interview

Industrie 4.0 – Risiko & Chance zugleich

Automation à la Industrie 4.0 in der Praxis Unter dem Aspekt von Industrie 4.0 (I4.0) erleben sämtliche Bereiche der Wertschöpfungskette eines zu erstellenden Produktes weitreichende Veränderungen. Es gilt nicht mehr nur eine Serie von Gütern wirtschaftlich zu produzieren – nein, ganze Prozesse haben sich dem variantenreichen Diktat zu fertigender modulhafter Güter bis hin zur Losgröße 1 zu unterwerfen. Gefordert ist dazu u. a. massiv die Disziplin der Automation. x-technik hat sich über diese Thematik im Zuge des im September in Zell am See veranstalteten Events „industry.tech15“ mit einem „Mann aus der Praxis“ unterhalten. Ing. Mag. Peter Sticht von der Stiwa Group kennt die „Ecken und Kanten“ wenn es um Automation und die Umsetzung von hochproduktiven Fertigungsprozessen à la I4.0 geht … Autorin: Luzia Haunschmidt / x-technik

Ing. Mag. Peter Sticht
Geschäftsführer der Stiwa Holding GmbH

„Daten sind ein sensibles Gut und dienen als Quelle der Wertschöpfung für Produktionsoptimierungen. Hier lassen viele Unternehmen massive Performance-Potentiale auf der Strecke liegen.“

Herr Sticht, im Zuge von Industrie 4.0 spricht man stets von einer horizontalen wie vertikalen Vernetzung eines produzierenden Unternehmens. Welche größte Hürde stellt, Ihrer Meinung nach, derzeit die Vernetzung eines Maschinenparks mit der Ebene des ERP dar?

Die größte Barriere ist derzeit, die Erfassung aller verfügbaren Daten aus den Anlagen. Aus unserer Sicht geht diese Thematik in zwei Richtungen. Einerseits wollen Maschinen- und Anlagenbetreiber ihre Produktionsdaten aus Gründen der Sicherheit und Geheimhaltung nicht über fremde Systeme laufen lassen. Diesem emotionalen Aspekt kann man nicht nur mit technischen Lösungen beikommen. Vielmehr begründet sich die Bewältigung dieser Situation in der Stärkung einer höchst vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Anlagenbetreibern und IT- sowie Software-Anbietern.

Andererseits sprechen Sie genau jene Herausforderungen an, die unser Geschäftsbereich „Manufacturing Software“ bereits gelöst hat. Wir schaffen mit unseren Softwarelösungen für die diskrete Produktion Durchgängigkeit vom Signal bis zur ERP-Ebene. Die Schwerpunkte liegen in der Erfassung, Vernetzung, Visualisierung und Analyse von Prozessinformationen. Bei unseren Kunden in den Branchen Automotive, Beschläge, Medizintechnik und Prozessindustrie haben wir in den letzten 20 Jahren funktionierende Standards geschaffen. Sie haben aber Recht, die „eine Norm“ gibt es noch nicht.

In welchen Bereichen des Automatisierungs- und IT-Angebots fehlen Standardisierungsmaßnahmen unter dem Aspekt des I4.0-Gedankens und welche Institutionen bzw. Einrichtungen sind dahingehend gefordert?

Nun, die eklatantesten Hürden stellen momentan fehlende Standards für die vorherrschende Schnittstellenfülle dar. Ich denke, die Chancen bzw. Voraussetzungen, Standards in den nächsten Jahren zu etablieren, sind gegeben und würden eine Datenandockung wesentlich vereinfachen. Mit unserem Anspruch „führend in Hochleistungsautomation“ zu sein, bringt die Stiwa Group ihre Erfahrungen auch in Industrie-Verbänden und Fach-Gremien ein. Bei diesen Aktivitäten nehmen wir wahr, dass die Standardisierung in vielen Bereichen am Weg, aber noch nicht am Ziel ist. Gefordert ist die Politik, welche die Rahmenbedingungen schaffen kann. Gleichermaßen gefordert sind die Hersteller von IT-Lösungen und die Maschinenbauer, um hier effiziente und branchenspezifische Schnittstellen zu schaffen – sowohl in der Art der Kommunikation als auch in deren Inhalt.

Die effiziente wie wirtschaftliche Produktion in Losgröße 1 stellt derzeit eine zentrale Herausforderung für viele Produzenten dar. Welche Disziplinen der Automatisierung sind Ihrer Meinung nach zur Lösung dieser Aufgabe vorwiegend gefordert?

Bei der Forderung nach Losgröße 1 muss man sich vorab die Frage stellen, wie man diese Vorgabe kostengünstig bewerkstelligen kann. Ein gutes Beispiel dafür ist unsere zerspanende Teilefertigung für den Anlagenbau, welche vorwiegend in Losgröße 1 produziert.

Um eine wirtschaftliche bzw. effiziente Produktion in diesem Fertigungsbereich erreichen zu können, galt es als erste Aufgabe die Nebenzeiten – wie häufige Werkzeugwechsel – zu reduzieren. Der Umstieg auf eine entsprechende Werkzeugmaschine mit automatisiertem Werkzeugwechsel war in Folge unabdingbar. Zug um Zug wurde bei der neuen Anlage in der Konzeption eine weitestgehend mannlose Fertigung geplant, welche sich beispielsweise u. a. durch automatisierte Logistik-Prozesse in der Teile-Beschickung und -Entladung sowie durch automatisiertes Laden unterschiedlicher Teilegeometrien aus den CAD-Daten- und Stückgut-Listen der Arbeitsvorbereitung direkt auf die Maschine generieren lässt. Als nächstes galt es die Spannsysteme zu standardisieren und in Folge ständig die Werkzeug-Performance im Auge zu behalten, um die Zerspanungszeiten ertragreich halten zu können. Schlussendlich mussten auch neue Arbeitszeitmodelle beschlossen werden, die nicht nur flexiblere, sondern auch höher qualifizierte Mitarbeiter erforderte. Dieser Prozess funktioniert bei uns im Werk nun schon seit einigen Jahren hervorragend und wie beabsichtigt, auch äußerst wirtschaftlich.

