standards verfügt und damit herstellerneutral geartet ist. Können demnach auch Produkte anderer Automatisierungsanbieter aufgenommen und in Folge abgerufen werden?

Alles andere als ein offener Standard wäre sinnlos. Selbstverständlich setzt unser White-Label-OEM-Portal auf offene Standards und ist natürlich herstellerneutral gehalten. Somit können nicht nur unsere Lenze-Produkte vom Portal abgerufen werden, sondern ebenso sämtliche vom OEM in die Bibliothek aufgenommene Fremdprodukte. Aber auch andere Automatisierungsanbieter – wie es z. B. der Sensoranbieter Sick bereits getan hat – können ihre Produkte samt ihren Spezifikationen auf unserer Plattform bereitstellen.

Und wie sieht es mit dem direkten Zugriff bei evtl. Softwarefehlern aus – kann ein Servicetechniker diese unmittelbar beheben?

Auch diesem Aspekt trägt unsere Plattform per Remote-Funktion Rechnung. Sie ermöglicht einem Servicetechniker, wo immer er sich örtlich befindet, sich direkt auf die Maschine zu schalten. Durch den gesamtheitlichen Maschineneinblick ist er in der Lage, Softwarefehler direkt zu korrigieren und wenn nötig, auch weitere detailliertere Infos dazu einzuholen. So als wäre er vor Ort. Dies ist aber keine offene Tür für Angriffe, sondern berücksichtigt alle Security-Aspekte.

Heißt das, dass OEMs mit Hilfe des Lenze-Portals auch eigene Services und Geschäftsmodelle entwickeln können? Und wenn ja, bietet Lenze dazu auch beratende Unterstützung?

Genau das meine ich damit. Lenze unterstützt mit seinen umfangreichen Portalfunktionen seine OEM-Kunden nicht nur bei deren Maschinenservicierungen. Wir ermöglichen Maschinenbauern gleichzeitig mit Hilfe unseres Portals unter ihrem eigenen Label verschiedenartige Servicepakete für ihre Endkunden – also Maschinenbetreiber – zu schnüren. Für den OEM fallen Lenze gegenüber lediglich Mietkosten für das Portal an. Wenn für die Entwicklung derartiger Add-ons unsere begleitende Unterstützung vom OEM benötigt wird, stehen wir auch dazu gerne mit Rat und Tat zur Seite.

Noch ein wesentlich attraktiverer Fakt unserer Portallösung ist, dass deren Einrichtung sich ohne große manuelle Vorarbeiten realisieren lässt. Zusammenfassend möchte ich sagen: Wir ermöglichen unseren OEM-Kunden – auch unabhängig vom Lenze-Portal –, eigene digitale Services und Geschäftsmodelle zu entwickeln. Und unterstützen sie dabei, die digitale Transformation erfolgreich zu gestalten.

Herr Balz, herzlichen Dank für Ihre Ausführungen!

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