anwenderreportage
DS Automotion FTS: Fahrerloses Transportsystem erhöht Flexibilität und Kapazität
Lebensmittelindustrie 4.0: Die Ireks GmbH ist als Hersteller von Malz und Backzutaten wichtiger Partner von Brauereien und Bäckereibetrieben. Die Zusammenstellung der Backmischungen mit bis zu 30 Komponenten aus über 220 Entnahmestellen erfolgt nach rund 1.600 Rezepturen hygienisch in je einem geschlossenen Behälter pro Charge. Bereits seit 1998 ermöglicht ein fahrerloses Transportsystem (FTS) von DS Automotion mit induktiver Spurführung das rasche Schaffen oder Ändern von Rezepturen durch Anpassung der gefahrenen Routen. 2015 erfolgte die Umstellung auf ein frei navigierendes System von DS Automotion mit modellprädiktiver Routenberechnung. Es verbessert die Prozesssicherheit und schafft Kapazitätsreserven für künftige Steigerungen der Produktionskapazität.
Shortcut
(h3)Aufgabenstellung:
Erstellung eines intralogistischen, vollautomatischen Befördersystems von Behältern unterschiedlichster Backmischungen von den Entnahmestellen zu Mischstationen.
(h3)Lösung:
Kompakte FTS von DS Automotion navigieren frei auf Magnetpunktfolge-Basis, die eine flexible Gestaltung der Fahrtrouten mit Ausweichmöglichkeit erlauben. Die FTS-Ausstattung mit eigener web-basierten Visualisierung samt Anzeige der integrierten Verwiegung der Backmischungen ist mit dem Leitstand, weiteren Rechnern und Handgeräten in Echtzeit verbunden.
(h3)Vorteile:
Reduzierung von Personenanwesenheit vor Ort; Produktivitätssteigerung von mehr als 50 %; Einsparung der Prozessdauer um ein Drittel; Verbesserungen von Hygiene und Produktsicherheit; Spielraum für künftiges Wachstum.
Wer heute in Europa eine Bäckereifiliale betritt, erwartet und findet ein vielfältiges Angebot unterschiedlicher Back- und Konditoreiwaren. Abwechslungsreich, gesund und zu jeder Tageszeit frisch, erfüllen diese die differenzierten Einkaufspräferenzen. Die Produktion der Gebäckstücke erfolgt mit hoher Effizienz, Prozessstabilität, Hygiene und Nachverfolgbarkeit in zentralen Bäckereibetrieben. Lediglich Produkte, die rasch ihre Frische verlieren, durchlaufen den eigentlichen Backvorgang als letzten Prozessschritt erst in der Filiale. Nur so können Backwaren in großen Mengen zu konsumententauglichen Preisen in gleichbleibend hoher Qualität hergestellt und ganztägig frisch angeboten werden.
Die gesamte Herstellung jeder Produktcharge erfolgt nach rund 1.600 Rezepturen innerhalb eines 2,5 Tonnen fassenden Behälters. Die Fahrzeuge eines FTS befördern die Behälter in der jeweils korrekten Reihenfolge zu den über 220 einzelnen Entnahmestellen in der Decke.
Dr. Bernd Kaufmann
Technische Verfahrensentwicklung, Ireks GmbH
„Viele sprechen von Industrie 4.0, wir arbeiten nach deren Grundsätzen. Mit dem Fahrerlosen Transportsystem von DS Automotion lassen sich neue oder veränderte Rezepturen rasch und einfach durch Programmieren einer neuen Route realisieren. Durch Umstieg auf ein frei navigierendes System konnten wir die Produktivität um mehr als 50 % erhöhen.“
Vorprodukte ermöglichen Vielfalt
Um bei dieser Kombination von Menge und Vielfalt noch Zeit für Kreativität und die Pflege der individuellen Note zu haben, greifen Bäckereien gern zu fertigen Backzutatenmischungen. Einer der größten europäischen Hersteller von Backzutaten ist die Ireks GmbH. Die 1860 gegründete Mälzerei, mit 300.000 Tonnen Jahresproduktion wichtiger Lieferant zahlreicher Brauereien, erzeugt seit 1900 auch Backmittel. Dabei konnte das Unternehmen mit Sitz im nordbayerischen Kulmbach mit seinen Produkten mehrmals sprunghafte Innovationen im Bäckereigewerbe unterstützen, etwa 1930 mit Fertigsauer durch Verkürzung der Teiggare von 24 auf 2 Stunden.
