interview
Für heute und die Zukunft – ein Mehr an ‚Talk and Speed’
Um wirtschaftliches Wachstum weiterhin noch forcieren zu können, ist die produzierende Industrie gefordert ihre Produktivität, Zuverlässigkeit und Effizienz permanent zu steigern. Wesentlich unterstützender Teil hierfür ist die Softwarekomponente in ihrer gesamten Vielseitigkeit. Doch letztendlich muss in der Fertigung etwas bewegt werden – Antriebskomponenten von der Stange alleine machen eine Produktion noch nicht zum ‚Renner’. Deren optimales Zusammenspiel mit allen agierenden Bereichen eines Produktlebenszyklusses eröffnet hingegen in jeder Hinsicht effiziente Lösungen. Mit der Integration seines gesamten Antriebsstranges in sein Portal der Totally Integrated Automation / TIA gibt Siemens ab sofort wegweisende Antwort auf das hohe Maß an Komplexität, welche heute eine effektive Produktion ausmacht. Bernhard Kienlein, Leiter der Siemens Drive Technologies Division in CEE und Klaus Ponweiser, Leiter der Geschäftseinheit Machine Tool Systems bei Siemens CEE, geben im Gespräch mit Luzia Haunschmidt, Chefredakteurin der x-technik-AUTOMATION, Ein- und Ausblicke in eine neue Welt, welche die Automatisierungs- und Antriebstechnik in all ihren Ausformungen prägen wird.
Bernhard Kienlein, Leiter der Siemens Drive Technologies Division
Siemens hat auf der diesjährigen Hannover Messe angekündigt nun einen weiteren Bereich seines Hard- und Softwareportfolios unter das Dach seines TIA-Portals zu stellen. Ihr gesamter Antriebsstrang soll ihre neueste Erfolgsgeschichte unter dem Namen IDS einleiten. Was versteht Siemens unter dem Begriff IDS?
Klaus Ponweiser, Geschäftsstellenleiter der Siemens Motion Control /A&D MC
Kienlein:
Unter der Abkürzung IDS verstehen wir bei Siemens die Erweiterung unseres Antriebsstranges um das Konzept der Integrated Drive Systems. Basierend auf TIA integriert IDS sein vollständiges Produktportfolio der Antriebstechnik und bietet für alle Branchen dessen durchgängige und zuverlässige Integration in unterschiedlicher Ausprägung.
Das Integrated Drive System zeichnet sich durch die dreifache Integration aus: Horizontal, Vertikal und entlang des Life Cycle.
Welche Vorteile ergeben sich damit für Anwender?
Mit der neuen Motorenreihe Simotics FD präsentiert die Siemens-Division Drive Technologies ein neuartiges Motorenkonzept, das durch sein innovatives Design und intelligentes Baukastensystem maximale Flexibilität beim Antrieb von Pumpen, Lüftern und Kompressoren bietet.
Kienlein:
Mittels IDS richten wir bei der Realisierung von Antriebsaufgaben den Blick weit über den Tellerrand reiner Produkt-Features oder der Suche nach niedrigeren Anschaffungskosten der Antriebskomponenten hinaus. Dies reduziert die Umsetzungszeit einer Applikation für Anwender beträchtlich. Denn schon während der Engineeringphase können verschiedene Konfigurationen für den Einsatz in der Produktion simuliert werden. Auf diese Weise schafft die Drive Technologies den gleichen Anschluss an Produktions- und Fertigungsprozesse wie dies bereits für den Automatisierungsbereich mit der Integration von Produktion und Systemen im TIA-Portal und den zugehörigen PLM-Tools geschehen ist.
Mit dem Sinamics G120P Cabinet bietet die Siemens-Division Drive Technologies ab sofort ein speziell auf Pumpen, Lüfter und Kompressoren zugeschnittenes Umrichter-Schrankgerät für Leistungen bis 200 kW.
In welchem Ausmaß wird die Integration des Antriebsstranges in TIA erfolgen?
Kienlein:
Wesentliche Besonderheit des durchgängigen Konzepts des gesamten Antriebsstrangs ist die dreifache Integration in TIA, nämlich auf der horizontalen wie auf der vertikalen Ebene und letztlich für den gesamten Life Cycle.
Auf der horizontalen Ebene verbindet IDS die Antriebskomponenten entlang des Energieflusses zu einem integrierten Antriebsportfolio. Das heißt, dass auf der physikalischen Ebene die einzelnen Komponenten des Anstriebsstranges funktional, mechanisch und energieeffizient passend für die jeweilige Aufgabenstellung optimal aufeinander abgestimmt sind. Selbst etwaige Schnittstellenprobleme, welche aus dem einfachen Zusammensetzen des Antriebsstranges aus Einzelkomponenten enstehen könnten, werden von vornherein vermieden. Auf dieser Ebene werden primär die Maschinenproduktivität, die Qualität der Produktion und die Effizienz der Maschine verbessert.
