Sicherheit ohne Manipulationsanreiz
Welche Anforderung muss eine trennende bewegliche Schutzeinrichtung – sprich: eine Schutztür – erfüllen? Sie muss wirksam den Zugang zum Gefahrenbereich verhindern und die Stellungsüberwachung muss den Anforderungen der Normen entsprechen. Darüber hinaus sollte sie aber auch die Produktivität der Maschine bzw. des Prozesses nicht beeinträchtigen. Schmersal bietet Sicherheits-Schaltgeräte, die unter diesem Aspekt entwickelt wurden und damit auch einen Beitrag zum Manipulationsschutz leisten.
Master-Monitor-Kombination und Safety Gateways schaffen die Verbindung von Sicherheits-Schaltgeräten und der Steuerungsebene.
Das Thema "Manipulation von Schutzeinrichtungen" sollte nicht unterschätzt werden. Mehrere Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass in rund einem Drittel der befragten Betriebe Schutzeinrichtungen manipuliert werden. Durch Umgehen einer Schutzeinrichtung – d. h. durch einen bewussten zweckwidrigen Eingriff in die Sicherheitstechnik – wird der Maschinensteuerung vorgetäuscht, dass eine Schutzeinrichtung voll wirksam, sprich ordnungsgemäß geschlossen und verriegelt, sei. Tatsächlich kann aber der Bediener bei einer geöffneten Schutztür im z. B. vollen Automatikbetrieb arbeiten oder den Prozess beobachten. Es besteht weder Schutz vor dem Risiko gefährlicher Maschinenbewegungen oder wegfliegender Teile noch vor dem Risiko eines unerwarteten Maschinenanlaufs.
Auf den ersten Blick anders: Die erstmals auf der SPS/ IPC/ DRIVES vorgestellte Sicherheitszuhaltung AZM 300.
Manipulations-Anreiz verringern
Derartige Manipulationen wird man nie ganz unterbinden können. Aber man kann sie erschweren und damit die Risiken minimieren. Und man kann bei der Konstruktion einer Maschine darauf achten, dass ihre Produktivität, ihre Ergonomie und ihre Leistungsfähigkeit durch die Schutzeinrichtungen nicht beeinträchtigt wird. Damit vermeidet man, überhaupt erst Anreiz für Manipulation zu schaffen.
Diese Aufgaben muss der Maschinenbauer erfüllen, nicht der Anwender der Maschine. Aber auf der Anwenderseite sind die Betriebsleiter, die Einkäufer und die Sicherheitsfachkräfte in der Pflicht, eine sichere Maschine auszuwählen – und das heißt auch: eine möglichst Manipulationssichere.
Dass die Hersteller von Sicherheits-Schaltgeräten auch im Hinblick auf die Manipulationssicherheit ihre „Hausaufgaben“ gemacht haben, zeigt ein Blick auf die aktuellen Neuheiten der Schmersal Gruppe.
Der Kommunikationsstandard ASi Safety erhöht die Transparenz im Sicherheitskreis.
RFID-Codierung
Schon bewährt ist die von Schmersal entwickelte CSS-Technologie zur berührungslosen Erkennung einer Schutztür. Die bidirektionale Kommunikation zwischen dem Sicherheitsschalter (am Maschinengehäuse) und Betätiger (an der Schutztür) ermöglicht eine elektronische, berührungslose Identifikation des Betätigers oder Targets durch den Sicherheitsschalter. Das erhöht die Manipulationssicherheit.
Im nächsten Schritt – beim Sicherheitssensor RSS 36 – schafft die in den Sensor integrierte RFID-Technologie die Voraussetzung dafür, dass der Anwender zwischen drei verschiedenen Codiervarianten auswählen kann. In der Basisversion akzeptiert der Sensor jedes geeignete Target. Eine zweite Ausführung akzeptiert nur das Target, das beim ersten Einschalten eingelernt wurde. Schließlich ist noch eine dritte Variante lieferbar, bei der sich der Anlernvorgang beliebig oft wiederholen lässt. Somit kann der Anwender die je nach Einsatzprofil am besten geeignete Codiervariante wählen und damit auch den Grad des Manipulationsschutzes bestimmen.
Die integrierte RFID-Technologie schafft die Voraussetzung für ein hohes Maß an Manipulationssicherheit.
Sicherheitszuhaltung mit neuem Konzept
Diese Technologie kommt auch in der neuen Sicherheitszuhaltung AZM 300 zum Einsatz, die auf der SPS/ IPC/ DRIVES erstmals vorgestellt wurde und sich schon auf den ersten Blick von den anderen am Markt angebotenen Sicherheitszuhaltungen unterscheidet. Das neuartige Zuhaltesystem in Form eines Drehkreuzes, das den U-förmigen Betätiger in Verriegelungsstellung hält, erlaubt große Toleranzen – ein Wunsch, der in der Praxis häufig von Konstrukteuren des Maschinen- und Anlagenbaus geäußert wird. Die Rastkraft ist einstellbar; durch ein neuartiges patentiertes Wirkprinzip wird die Schutztür beim Schließen aktiv in die Endlage gezogen. Ein weiterer Vorteil dieses neuen Sicherheits-Schaltgerätes ist die hygienegerechte Konstruktion: Dank Schutzart IP 69K ist auch die Reinigung mit dem Hochdruckreiniger möglich.