Heute beschäftigt das familiengeführte Traditionsunternehmen in mehreren Produktionswerken und 20 Niederlassungen über 2.900 Mitarbeiter weltweit. 500 davon sind Bäcker- oder Konditormeister und betreuen im Außendienst Bäcker und Konditoren in über 90 Ländern der Erde. So sorgt ein länderübergreifender Ideentransfer neben Trends zu gesünderer Ernährung für eine stetige Erweiterung des riesigen Angebotes an funktionellen Backzutaten.
Dank freier Navigation auf Basis der Magnetpunktfolge können die FTS-Fahrzeuge in enger Abfolge verkehren und kleinräumig ausweichen. Das hilft unproduktive Wartezeiten zu vermeiden und erhöht so die Anlagenproduktivität.
Hygiene als Intralogistik-Herausforderung
Die rund 5.000 Produkte im Backmittelsektor mischt Ireks nach 1.600 Rezepturen aus vorwiegend trockenen und rieselfähigen Zutaten. Früher erfolgte die Produktion auf fünf Mischlinien für einzelne Produktgruppen. Diese waren für die rasche Reaktion auf zunehmend häufigere Nachfrage-Änderungen zu unflexibel. Deshalb nahm Ireks 1998 eine völlig neuartige Backzutatenfabrikation in Betrieb. Bei diesem in sich geschlossenen, vollautomatischen Chargen-Mischsystem erfolgt die gesamte Herstellung jeder Produktcharge von der Dosierung der einzelnen Komponenten über das Mischen bis zur Abgabe an die Absackanlage innerhalb eines 2,5 Tonnen fassenden Behälters.
Statt der umfangreichen, hoch komplexen und zugleich wenig flexiblen Förderanlagen, die ein konventioneller Aufbau einer solchen Anlage erfordert hätte, entschloss sich Ireks bereits damals dazu, ein Fahrerloses Transportsystem (FTS) von DS Automotion zu implementieren. Die Flexibilität der Lastaufnahme und die Robustheit der kompletten Anlage war nur eines der Argumente für ein FTS. Dessen fünf, später acht Fahrzeuge befördern die Behälter in der jeweils korrekten Reihenfolge zu den einzelnen Entnahmestellen, wo die Zutaten per Schwerkraft direkt aus den Silos in die Behälter gelangen und anschließend weiter zur Mischstation.
Das Leitsystem berechnet mittels prädiktiver Modelle die optimierten Routen entlang der Linien eines engmaschigen Schachbrettmusters und zeigt die tatsächlichen Fahrzeugpositionen und -zustände in Echtzeit in einem grafischen Systemlayout an.
Mario Ott
Verfahrenstechnik-Assistent, Ireks GmbH
„Die Fahrzeuge sind mit einer eigenen Visualisierung samt Anzeige der integrierten Verwiegung ausgerüstet, und am Leitstand erfolgt in einem grafischen Systemlayout eine Anzeige der tatsächlichen Fahrzeugpositionen und -zustände in Echtzeit. Das Verbessert neben den Produktionsabläufen auch die Bedienung und Instandhaltung.“
FTS für mehr Flexibilität und Hygiene
„Mit diesem System lassen sich neue oder veränderte Rezepturen rasch und einfach durch Programmieren einer neuen Route realisieren“, erklärt Dr. Bernd Kaufmann. Der Lebensmitteltechnologe ist seit 1993 im Unternehmen, wo er die technische Verfahrensentwicklung verantwortet. „So können wir auch sehr einfach gewährleisten, dass es zu keiner Kontamination mit unerwünschten Bestandteilen kommt.“
Das österreichische Unternehmen DS Automotion mit Sitz in Linz, das auf solche Systeme spezialisiert ist, hat dieses FTS kurz vor der Jahrtausendwende nach den Kundenanforderungen von Ireks entwickelt, produziert und implementiert. Entlang der vom Leitrechner aus den Auftragsdaten des ERP-Systems errechneten Routen folgten die Fahrzeuge per induktiver Spurführung im Boden verlegten Drähten.
