Schwerpunkte, Entwicklungen und Herausforderungen

Industrie 4.0: Die vierte industrielle (R)evolution – Verfolgt man die aktuelle Diskussion der Wirtschafts-, Industrie- oder auch Förderpolitik so scheint momentan die alles entscheidende Frage darin zu liegen, wo die Industrieführerschaft von morgen entschieden wird bzw. mit welchen Mitteln oder Maßnahmen dieses „Match“ für Europa entschieden werden kann. Abgesehen davon, dass die notwendige Stärkung industrieller Produktion inzwischen wieder weitgehend außer Streit steht, ergeben sich alleine durch die genannte Fragestellung mehrere Ansatzpunkte. Autor: Mag. Mag. Ing. Christian Zwickl-Bernhard, Geschäftsführer der MCP-Management, Consulting & Philosophy

Zum Autor:

Nach mehr als 35 jähriger Berufserfahrung in unterschiedlichen Unternehmen und verschiedenen Managementpositionen im In- und Ausland hat sich Christian Zwickl-Bernhard Anfang Juli 2014 mit dem Unternehmen ´MCP – Management, Consulting & Philosophy´ selbstständig gemacht. Schwerpunkte seiner zukünftigen Tätigkeit bilden die Themen klassische Unternehmensberatung im Industrie- und IT-Umfeld, das Thema Industrie 4.0, Interimsmanagement sowie Angebote im Consultingbereich.
Zwickl-Bernhard versucht dabei die aktuellen Herausforderungen, Probleme und Themenstellungen der Industrie und IT mit grundlegenden „philosophischen“ Denk- und Methodenansätze zu verbinden.

Weitere Informationen unter: www.mcp-zwickl-bernhard.at

Beginnen wir bei den Grundelementen einer modernen, zukunftsorientierten industriellen Produktionsstruktur, mit anderen Worten bei den wesentlichen Elementen von Industrie 4.0. Ausgehend von der Begriffseingrenzung, dass im Mittelpunkt von Industrie 4.0 „die echtzeitfähige, intelligente, horizontale und vertikale Vernetzung von Menschen, Maschinen, Objekten sowie IKT-Systemen steht“ und dies mit dem Ziel des „dynamischen Managements komplexer Systeme“ einhergeht, dann gehen die meisten Studien zu Industrie 4.0 von folgenden fünf maßgeblichen Themenbereichen (und gleichzeitig auch technologischen Handlungsfeldern) aus:

- Cyber Physical Systems (CPS) - Smart Factory - Cloud Computing - IT-Security und Datenschutz - Netzwerke und Mobile Computing

Cyber Physical Systems

Bei Cyber Physical Systems handelt es sich entweder um ganze Produktionsanlagen oder auch einzelne Elemente daraus, wie eine Maschine oder einen Roboter, die durch eine Verlagerung ihrer Steuerungsfunktion in die Cloud mit anderen Maschinen interagieren können und zwar ohne direkte Hardware-Schnittstelle. Die konzeptionelle Grundlage für diese Architektur sind als Dienste oder intelligente Objekte konzipierte „Embedded Systems“, also mit Intelligenz sowie Kommunikationsfähigkeit ausgestattete Einheiten. Aktoren führen nicht nur Bewegungen aus, sondern sie übermitteln auch visuelle oder sonstige Informationen in das System zurück. Die Analyse erfolgt über eingebaute Mikrocontroller. Beispiele für solche intelligenten Objekte sind Werkzeuge oder Behälter, ausgestattet mit Barcodeeinheiten oder RFID-Transpondern.

Die Kommunikationssysteme stellen die Interaktion dieser Objekte z. B. über WLAN oder Funktelefon sicher. Wie bereits oben erwähnt können auch ganze intelligente Maschinen in ein derartiges CPS eingebunden werden. Damit wird die Abstimmung von Auftrags-, Material- oder Logistikströmen möglich und realisierbar. Wird auch noch die Historie des Wertschöpfungs- oder Produktlebenszyklus aufgezeichnet, so ergibt sich die Möglichkeit diese Informationen zu Wartungs-, Recycling- oder Instandhaltungszwecken zu nutzen.

Weitere Vorteile dieses Konzepts liegen etwa in der Möglichkeit der Optimierung des Systems durch das Aufspielen effizienter Algorithmen auf bestehende Automatisierungssysteme, in der Nutzung der gespeicherten Daten für Simulationsprozesse oder zur Verwendung bei Fehlerdiagnosen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der sogenannten „XaaS-Architektur“ – „everything as a Service“. Über dieses Konzept wird auch die Integration von Systemen in die Cloud sichergestellt, die sich nicht unmittelbar im „lokalen CPS“ befinden.