Systemdenken bei Signalauswertung
Auch auf der nächsthöheren Ebene, der Auswertung der sicherheitsgerichteten Signale, gibt es Trends und Neuheiten, die Manipulationen erschweren bzw. – noch besser – die Akzeptanz von Schutzeinrichtungen erhöhen können. Dazu gehört z. B. die Möglichkeit, zusätzliche Betriebsarten etwa für die Prozessbeobachtung oder den Einrichtbetrieb anzuwählen. In diesen Fällen kann die Maschine – unter exakt definierten Sicherheitsvorkehrungen – bei geöffneter Schutztür betrieben werden, was dem Personal die Arbeit erleichtert.
Für solche Konzepte werden moderne (Sicherheits-) Steuerungssysteme benötigt, die auch den Vorteil bieten, dass sie eine sehr gute Abstimmung von Maschinen- und Sicherheitsfunktionen erlauben. Dies ermöglichen „Stand alone“-Lösungen wie die Sicherheits-Kompaktsteuerung Protect Select, die eine einfache individuelle Konfiguration ohne Programmieraufwand ermöglicht, oder aber Systemlösungen wie das auf der SPS/ IPC/ DRIVES 2012 vorgestellte Schmersal System. Die Signale von Sicherheits-Schaltgeräten, die an das „AS-Interface Safety at Work“-Netzwerk angebunden sind, können hier über Master-Monitor- Kombinationen und Safety Gateways direkt an übergeordnete Steuerungssysteme übertragen bzw. für diese Systeme aufbereitet werden. Das erleichtert nicht nur die Montage und Installation der Komponenten im Sicherheitskreis. Es vereinfacht auch die Konfiguration der Sicherheits-Schaltgeräte (z. B. im Hinblick auf Sicherheitsverknüpfungen, STOP-Kategorie, Filterzeiten, usw.), die sich somit noch besser an die Anforderungen des Einsatzfalles und an die Prozessbedingungen anpassen lassen.
Was sagen die Normen?
Die Normensetzer haben die Relevanz des Themas erkannt und die Gefahr der Manipulation stärker berücksichtigt. Zunächst gab es in der B-Norm DIN EN 1088 („Verriegelungseinrichtungen in Verbindung mit trennenden Schutzeinrichtungen – Leitsätze für Gestaltung und Auswahl“) ein Amendment, das zwischenzeitlich in die aktuelle Normausgabe eingearbeitet wurde. Auch in der vorläufigen Nachfolgenorm prEN ISO 14119 wird die Manipulation entsprechend aufmerksam behandelt.
Diese unter der Maschinenrichtlinie gelistete B-Norm richtet sich in erster Linie an die Hersteller von Maschinen. Sie greift das Thema der Manipulation von Verriegelungseinrichtungen auf, gibt Konstrukteuren Hilfestellungen bei Auswahl und Gestaltung von Verriegelungseinrichtungen und präzisiert die entsprechenden Anforderungen der EN IOS 12100. Das zentrale Stichwort lautet hier: „Vernünftigerweise vorhersehbare Fehlanwendungen."
Rund 25 % Unfälle wegen Manipulation
In Deutschland dürften etwa 25 % aller Arbeitsunfälle an Maschinen auf manipulierte Schutzeinrichtungen zurückzuführen sein. Das entspricht ca. 20.000 betrieblichen Unfällen mit mehr oder minder schweren Folgen. Schon deshalb sollte der Anwender das Thema nicht auf die leichte Schulter nehmen.
Maschinenbetreiber sind in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber mit gesetzlichen Verpflichtungen gefordert (und verpflichtet), gegen Manipulationen vorzugehen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend zu informieren, zu instruieren, zu sensibilisieren und zu beaufsichtigen. Diese Aufgabe fällt leichter, wenn Maschinen zum Einsatz kommen, deren Schutzeinrichtungen optimal an die maschinellen Prozesse angepasst sind und die somit keinen Manipulationsanreiz schaffen.
Sicherheits-Checklisten
Hilfreich bei der Auswahl von neuen Maschinen und Anlagen sowie bei der Bewertung des vorhandenen Maschinenparks ist ein Bewertungsschema, das von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) erarbeitet wurde und im Internet heruntergeladen werden kann. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) hat eine Checkliste entwickelt, die Einkäufer und Techniker bei der Maschinenbeschaffung berücksichtigen sollten und die ebenfalls zum Ziel hat, sichere, ergonomische und manipulationssichere Maschinen auszuwählen. Wertvolle Hinweise zum Thema Manipulationsschutz gibt auch die Website www.stop-defeating.org, die eine Checkliste zum Kauf manipulationssicherer Maschinen enthält.
Keinen Anreiz bieten
Darüber hinaus sollten Anwender beim Maschinenkauf generell darauf achten, dass dem Bediener die Manipulation der Schutzeinrichtungen erschwert wird. Dies geschieht u. a. durch die Verwendung von unlösbaren Betätigerbefestigungen, durch individuell codierte Betätiger und den verdeckten Einbau von Sicherheits-Schaltgeräten.
Für den Betriebsleiter lohnt es sich auf jeden Fall, dem Thema Aufmerksamkeit zu schenken – er ist sogar dazu verpflichtet. Wenn die Schutzeinrichtungen so in die Maschinen und die Arbeitsabläufe integriert sind, dass die Bediener sie nicht bemerken, gibt es keinen Anreiz zur Manipulation mehr. Und wenn die Maschinenbediener sensibilisiert sind und das Unternehmen eine Kultur der Maschinensicherheit pflegt, wird es weniger Risiken beim Maschinenbetrieb geben.
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