Die Visualisierung ist web-basiert aufgebaut und kann am Leitstand, auf anderen Rechnern und Handgeräten angezeigt werden. Das erübrigt die ständige Anwesenheit einer Person vor Ort.
Ing. Wolfgang Hillinger MBA
Geschäftsführer, DS Automotion GmbH
„Durch eine enge partnerschaftliche Beziehung zu unseren Kunden realisieren wir die Weiterentwicklungen der FTS-Anlagen und helfen, Kapazitäten auszubauen und weiterhin die Effizienz zu steigern.“
Wachstum braucht Flexibilisierung
Rund 15 Jahre danach war dank anhaltend steigender Nachfrage die Notwendigkeit einer Kapazitätserweiterung der Anlage abzusehen. „Ein bloßes Hinzufügen weiterer Fahrzeuge hätte das Problem nicht gelöst“, weiß Verfahrenstechnik-Assistent Mario Ott. „Da ein spurgeführtes System nur eine begrenzte Anzahl alternativer Routen zulässt, mussten Fahrzeuge oft vor belegten Stationen warten, sodass die Überlastung des ‚Straßennetzes` drohte.“
Auch die Fahrzeuge waren bereits in die Jahre gekommen, was einen Anstieg des Wartungsaufwandes erwarten ließ. Deshalb entschlossen sich die Ireks-Verfahrenstechniker, die Anlage komplett zu erneuern. „Der Umstieg auf ein anderes Navigationsverfahren versprach die Möglichkeit, bis zu 12 statt bisher acht Ladungen gleichzeitig zusammenzustellen, und das ohne bauliche Erweiterungen“, nennt Dr. Kaufmann eines der Motive. „Zudem sahen wir darin die Chance, seinerzeit aus Geschwindigkeitsgründen zusammengefasste Entnahmestellen zu trennen und so unsere bereits sehr hohen Hygienestandards noch weiter zu verbessern.“
Für die Umsetzung wandte sich das Ireks-Team wieder an den langjährigen Partner DS Automotion. „Die Anlage aus 1998 hatte sich im harten Betriebsalltag bewährt, die Betreuungsqualität war stets vorbildlich gewesen und als langjährige Partner waren die Ingenieure aus Linz mit unseren außergewöhnlichen Anforderungen bestens vertraut“, fasst Dr. Kaufmann die Gründe dafür zusammen.
Die modernen FTS sind mit einer gravimetrischen Wiegeeinrichtung ausgestattet. Sie unterstützen Bedienung und Instandhaltung durch klare, außen angebrachte Anzeigen.
Infos zum Anwender
Als Partner der Backbetriebe ist Ireks weltweit bekannt für erstklassige Backzutaten und kreative Produktideen. Mit vielfältigen Serviceangeboten begleitet das Unternemen die Bäcker und Konditoren in über 90 Ländern als Impulsgeber, Berater und Problemlöser. Ein Team von über 2.900 Mitarbeitern steht den Bäckern und Konditoren rund um den Globus persönlich zur Seite.
www.ireks.de
Optimale Navigation im Schachbrettmuster
„Die Kapazität spurgeführter Systeme hat in erster Linie deshalb Grenzen, weil kein Fahrzeug in einen Streckenabschnitt einfahren darf, solange dieser von einem anderen Fahrzeug belegt wird“, erläutert DI Wolfgang Holl, Leitung Technologie und Produktentwicklung bei DS Automotion. „Zur Lösung dieser Problematik wählten wir daher ein frei navigierendes System auf Basis der Magnetpunktfolge.“
Dabei folgt das Fahrzeug einem virtuell im Leitrechner realisierten Kurs, dessen Einhaltung es mittels Koppelnavigation bestimmt. Dazu erfolgt eine genaue Erfassung der Odometriedaten und eine Peilung von in regelmäßigen Abständen im Boden eingelassenen Magneten. Das ermöglicht – nicht zuletzt auch in Verbindung mit den kleiner bauenden heutigen Fahrzeugen – die Gestaltung eines engmaschigen rechtwinkeligen virtuellen Routennetzes und damit eine sehr flexible Gestaltung der Fahrtrouten, auch mit der Möglichkeit zum Ausweichen.