Smart Factory

Autonom agierende oder vernetzte CPS bilden die Basis für das Konzept der Smart Factory. Diese organisiert sich selbstständig und echtzeitnah mit Hilfe der CPS. Die Verfügbarkeit der notwendigen Daten in Echtzeit ist dabei ein charakteristisches Merkmal, wodurch die „Verschmelzung“ der virtuellen mit der realen Welt erst möglich wird, etwa ein virtuelles Abbild der Realität mit Hilfe von Echtzeitdaten permanent zu aktualisieren. Dieser Ansatz kann die Basis für völlig neue Geschäftsmodelle bilden, etwa das Konzept Augmented Reality (Augmented Reality bedeutet wörtlich übersetzt die Erweiterung der Wahrnehmungsrealität mit Hilfe computergestützter Methoden). Mit Hilfe dieses Konzepts ist es möglich den Umgang mit komplexen Systemen oder Abläufen wesentlich zu vereinfachen. Informationen aus dem virtuellen Abbild werden z. B. über eine Datenbrille in das reale Bild der Fabrik, etwa zu Servicezwecken übertragen.

Betrachtet man die Ebenen bzw. unterschiedlichen Perspektiven auf denen die Kommunikation bzw. Vernetzung stattfinden kann, so ergeben sich zunächst drei unterschiedliche Sichtweisen: Die Vernetzung von Menschen (Social Networks), von Maschinen (kommunikationsfähige Objekte) sowie von serviceorientierten Diensten. Die aus heutiger Sicht vierte (und sicher noch etwas ´utopisch´ anmutende) Ebene ist die sogenannte „System of Systems“ Ebene. Hier können CPS ihre Einzelfähigkeiten selbstständig und intelligent kombinieren, wodurch eine schnelle und leichte Austauschbarkeit von Maschinen und Komponenten durch das sogenannte Konzept des „plug & produce“ ermöglicht werden soll. Dieses Konzept wird eine „am Ende autonome und dezentral gesteuerte Systementwicklung und Systemoptimierung“ zur Folge haben. Durch diese Ansatzweise wird die zunehmende Komplexität beherrschbar. Weitere Vorteile liegen in der zu erwartenden Ressourceneffizienz, der Reduktion von Verschwendung über die schon heute bestehenden Ansätze hinaus, in der besseren Beherrschbarkeit von Störungseinflüssen sowie in den Schnittstellen zu Smart Mobility, Smart Logistics sowie zu Smart Grids.

In einer voll ausgebauten smart factory findet sich auch eine neue Produktionslogik. Dieser Punkt wird oft als das Kernelement von Industrie 4.0 angesehen. Die einzelnen hergestellten Produkte sind eindeutig identifizierbar, sie sind jederzeit lokalisierbar und kennen auch ihre Historie, ihren aktuellen Produktionsstatus sowie die möglichen weiteren Produktionsschritte. Das Produkt wird als Informationsträger zum Beobachter und weiter selbst zum Akteur.

Bei der Interaktion zwischen intelligenten Objekten, Produkten und Maschinen spielt natürlich auch die Gestaltung der Mensch-Maschine-Schnittstelle (HMI Interface) eine ganz besondere Rolle. Hier wird die Herausforderung weiter in der Bereitstellung intuitiver und sicherer Schnittstellenkonzepte liegen, um die Akzeptanz für die neuen Produktionskonzepte durch den die Anlagen bedienenden und überwachenden Menschen sicherzustellen.

Smart Factory sowie die diesem Konzept zugrunde liegenden Cyber Physical Systems bilden auch die Basis für die in den Umsetzungsempfehlungen zur Industrie 4.0 ausdrücklichen betonten Ansätze zur vertikalen und horizontalen Integration. Die vertikale Integration fokussiert auf die Ebenen der Anwendungspyramide (ERP, MES, Prozess-, Steuerungs- sowie Feldebene) und meint den unmittelbaren Zugriff auf alle Feld- und Planungsinformationen während des gesamten Prozesses. Die horizontale Integration bezieht sich auf den Informationsaustausch zwischen Unternehmen und Unternehmenseinheiten innerhalb des Wertschöpfungsprozesses mit dem Ziel einer einheitlichen Betrachtung des Prozesses über die verschiedenen Fachdisziplinen hinweg.

