Lernende Maschinen sind keine Zukunftsmusik mehr

Autonome Systeme werden bald nicht nur die Produktion, sondern auch unser Arbeitsleben und die Geschäftswelt nachhaltig verändern, da sie uns alltägliche Aufgaben abnehmen und so mehr Freiraum für kreatives Arbeiten lassen. Anlässlich der Matlab Expo 2017 machte Michelle Hirsch, Leiterin Produktmanagement Matlab bei MathWorks, die Unterschiede zwischen diesen neuen autonomen Systemen und existierenden automatisierten Systemen deutlich und sprach in ihrer Keynote über die Anforderungen an ihre Entwicklung und die potenziellen Möglichkeiten bei ihrer Nutzung.

Mit autonomen Methoden zur Erkennung von Gegebenheiten (Maschinenzustand) und Aktionsplanung schuf Baker Hughes ein System für die vorausschauende Wartung mobiler Öl- und Gasförderanlagen.

Mit autonomen Methoden zur Erkennung von Gegebenheiten (Maschinenzustand) und Aktionsplanung schuf Baker Hughes ein System für die vorausschauende Wartung mobiler Öl- und Gasförderanlagen.

Michelle Hirsch
Leiterin Produktmanagement Matlab bei MathWorks

„Autonome Systeme sind gekennzeichnet von riesigen Datenmengen, hohem Bedarf an Rechenleistung, einem breiten Spektrum an Algorithmen und der Möglichkeit zur Verbindung mit der Cloud und integrierten Geräten. MathWorks hat viele der Werkzeuge, um solche Lösungen effizient zu entwickeln.“

Autonome Systeme arbeiten nicht nur in selbstfahrenden Autos, humanoiden Robotern oder Drohnen zur Paketauslieferung, sie können auch Landmaschinen revolutionieren, die vorausschauende Instandhaltung von Industrieanlagen ermöglichen oder die Medizintechnik grundlegend verändern. Bald werden autonome Technologien in viele Bereiche unseres Alltags vordringen, unsere Produktwelt verändern und unsere Geschäftsabläufe entscheidend mitgestalten. Wer bei dieser Entwicklung vorne mit dabei sein möchte, muss seine Produkte und Systeme um den Aspekt der Autonomie erweitern.

Was aber ist Autonomie eigentlich, was haben alle autonomen Systeme gemeinsam? Autonome Technologien ermöglichen es einem System, unter zuvor nicht erprobten Bedingungen unabhängig von direkten menschlichen Eingriffen zu agieren. Genau das macht sie so attraktiv, denn bei immer komplexeren Systemen wird es zunehmend schwieriger, alle Eventualitäten explizit in der Programmierung zu berücksichtigen.

Case New Holland hat ein autonomes System zur Befüllung von Anhängern beliebiger Bauarten und Formen entwickelt, das Höhe, Rotation und Aufsatzposition des Füllrohrs während der Parallelfahrt selbsttätig anpasst.

Case New Holland hat ein autonomes System zur Befüllung von Anhängern beliebiger Bauarten und Formen entwickelt, das Höhe, Rotation und Aufsatzposition des Füllrohrs während der Parallelfahrt selbsttätig anpasst.

Fähigkeiten autonomer Systeme

Wie autonome Technologien entwickelt werden, lässt sich am Beispiel des selbstfahrenden Autos illustrieren. Es benötigt zur Wahrnehmung seiner Umgebung Kameras, ein Radar- und Navigationssystem sowie Methoden zur optischen Abstands- und Geschwindigkeitsmessung (LIDAR) und muss lernen, wie die Daten seiner Sensoren zu interpretieren sind. Ab hier zeigen sich Unterschiede zwischen autonomen und automatisierten Systemen: Die verwendeten Algorithmen müssen auch mit neuen Daten umgehen können. Maschinelles Lernen und Deep Learning ermöglicht, Daten zu klassifizieren und wichtige Details wie die Position von Fahrstreifen und die relative Geschwindigkeit anderer Fahrzeuge zu erfassen.

Mit der Bestimmung der eigenen Position und dem Registrieren der Umgebung ist es noch nicht getan. Jetzt muss das Fahrzeug eigene Entscheidungen treffen, etwa ob bei einem Hindernis gebremst oder lieber ausgewichen werden soll. Durch das Trainieren der Lernalgorithmen mit jeder getroffenen Entscheidung wächst die Erfahrung des Systems und der Entscheidungsprozess wird verbessert. Das Auto wird intelligenter und dadurch sicherer. Um möglichst viele unterschiedliche Szenarien zu trainieren, lassen Hersteller ihre selbstfahrenden „Smart Cars“ Millionen von Kilometern zurücklegen.

Um einen autonomen Betrieb ohne menschliche Eingriffe zu ermöglichen, verknüpfen Autohersteller die Entscheidungsfindungsprozesse des Fahrzeugs mit seinen Steuersystemen. Ein wichtiger Erfolgsfaktor hierbei ist die Integration der Lernalgorithmen in Architektur und Entwicklung der Steuersysteme. Einige Beispiele für die Verwendung autonomer Technologien aus unterschiedlichen Anwendungsbereichen bringen uns der Antwort auf die Frage näher, wie sich beliebige autonome Systeme entwickeln lassen.

Bigfoot Biomedical entwickelte ein autonomes Blutzuckerkontrollsystem. Das Trainieren der anpassungsfähigen Algorithmen erfolgte an täglich 50 Millionen simulierter Patienten.