Das Aufladen der Akkus außerhalb der Fahrzeuge maximiert deren Einsatzverfügbarkeit.
Vorausschauende Wegeplanung in 3D
Ein FTS dieser Größe und Komplexität mit freier Navigation stellte ein weltweites Novum dar. Immerhin sind nach dem Umbau von den 12 Fahrzeugen mehr als 220 Entnahmestellen anzusteuern. Dabei sollte der zweidimensionale Kurs einerseits zeit- und wegeoptimiert gestaltet werden, andererseits ist die Beladungszeit – bis 15 Minuten pro Komponente – als dritte Dimension nicht genau planbar. Als Teil der integrierten Gesamtplanung ist daher zur Kollisionsvermeidung eine prädiktive Wegeberechnung erforderlich. Zusätzlich ist auch noch eine unterschiedliche Priorisierung verschiedener Produktionschargen zu berücksichtigen.
Anhand der Auftragsdaten und bekannter Parameter wie dem Zeitbedarf und der Reihenfolge für die einzelnen Befüllvorgänge errechnet das Leitsystem ein Modell der zukünftigen Fahrzeugpositionen. Wegen der zahlreichen zeitlichen Unwägbarkeiten muss dieses ständig aktualisiert werden. Für die Bewältigung dieser keineswegs trivialen Aufgabe holte sich DS Automotion Unterstützung durch die Softwarespezialisten des Research Institute for Symbolic Computation (RISC) der Johannes Kepler Universität Linz.
Ruckfreie Inbetriebnahme, aktueller Komfort
„Wir wussten, dass es sich bei diesem System um eine Neuentwicklung handelt, in die wir direkt involviert sein würden“, definiert Dr. Kaufmann. „Dennoch war klar, dass – schon wegen der Umbauten an den Rohstoffsilos – die Inbetriebnahme auf Anhieb klappen musste.“ Nach einer dreimonatigen gemeinsamen Planungsphase und einer für ein kundenspezifisches System sehr kurzen, einjährigen Umsetzungszeit folgten an insgesamt 10 arbeitsfreien Sonntagen ausführliche Tests sowie die Optimierung der Software und die Inbetriebnahme. Dieser Stresstest sorgte für eine reibungslose Inbetriebnahme der Anlage.
Seit Sommer 2015 bewährt sich das System im Betrieb, den es nicht nur dank der verbesserten Möglichkeiten zur Routengestaltung wesentlich effizienter gestaltet, als das Vorgängersystem das konnte. „Auch bei Bedienung und Instandhaltung machen sich die eineinhalb Jahrzehnte technischer Fortschritt vielfältig bemerkbar“, bestätigt Ott. „Die Fahrzeuge sind nun mit einer eigenen Visualisierung samt Anzeige der integrierten Verwiegung ausgerüstet, und am Leitstand erfolgt in einem grafischen Systemlayout eine Anzeige der tatsächlichen Fahrzeugpositionen und –zustände in Echtzeit.“
Diese Visualisierung ist web-basiert aufgebaut und kann daher auch auf anderen Rechnern oder Handgeräten angezeigt werden. Gemeinsam mit der minimalen Fehlerrate und der Selbstregeneration im Problemfall durch automatische Rekonfiguration erübrigt das die ständige Anwesenheit einer Person vor Ort.
Für künftiges Wachstum gerüstet
Durch die Umstellung der Mischbehälterlogistik als Teil der Backzutaten-Mischanlage auf ein frei navigierendes fahrerloses Transportsystem von DS Automotion konnte Ireks deren Kapazität mit geringem Umbauaufwand um mehr als 50 % steigern. Durch die flexiblere Automatisierung gelang es, ein Drittel der zuvor benötigten Prozessdauer einzusparen. Zugleich ermöglichte die konsequente Vereinzelung der Entnahmestationen eine weitere Verbesserung von Hygiene und Produktsicherheit. „Die Anlage ist aktuell bei weitem nicht ausgelastet. Sie bietet reichlich Spielraum für künftiges Wachstum“, freut sich Dr. Kaufmann. „Wir untersuchen vor- und nachgelagerte Prozesse auf drohende Engpässe und haben konkrete Pläne für die Ausstattung weiterer Bereiche sowie eines Zweigwerks mit einem gleichartigen System.“
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