Cloud Computing

Das Konzept des Cloud Computing stellt die Nutzung flexibler und verteilter Software innerhalb des Gesamtkonzepts von Industrie 4.0 sicher. Cloud Computing bildet im Wesentlichen eine Plattform zur Speicherung von Daten sowie zum Ablauf von Anwendungen (Programme oder Apps). Die einzelnen intelligenten Einheiten sind über Kommunikationsnetze mit der Cloud verbunden. Ein großer Vorteil dieses Konzepts liegt in der Verarbeitungsmöglichkeit großer Datenmengen. Planer und Betreiber von Anlagen haben somit die Möglichkeit neue und effizientere Methoden zur Analyse, Planung und Steuerung einer smart factory zu konzipieren bzw. einzusetzen. Diese Analysemethoden sind auch unter dem Begriff „Big Data“ bekannt. Über eine Cloud können auch Anwendungen bzw. Applikationen bereitgestellt werden, die zentral entwickelt bzw. verwaltet werden und die von den potentiellen Anwendern ohne Änderung bzw. Anpassung bei Bedarf „als Dienst“ genutzt werden. Eine wesentliche Herausforderung in diesem Zusammenhang stellt die Frage nach der Normierung der verwendeten Schnittstellen dar, denn es ist klar, „dass alle miteinander sprechen müssen“, wie es ein Experte des deutschen Elektronikverbandes ZVEI formuliert. Der ´Feldbuskrieg´ vergangener Jahre darf sich in dem Zusammenhang nicht wiederholen.

IT-Security

Gerade im Kontext der aktuellen politischen Diskussion über die Themen wie Industriespionage oder Datensicherheit stellt die Sicherheit der Informationssysteme von Industrie 4.0 eine wesentliche Herausforderung dar. Einerseits ist natürlich der Zugriff auf das „industrielle Internet“ abzusichern. Dies ist in Anbetracht der Verknüpfung mit den bestehenden globalen und im privaten Bereich verwendeten Internet-Technologien eine besondere Aufgabe. Zudem sind Sabotage oder Manipulationen am System zu verhindern bzw. im Eventualfall auch entsprechend identifizierbar bzw. behebbar zu gestalten. Der Datenschutz von Mitarbeitern, Unternehmen sowie Partnern ist natürlich ebenfalls durch geeignete Technologien sicherzustellen.

Netzwerke und Mobile Computing

Die Basis jeglicher intelligenten Vernetzung bilden hoch verfügbare und echtzeitfähige kabel- und funkgestützte Kommunikationsnetzwerke. Breitbandnetzwerke bilden das Rückgrat, zusätzliche Anforderungen liegen bei sensiblen Produktionsanlagen natürlich im Bereich der Sicherheit sowie der Verfügbarkeit. Im innerbetrieblichen Bereich wird man vornehmlich auf WLAN Architekturen zurückgreifen, im außerbetrieblichen Bereich kommen weiterentwickelte Mobilfunknetzwerke zur Anwendung. Der Einsatz mobiler Endgeräte wie Tablet-PC oder Smartphones ermöglicht die direkte Einbindung des Menschen in die Systeme einer smarten Fabrik.

Summary

Wenn wir auf die Eingangsfrage zurückkommen, auf welchem Gebiet die technologische Führerschaft von morgen entschieden wird, so ergeben sich je nach Standpunkt des Befragten sehr unterschiedliche Antwortmöglichkeiten. Diese reichen von der Aussage „Europa nimmt das ganze Thema Software nicht ernst genug“ (Burton Lee, Professor in Stanford), über die Kritik einer zu starken Fragmentierung des europäischen Marktes, der Unfähigkeit der Europäer Kapital für neue Innovationen aufzustellen bis hin zur Aussage, dass nur eine massive Stärkung der Mikroelektronik als Basis für CPS die europäische Position gegenüber Amerika und Asien stärken kann. Auch die in anderen Ländern bessere Zusammenarbeit zwischen Industrie und Wissenschaft wird sicher eine wesentliche Herausforderung für eine erfolgreiche Umsetzung von Industrie 4.0 darstellen.

Um die Hauptziele von Industrie 4.0, die Stärkung der Wettbewerbssituation, die Erhöhung der Flexibilität und Ressourceneffizienz bzw. die Generierung neuer innovativer Geschäftsmodelle zu erreichen, wird sicher die Anstrengung aller Beteiligten notwendig sein. Denn Industrie 4.0 wird nicht eine „Revolution von außen“ sein, sondern als neues industrielles Paradigma in alle Aspekte der Industrie-, Wirtschafts- und Bildungspolitik Einzug halten müssen.

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