Bigfoot Biomedical entwickelte ein autonomes Blutzuckerkontrollsystem. Das Trainieren der anpassungsfähigen Algorithmen erfolgte an täglich 50 Millionen simulierter Patienten.

Prädiktive Instandhaltung dank Autonomie

Im ersten Fallbeispiel geht es um einen Sattel­schlepper zur Erdöl- und Erdgasförderung von Baker Hughes. Das Kernstück dieses Sattelschleppers bildet eine Reihe von Pumpwerken. Zur Überwachung der Pumpen auf Abnutzungserscheinungen und zur Vorhersage von Ausfällen analysierte Baker Hughes Daten aus 25 verschiedenen Sensoren von zehn Pumpen und speiste diese in maschinelle Lernalgorithmen ein. Bekannt war ebenfalls, wann ein Teil der Anlagen ausgefallen und welche Komponente jeweils dafür verantwortlich gewesen war.

Mithilfe statistischer und frequenzbasierter Analysen wurden Diagramme erstellt, aus denen sich die klar unterscheidbaren Signaturen von normal arbeitenden Pumpen und wartungsbedürftigen Pumpen ablesen ließen. Das Ergebnis: Durch bessere Planung der Instandhaltungsarbeiten und Vermeidung von Ausfällen hat das Unternehmen bereits rund 8,5 Milliarden Euro Servicekosten eingespart. Die Kunst lag in der Datenfilterung, um nur die wirklich aussagekräftigen Sensordaten herauszulesen. Wichtig war dabei, vorhandenes Wissen nicht zu vernachlässigen, sondern in die Festlegung der Prädiktoren einzubeziehen.

Autonomie in der Medizintechnik

Ein autonomes Blutzuckerkontrollsystem von Bigfoot Biomedical soll es Diabetikern erleichtern, ihren Blutzuckerspiegel einfach und zuverlässig Weise zu kontrollieren. Ein integriertes Überwachungssystem misst den Blutzuckerspiegel des Patienten, eine autonome Pumpe dient der Insulin-Verabreichung. Die Patienten können dem Kontrollsystem über eine Smartphone-App mitteilen, was sie im Laufe des Tages gegessen haben, damit das System die zu erwartenden Auswirkungen auf den Blutzuckerspiegel einbeziehen kann. Und während das autonome System die normale Insulinzufuhr kontinuierlich überwacht und anpasst, kann der Patient selbst bei Bedarf auch höhere und risikobehaftetere Dosierungen verabreichen.

Größte Herausforderung für die Entwickler war, die korrekte Funktion unter sehr vielseitigen Bedingungen mit zahlreichen Fehlermöglichkeiten wie abgerissenem Hautkontakt, leerem Akku oder ausgegangenem Insulin. In einer ausgeklügelten Modellierung der Interaktionen zwischen Insulinpumpe und Blutzuckermesser konnte das Verhalten im Fehlerfall abgebildet werden, ohne jede einzelne mögliche Fehlerkombination modellieren zu müssen. Die Algorithmen mussten die Unterschiede zwischen Menschen und deren unvorhersehbares Verhalten berücksichtigen. Mit in der Klinik von echten Patienten erfassten Daten hätte es Monate oder gar Jahre gedauert und einige Tausend Patienten erfordert, um jedes mögliche Systemverhalten zu evaluieren. Deshalb entwickelte das Unternehmen einen Simulator, der menschliche Verhaltensweisen und physiologische Eigenschaften modelliert, die den Blutzuckerspiegel beeinflussen. Für das Training der Algorithmen wurden in der Cloud 256 Simulationen gleichzeitig ausgeführt und 50 Millionen Patienten pro Tag simuliert.

Intelligente Landtechnik

Case New Holland wiederum hat ein autonomes System zur Befüllung von Anhängern beliebiger Bauarten und Formen entwickelt, das Höhe, Rotation und Aufsatzposition des Füllrohrs während der Parallelfahrt selbstständig anpasst. Dabei wird unabhängig von den Lichtverhältnissen der Anhänger, dessen Füllstand und der Strahl des Feldhäckslers per 3D-Nahinfrarotkamera erfasst und aus der Datenpunktwolke ein Modell der physischen Umgebung erzeugt. Die Befüllungsstrategien wurden per Model-Based Design in geschlossenen Simulationen getestet und optimiert und anschließend in der elektronischen Steuereinheit der Maschine implementiert.

Die Formel für beliebige autonome Systeme

Die Entwicklung beliebiger autonomer Systeme beginnt immer mit der kreativen Suche nach Möglichkeiten, einem wahrnehmungsfähigen Computer selbstständiges Handeln zu ermöglichen. Als Nächstes müssen die am besten geeigneten Prädiktoren bestimmt werden, oft durch Herausfiltern aus einer riesigen Datenfülle. Für das Trainieren von Lernalgorithmen empfiehlt sich der Einsatz von Funktionen der „Big Data Analyse“, bei Bedarf ergänzt um simulierte Daten. Bei der Integration autonomer Systeme in den Produktionsbetrieb sind oft eigene Herausforderungen zu bewältigen. Oft müssen Algorithmen mittels Model-based Design auf integrierte Prozessoren gebracht oder in der Cloud oder in den IT-Systemen des Unternehmens implementiert werden, manchmal auch beides.

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