Zusammengefasst heißt das die Kooperation aller Disziplinen ist gefordert. In der flexiblen Automation werden intelligente Produktionsmethoden bis zur Losgröße 1 bei divergierenden Produkttypen in einem Produktionsmittel verwirklicht. Interagierendes, vernetztes sowie koordiniertes Handeln der Produktionsmittel – damit meine ich adaptive Prozesse – und die Integration der Logistik sind dafür Grundvoraussetzungen – und ohne Datentechnik ist dies eine Unmöglichkeit.

In Europa werden also jene Produzenten langfristig erfolgreich sein, welche mannarm, im Vierschicht-Betrieb, komplexe Teile mit neuen und integrierten Technologien, in kurzen Rüstzyklen vollautomatisiert und prozesssicher verarbeiten können.

Am Standort in Gampern fertigt der Stiwa-Geschäftsbereich „Zulieferproduktion“ Komponenten für die Automobilindustrie mittles einer vollautomatischen und vernetzten Produktion.

Am Standort in Gampern fertigt der Stiwa-Geschäftsbereich „Zulieferproduktion“ Komponenten für die Automobilindustrie mittles einer vollautomatischen und vernetzten Produktion.

Welche Auswirkungen erleben Sie dazu (Produktion bis zur Losgröße 1) auf der Engineering-Seite?

Ein eklatanter Effekt ist, dass Produzenten mehr denn je auf die TCO (Total Cost of Ownership) und auf die OEE (Overall Equipment Effectiveness) zu achten haben. Das bedeutet, dass man permanent abwägen muss, wie eine Anlage unter Berücksichtigung allfälliger Investitionen samt Folgekosten wirtschaftlicher gestaltet werden kann.

Auf der Methodikseite gewinnen neue Fertigungsverfahren an Bedeutung. Eine sich mittlerweile zusehends etablierende Engineering-Methode ist die Produktion mittels 3D-Druck, welche in vielen Fertigungsbereichen gerade bei variantenreichen Produktanforderungen spürbare Akzeptanz erlebt.

Wir, als Automatisierer und Systemintegrator, begegnen der Thematik mit unserem CI-Systembaukasten – CI steht dabei für Completely Integrated. Er standardisiert die Prozesse in der Fertigung und damit auch im Engineering. Neue oder geänderte Prozesse, damit auch die Produktion von Losgröße 1, können so herstellerunabhängig umgesetzt werden.

Im Prozess: Laserschweißen.

Im Prozess: Laserschweißen.

Roboter wurden vor nicht allzu langer Zeit aus ihren „Käfigen“ entlassen. Ihre (nachträgliche) Integration in Produktionsstraßen ist somit möglich. Spielt diese Thematik bereits eine Rolle in ihren Automatisierungsprojekten und wenn ja, in welchem Ausmaß und in welchen Branchen?

Roboter, Laserschweißen, Schrauben und Pressen sind nur einige Beispiele von Technologien als wesentliche Bestandteile industrieller Fertigung und Montage und spielen eine große Rolle. Wir integrieren solche Prozesse in unsere CI-Systemlandschaft vollständig – vom Signal bis zum ERP – und reduzieren dadurch aufwändige und meist fehleranfällige und träge Schnittstellen. Damit herrscht Gewissheit über alle Parameter und Eigenschaften und wir haben dadurch volle Kontrolle über den Prozess und die Qualität: einmalige Integration, mehrfacher Nutzen.

Die Digitalisierung schreitet auch im produzierenden Umfeld unaufhörlich voran. Das dadurch massiv ansteigende Datenvolumen wächst in Folge in jedem Produktionsbetrieb minütlich. Herr Sticht, würden Sie einem Produktionsbetrieb aus heutiger Sicht und in Hinblick auf die dzt. gebotene Security-Situation dazu raten, seine Produktionsdaten über eine Cloud zu parken?

Entscheidend ist nicht die Frage wo die Daten geparkt werden – egal ob zentral oder dezentral. Viel entscheidender ist es hier alle verfügbaren Daten zu erfassen und zu vernetzen sowie ein sorgsamer Umgang damit. Denn Daten sind ein sensibles Gut und dienen als Quelle der Wertschöpfung für Produktionsoptimierungen. Hier lassen viele Unternehmen massive Performance-Potentiale auf der Strecke liegen.

Summa summarum, welche Empfehlungen geben Sie Ihren Kunden, um zu einem erfolgreich funktionierenden vernetzten Unternehmen á la I4.0 zu kommen?

An unserem Standort in Gampern produziert der Geschäftsbereich „Zulieferproduktion“ Komponenten für die Automobilindustrie. Durch eine vollautomatische und vernetzte Produktion sind wir auch am Hochlohnstandort Europa konkurrenzfähig. Hier können unsere Kunden live sehen, wie Industrie 4.0, z. B. durch die automatische Anbindung der Werkslogistik, die Kopplung von Vorproduktion und Endmontage und die Regelung der Prozesse, Wirkung erzielt und dokumentierte und nachweisbare Produktqualität erreicht.

Herr Sticht, besten Dank für das informative Gespräch!

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