Die vierte industrielle Revolution – der Beginn eines neuen Paradigmas

Serie Industrie 4.0 / Teil I Zukunft lässt sich bekanntlich weder voraussagen noch direkt aus der Gegenwart ableiten. Allerdings versucht der Mensch von Anbeginn an Zukunft zu gestalten, sich auf ihr Kommen vorzubereiten bzw. sie zu antizipieren. So hat nach Matthias Horx „Intelligenz etwas mit der Ahnung des Kommenden zu tun“. Auch die Marktwirtschaft oder eine moderne Industriepolitik steht vor der Herausforderung „marktrelevante Zukunftstechnologien“ zu definieren und einzelne Entwicklungen daraus abzuleiten. Wirft man etwa einen Blick auf die von McKinsey im vorigen Jahr definierten aktuellen marktrelevanten Technologien, so fällt auf, dass zumindest sechs dieser zwölf Zukunftstechnologien direkt oder indirekt mit der „vierten industriellen Revolution“, also dem Thema Industrie 4.0 in Zusammenhang stehen. In Zusammenarbeit mit Mag. Mag. Ing. Christian Zwickl-Bernhard, Geschäftsführer der MCP – Management, Consulting & Philosophy, betrachtet x-technik-AUTOMATION in seiner über vier Ausgaben laufenden Serie die Meilensteine der Evolution Industrie 4.0. Autor: Mag. Mag. Ing. Christian Zwickl-Bernhard, Geschäftsführer der MCP – Management, Consulting & Philosophy

Zum Autor:

Nach mehr als 35 jähriger Berufserfahrung in unterschiedlichen Unternehmen und verschiedenen Managementpositionen im
In- und Ausland hat sich Christian Zwickl-Bernhard Anfang Juli 2014 mit dem Unternehmen ´MCP – Management, Consulting & Philosophy´ selbstständig gemacht.

Schwerpunkte seiner zukünftigen Tätigkeit bilden die Themen klassische Unternehmensberatung im Industrie- und IT-Umfeld, das Thema Industrie 4.0, Interimsmanagement sowie Angebote im Consultingbereich.

Zwickl-Bernhard versucht dabei die aktuellen Herausforderungen, Probleme und Themenstellungen der Industrie und IT mit grundlegenden „philosophischen“ Denk- und Methodenansätze zu verbinden.

Weitere Informationen unter: www.mcp-zwickl-bernhard.at

Ein kurzer Rückblick auf die Geschichte

Industrielle Veränderungen haben seit jeher grundlegende Auswirkungen auf die Entwicklungen der menschlichen Gesellschaft. Die sogenannte erste industrielle Revolution wird auf den Zeitpunkt der Entwicklung der Dampfmaschine, also auf ca. 1750 datiert. Dampfmaschinen ermöglichten eine wesentliche Steigerung von Produktivität in der Textilindustrie oder bei der Herstellung von Grundversorgungsgütern.

Schon die sogenannte zweite industrielle Revolution wird je nach Lehre bzw. kulturellem Hintergrund mit unterschiedlichen Entwicklungen verbunden. Während die deutsch- und französischsprachige Forschung den Begriff eher mit dem Aufkommen der chemischen Industrie sowie der Elektrotechnik in den 80-er Jahren des 19. Jahrhunderts verbindet, betont die angloamerikanische Variante den Übergang zur Massenproduktion (Einführung des Fließbandes) als das wesentliche Charakteristikum dieser zweiten Umwälzungsphase. Erstmals wurde der Begriff im Jahr 1936 von Georges Friedman formuliert und zwar im Zusammenhang mit der Nutzung der Elektrizität. Damit verbunden waren die Möglichkeiten zur arbeitsteiligen Massenproduktion sowie die Erhöhung des allgemeinen Wohlstandes. Eine Erwartung, die auch heute noch direkt oder indirekt mit technischen Entwicklungen verbunden ist.

Industrielle Revolution Nummer drei wird durch die Einführung von Elektronik und Informationstechnik, etwa mit Beginn der 60-er Jahre des vorigen Jahrhunderts, ausgelöst, verbunden mit verschärften Anforderungen im globalen Wettbewerb sowie der Möglichkeit einer variantenreicheren Produktionsmethodik. Manchmal spricht man auch einfach von der Einführung der SPS (Speicherprogrammierbaren Steuerung) als dem wesentlichen Element von Revolution Nummer Drei. Warum kann man dann nach einer relativen kurzen Zeitspanne schon wieder von einer industriellen Revolution sprechen, knapp 50 Jahre nach der letzten grundlegenden Veränderung der Produktionsmethodik?

Werfen wir dazu einen Blick auf zwei wesentliche Anforderungen an moderne Produktionsmethoden, nämlich die stärkere Individualisierung der Produktion bis hin zur Losgröße 1 sowie die höhere Intelligenz der Verfahren durch Methoden der Selbstoptimierung, Selbstkonfiguration sowie Selbstdiagnose. Hinzu kommt die gesellschaftspolitisch relevante Notwendigkeit den Anteil der Industrieproduktion am Bruttoinlandsprodukt wieder zu erhöhen. Heute gibt es (wieder) eine mehrheitliche Übereinstimmung darin, dass auch entwickelte Volkswirtschaften einen hohen Industrie- sprich Produktionsanteil am BIP benötigen.

Was versteht man nun unter Industrie 4.0?