Vertikal erfolgt die Integration des Antriebsstranges innerhalb der Automatisierungspyramide in die Steuerungsarchitektur industrieller Fertigungsprozesse. Dies ist eine notwendige Voraussetzung für eine Produktion mit maximaler Wertschöpfung. Real sieht das so aus, dass die IDS-Komponenten innerhalb der Automatisierungspyramide über das TIA-Portal nahtlos in die Automatisierungsumgebung integriert werden – angefangen von der Feld- und Automatisierungsebene bis zu den Manufacturing Execution Systems (MES). Die so entstehende Übersichtlichkeit und Datendurchgängigkeit erhöhen die Anlagenproduktivität, die Flexibilität sowie die Transparenz der Produktion.
Letztlich spannt das IDS-Konzept über die horizontale und vertikale Ebene eine weitere Integrationsebene, nämlich die dritte Ebene des gesamten Life Cycles einer Maschine und Anlage. Hier sind alle Komponenten datentechnisch in der entsprechenden Industriesoftware für die Planung, Auslegung und Inbetriebnahme wiederzufinden. Die überaus positiven Effekte davon spüren nicht nur Anwender im Fertigungsprozess, sondern alle Bereiche die am Produktentstehungsprozess bis zu dessen Marktreife beteiligt sind.
Bedeutet dies, dass während der Engineeringphase sämtliche Entwicklungsbereiche mittels TIA in der Lage sind, realitätsnah und zeitgleich an ein und dem selben Modell arbeiten können …
Kienlein:
Absolut – so ist das zu verstehen. Wir zeigen im Rahmen von IDS auf der vertikalen Ebene die Integration der Sinamics-G120-Familie in das TIA-Portal und kündigen die Einbindung der Simotion-Steuerungen in das TIA-Portal an. Somit können alle an einem Projekt beteiligten Anwender die gleichen effizienten und bedienerfreundlichen Mechanismen des TIA-Engineering-Frameworks zur Projektierung, Konfiguration und Inbetriebnahme von Simotion-Komponenten nutzen. Dies betrifft sowohl die Zusammenführung von Hardware- und Netzwerkkonfigurationen in einem konsistenten, vollgrafischen Editor als auch die leistungsfähige Diagnose der konfigurierten und vernetzten Komponenten. Dahingehend sorgt ein umfangreiches Bibliothekskonzept für die einheitliche Datenhaltung und -konsistenz und schnelle Projektierung. Integriert sind auch das Profidrive Antriebsprofil für alle relevanten Anwendungen und Profisafe zur fehlersicheren Kommunikation. Und die Simotics-Motoren lassen sich über Sinamics Startdrive in das Engineering-Framework integrieren.
Über die Ebene des Life Cycles kann dann z. B. mit einem Konfigurationstool der gesamte Antriebsstrang genau auf den Arbeitspunkt für alle Bewegungsaufgaben der Maschine ausgelegt werden. Dies garantiert im späteren Betrieb hohe Energieeffizienz und Performance. Mit dem Datenaustausch der Systeme untereinander im ganzen Produktlebenszyklusprozess können Informationen sofort wiederverwendet, modifiziert und zurückgespielt werden. Insgesamt erreicht man mit dieser Life Cycle Integration kurze Produktentstehungszeiten, eine schnellere Inbetriebnahme sowie eine hohe Zuverlässigkeit durch die optimale Auslegung der Antriebskomponenten sowie deren systematische Überwachung im Betrieb.
Sind Ihre Anwender somit in der angenehmen Lage, beispielsweise Antriebe nicht mehr programmieren sondern einfach nur mehr konfigurieren zu müssen?
Kienlein:
Das ist zum einen eine Frage der Datenanlage. Fakt ist, werden Daten einmal angelegt, so sind diese immer wieder zugängig und verwendbar. Und je mehr an Daten / Informationen im System vorhanden sind, desto einfacher gestaltet sich beispielsweise die Auslegung eines Antriebes und Anwender sind nicht mehr programmiertechnisch gefordert. Zum anderen sind Komponenten mehr und mehr mit Informationen von vornherein ausgestattet und tragen so dazu bei, nur mehr konfiguriert werden zu müssen. Summa summarum lautet die Devise dann Plug and Play. Das ‚Schöne’ und Effiziente daran ist, wie schon erwähnt, dass man sich mittels des TIA-Portals während eines Projektes nicht nur auf einer Ebene, wie der des Antriebsstranges bewegen kann, sondern eben Zugang und Anbindung an den gesamten Projekt-Life Cycle erhält.
Ponweiser:
Ein Beispiel dazu: Für ein Projekt werden die Antriebe eines Torque- und eines Servomotors ausgelegt – beide Antriebsauslegungen werden an die Simulationsabteilung weitergereicht. Diese checkt die ideale Performance beider Varianten für das Projekt per Simulation ab und gibt das Ergebnis den Antriebsauslegern bekannt. Diese sind somit binnen kürzester Zeit in der Lage, jenen Antrieb auszuwählen, der am effizientesten bezüglich Energieaufwand, Anschaffungskosten, Langlebigkeit etc. für das Projekt ist.
Denke ich da z. B. an die Sparte Werkzeugmaschinen, dann sind hier Entwickler gefordert, den hohen Grad an Anforderungen vielfältiger Achsbewegungen – die hohe Beschleunigungen und Genauigkeiten bis in den Mikrometerbereich hin verlangen – auf der Antriebs- wie Steuerungsseite zu lösen. Welche Vorteile darf sich ein TIA-Anwender künftig des auch vom Antriebsstrang bereicherten Portals erhoffen?
Ponweiser:
Dazu können wir bereits mit einer schönen Applikation die Vorteile für Anwender in der zerspanenden Branche aufzeigen: Mit unserem Kunden DMG haben wir eine Maschine entworfen, die von vornherein in einem CAD-System wie NX und Teamcenter entwickelt wurde. Dabei wurden die Bewegungsabläufe simuliert und auf Kollision und Performance getestet. Dies hatte den Vorteil, dass das Maschinendesign wesentlich schneller und zielgenauer als im klassischen Maschinenbau entwickelt werden konnte – die Einsparungen lagen hier gleich mal zwischen 40 und 80 %. Da alle Parameter, Daten und Zyklen der physischen Maschine als exaktes digitales Modell schon vorlagen, konnte diese auch der Endkunde nutzen. Besonders effektiv erwies sich dies beim Produktwechsel oder dem Neueinrichten der Maschine. Erst als im digitalen Prozessabbild alles passte, wurden die Einstellungen auf die reale Maschine übertragen. Das Testen, Variieren und Optimieren verlagerte sich in die virtuelle Welt. Auf diese Weise konnten Richt- und Umrüstzeiten in der Größenordnung von 30 bis 40 % eingespart werden. Für dieses Konzept bekam Siemens kürzlich sogar von DMG den Innovationspreis.
Das TIA-Portal von Siemens ist nun, wie Sie bereits erwähnt haben‚ gefüllt mit Anbindungen zu verschiedensten Siemens-Systemen, wie z. B. dem PLM-Bereich und dessen Produkten und nun neu dem gesamten Antriebsstrang. Doch kaum ein Maschinen-, Anlagenbauer oder -planer stattet seinen Maschinen- und Anlagenpark ausschließlich mit Siemens-Systemen und Produkten aus. Entscheidet sich nun ein Unternehmen für Ihre Automatisierungsplattform TIA, hat es dann dennoch Schnittstellen zu Systemen und Produkten ihrer Marktbegleiter?
Kienlein:
Nun ist es so, dass wir auf der Automatisierungsebene einer sehr überschaubaren Zahl an Marktbegleitern gegenüberstehen, die Systeme in der Größenordnung wie wir sie mit TIA bieten können, haben. Darüber hinaus wird sich ein Unternehmen, wenn es seine Anlagen durchgängig automatisieren will, nur für ein System entscheiden. Parallel sich eines zweiten Automatisierungssystems zu bedienen, macht für den Anwender keinen Sinn.
Anders gestaltet sich der Anbietermarkt auf der Produktebene – wie beispielsweise in der Antriebstechnik. Hier sieht sich Siemens mit einer ganzen Reihe an Mitbewerbern im Wettbewerb. Und ganz richtig, wie Sie andeuten, ist man mehr oder weniger gezwungen, seine Produkte offen zu gestalten, da kaum ein Anwender sich ausschließlich einer Produktmarke bedient. Somit basieren sämtliche Siemens Komponenten wie auch die Antriebe unseres gesamten Antriebsstranges auf Standards und gestalten sich grundsätzlich als offen gegenüber Steuerungen unserer hauptsächlichen Marktbegleiter. Mit der Simatic S7 hat Siemens seinen Weg ganz klar weg von proprietären Systemen hin zu offenen Standards eingeläutet und somit wurde in Folge auch unser Automatisierungssystem TIA offen gestaltet.
Dementsprechend aktiv bindet Siemens auch laufend TIA-Schnittstellen zu anderen System-Anbietern an. Ein gutes Beispiel hierfür ist die jüngste Anbindung zum CAE-Programm von EPLAN. Mit dieser offenen Strategie ist Siemens nun schon seit vielen Jahren auf der Produkt- wie Systemseite sehr erfolgreich unterwegs und wird diesen Weg weiterhin verfolgen.
Sehen Sie durch die Integration Ihres Antriebsstranges in TIA die Chance auf bestehenden Märkten schneller zu wachsen und auch den Zugang zu neuen Märkten zu erhalten?
Ponweiser:
Es ist weniger, dass die Zugängigkeit zu neuen Märkten für uns erleichtert wird, als dass Siemens stärker auf der Antriebsseite mittels seiner Integration in TIA punkten wird, da sich die Engineeringzeiten für Anwender des TIA-Portals um bis zu 30 % verkürzen werden.
Kienlein:
Letztlich bieten wir TIA-Anwendern nun auch ein ‚Mehr an Talk and Speed’ und ermöglichen Ihnen dadurch nicht nur Erleichterungen auf der Projektierungsebene sondern treiben ihre Produktion zu einem Mehr an Produktivität, Zuverlässigkeit und Effizienz. Und auf diese Weise wollen wir es Kunden leichter machen, sich schließlich für Siemens sowohl auf der System- wie auch der Produktseite zu entscheiden.
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