Eine Durchsicht der Fachliteratur zeigt, dass das Verständnis sowie die Verwendung des Begriffes Industrie 4.0 nicht ganz eindeutig sind. Die Begriffserklärungen reichen von „der Entwicklung intelligenter Überwachungs- und autonomer Entscheidungsprozesse in der Produktion“ über die „Informationsaggregation im Engineering und Betrieb über verschiedene Projekte, Anlagen und Anlagenbetreiber hinweg“ bis hin zu folgender Charakterisierung, entnommen aus den offiziellen Umsetzungsempfehlungen für das Zukunftsprojekt Industrie 4.0: „Industrie 4.0 meint im Kern die technische Integration von CPS (Cyber Physical Systems) in die Produktion und die Logistik sowie die Anwendung des Internets der Dinge und Dienste in industriellen Prozessen – einschließlich der sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Wertschöpfung, die Geschäftsmodelle sowie die nachgelagerten Dienstleistungen und die Arbeitsorganisation.“ Diese letztgenannte Charakterisierung zielt auf einen sehr wesentlichen Punkt von Industrie 4.0, nämlich die Durchdringung der Fertigungsebene mit Methoden der klassischen EDV oder anders ausgedrückt: Die fünf Ebenen der Automatisierungspyramide (Anmerkung: Nach DIN ISO 62264 werden die ERP, MES, Prozess-, Steuerungs- sowie Feldebene unterschieden.) werden transparent und durchlässig.

Prof. Dr. Henning Kagermann formuliert dies wie folgt: „Die vierte industrielle Revolution ist durch eine noch nie dagewesene Vernetzung über das Internet und durch die Verschmelzung der physischen mit der virtuellen Welt, dem Cyberspace, zu den sogenannten Cyber-Physical Systems gekennzeichnet. Der virtuelle Raum wird in die physische Welt verlängert.“

Bereits in diesem eben genannten Grundlagenpapier wird auch klar die hinter Industrie 4.0 liegende Absicht formuliert: Es geht darum Produktionskapazität (in diesem Fall in Deutschland) zu halten bzw. „die Potentiale dieser neuen Form der Industrialisierung zu erschließen“.

Potentiale von Industrie 4.0

Mit welchen neuen Ansätzen können diese hoch gesteckten Ziele erreicht werden? Das Potential, so die Autoren diverser Studien, ist „immens“:

• Individualisierung der Kundenwünsche • Flexibilisierung (d. i. eine dynamische Gestaltung der Geschäftsprozesse) • Optimierte Entscheidungsfindung (durch die Transparenz über sämtliche Produktionssysteme in Echtzeit) • Ressourcenproduktivität und -effizienz (Energie, Rohstoffe, ..) • Wertschöpfungspotentiale durch neue Dienstleistungen („Big data“ als Basis für das Angebot neuer intelligenter, dem Produktionsprozessen nachgelagerter Dienstleistungen) • Demografie-sensible Arbeitsgestaltung • Work-Life Balance (auf Grund erhöhter Flexibilität in der Arbeitsorganisation) • Wettbewerbsfähigkeit in Hochlohnstandorten

Diese Potentiale können nur dadurch gehoben werden, dass „die beiden Disziplinen Informationstechnologie (IT) und Maschinenbau eng zusammenarbeiten“.

Smart Factory

Die produzierende Industrie wird, so ein weiterer grundlegender Aspekt, als integraler Bestandteil einer intelligenten, vernetzten Welt verstanden. Das Kernelement dabei bildet die intelligente Fabrik („Smart Factory“), in der Menschen, Maschinen und Ressourcen ´so selbstverständlich´ wie in einem sozialen Netzwerk miteinander kommunizieren. Dabei verfügen die intelligenten Produkte („Smart Products“) über das zu ihrer Herstellung notwendige Wissen ihres Herstellungsprozesses und ihres künftigen Einsatzes. Die Kommunikation erfolgt dabei über normierte Schnittstellen, auf die einzelne Objekte zugreifen, die sich ihrerseits die notwendigen Informationen aus dem CPS holen sowie dieses andererseits mit den vorhandenen Daten versorgen. Dieses Konzept, in dem alle interagierenden Objekte als „Dienste“ konzipiert sind, erfordert auch eine wesentlich stärkere Durchgängigkeit aller bisher relativ getrennt agierenden Ebenen der Automatisierungspyramide. Dieser Ansatz erinnert stark an den Ansatz der Middleware- Technologie der IT, bei dem anwendungsneutrale Programme zwischen den einzelnen Komponenten vermitteln und dabei die Komplexität sowie Funktionalität der einzelnen Module verborgen bleibt. Eine Middleware, so die entsprechende Charakterisierung, stellt eine Ebene in einem komplexen Softwaresystem dar, die als „Dienstleister“ anderen ansonsten entkoppelten Softwarekomponenten den Datenaustausch ermöglicht (vgl. dazu die einschlägigen Architekturmodelle wie CORBA, etc.). Und tatsächlich setzen erste bereits heute verfügbare Komponenten von Industrie 4.0 auf diese Technologien auf (vgl. dazu die Architekturprinzipien von OLE, OPC sowie OPC-UA).

Summary und Ausblick

Ausgehend von dem gesellschaftlich inzwischen weitgehend unumstrittenen Ansatz, dass moderne und krisenresistente Gesellschaften ihre industrielle Wertschöpfung deutlich steigern müssen, und dass dies vor dem Hintergrund der stetig wachsenden Konkurrenz durch Billiglohnländer zu erfolgen hat, bietet Industrie 4.0 einen Ansatz die nächst höhere und in ihren Anforderungen komplexere Stufe der industriellen Fertigung zu beschreiben und umzusetzen. Industrie 4.0 kann auch die Antwort auf die zunehmende Komplexität der Fertigungsprozesse sein. Denn nach Ashby ist ´Komplexität nur durch Komplexität beherrschbar´.

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