branchengeschehen

Interview mit Ing. Franz Chalupecky: Der Markt gibt die Richtung vor

Wir sprechen derzeit viel von Industrie 4.0. Von zukunftsweisenden Technologien, Entwicklungen und Berufsbildern, die die digitale Welt von morgen beherrschen werden. Aber liegen wir mit unseren Annahmen auch wirklich richtig? Ing. Franz Chalupecky, Vorstandsvorsitzender der ABB AG Österreich, warnt davor, am Markt vorbei zu mutmaßen. Außerdem verrät er ein paar Details darüber, wie sich ABB – u. a. personalmäßig – fit für die Zukunft macht. Das Gespräch führte Sandra Winter, x-technik

Zukunftsträchtige Innovationen – beispielsweise in den Bereichen künstliche Intelligenz oder kollaborative Robotik – werden bei ABB nicht nur in unternehmenseigenen Forschungszentren, sondern auch in zahlreichen Kooperationspartnerschaften mit Startups gefördert. (Bild: Daniel Auer)

Zukunftsträchtige Innovationen – beispielsweise in den Bereichen künstliche Intelligenz oder kollaborative Robotik – werden bei ABB nicht nur in unternehmenseigenen Forschungszentren, sondern auch in zahlreichen Kooperationspartnerschaften mit Startups gefördert. (Bild: Daniel Auer)

Ing. Franz Chalupecky
Vorstandsvorsitzender bzw. Country Managing Director der ABB AG Österreich

„„Die Digitalisierung bietet uns die Chance, effizienter zu werden und verloren gegangene Arbeitsplätze, Industrien oder Segmente wieder zurückzuholen nach Europa.““

Herr Chalupecky, Thema „Mitarbeiter 4.0“: Was kommt Ihnen bei diesem Thema als erstes in den Sinn?

Dass ich den Zusatz „4.0“ mittlerweile fast schon nicht mehr hören kann. Alles ist heute 4.0, obwohl wir es in Wahrheit mit einer natürlichen Weiterentwicklung zu tun haben.

Um aber auf Ihre eigentliche Frage zurückzukommen: Ich persönlich glaube, dass es eine der herausforderndsten und wichtigsten Managementfunktionen der Zukunft sein wird, die richtigen Leute – sprich Mitarbeiter und/oder externe Partner mit entsprechenden Kompetenzen – bei der Hand zu haben, wenn man diese braucht. Das klingt vielleicht banal, aber die Umsetzung dieses Ziels wird immer schwieriger.

Warum?

Das hängt mit vielen Aspekten zusammen: Einerseits war es früher leichter vorhersehbar, in welche Richtung sich der Markt entwickeln wird und welche Kompetenzen demzufolge aufzubauen sind in einem Unternehmen. Andererseits mangelt es uns generell an gut ausgebildeten Fachkräften, wodurch es immer schwieriger wird, freie Stellen im technischen Umfeld zu besetzen. Das spüren wir auch als ABB Österreich: Obwohl wir jeden Monat vier bis sechs neue Mitarbeiter aufnehmen, schaffen wir es seit Monaten nicht, die Pensionierungen, Abgänge sowie die Umstellungen auf Eltern- bzw. Altersteilzeit zu 100 % zu kompensieren. Dabei kooperieren wir nicht nur mit zahlreichen Headhuntern und Recruiting-Unternehmen, sondern auch mit einschlägigen HTLs, Fachhochschulen und Universitäten.

Das klingt so als hätte sich ABB Österreich eingehend mit der Frage beschäftigt, welche Fähigkeiten und Berufsbilder in Zukunft benötigt werden?

Ja, wir haben in den letzten eineinhalb Jahren ein Personalkonzept für die Zeitspanne 2018 bis 2025 erarbeitet und sind dabei wirklich in die Tiefe gegangen: Was wird von den Kunden nachgefragt? Welche Technologien und Dienstleistungsangebote befinden sich im Vormarsch? Wo sind wir Vorreiter? Wo könnten wir vielleicht noch zu einem Vorreiter werden? Sind wir personalmäßig aufgestellt für die Anforderungen von morgen? Welche Kompetenzen haben wir bereits im Haus und welche benötigen wir noch? Etc.

Zugegebenermaßen war ich etwas überrascht als bei dieser Status-Quo-Analyse herauskam, dass ungefähr die Hälfte aller Qualifikationen, die von unseren Business Units als essentiell für die Zukunft erarbeitet wurden, (noch) nicht verfügbar sind innerhalb unserer eigenen Reihen. Demnach lautet die „Gretchenfrage“ – wahrscheinlich nicht nur für uns, sondern auch für viele andere Unternehmen: Woher nehmen wir die benötigten Ressourcen? Das ist übrigens mit ein Grund, warum wir in der Vergangenheit verstärkt die Nähe zu technischen Ausbildungsstätten suchten und es freut uns natürlich ganz besonders, dass es ab Herbst dieses Jahres auch einen Robotik-Lehrgang gibt an der FH Wiener Neustadt.

Welche Fähigkeiten sind derzeit sonst noch besonders gefragt am Markt?

Spezialisten für das Thema Data Security beispielsweise, die wissen, wie man Daten bestmöglich vor Manipulation und unberechtigten, fremden Zugriffen schützt. Denn in einer zunehmend vernetzten (Produktions-)Welt MUSS die Integrität von Daten sichergestellt sein.

Wie lässt sich aus der gesammelten Datenmenge der größte Mehrwert für den Kunden erzielen? Das ist die nächste Frage, für die es eine entsprechende Expertise braucht. Mittlerweile stehen überall enorme Datenmengen zur Verfügung, jetzt geht es darum, diese möglichst gewinnbringend zu nutzen und gemeinsam mit den Kunden produktivitätssteigernde Maßnahmen auszuarbeiten. Dafür benötigen wir ebenfalls bestens ausgebildete Spezialisten, die Zusammenhänge durchschauen und erkennen, an welchen Schrauben zu drehen ist, um das Maximum herauszuholen aus einem Produktionssystem. Denn eine intelligente Nutzung des Zusammenspiels zwischen Sensorik und Informationstechnologie offeriert Möglichkeiten, die die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens beträchtlich erhöhen.

Weil Sie soeben die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen ansprachen: Was halten Sie eigentlich von der aktuellen 12-Stunden-Tag-Debatte?

Was soll ich sagen, bei ABB waren all diese Einwände und Bedenken, die von den Gewerkschaften und Gegnern einer weiteren Arbeitszeitflexibilisierung ins Spiel gebracht werden, noch nie Thema: Weil wir als Unternehmen, ich will nicht sagen alles, aber zumindest so viel wie möglich tun, um unsere Mitarbeiter zu halten. Das bedeutet diese entsprechend zu bezahlen, zu behandeln und Lösungen wie einen 10-, 11- oder 12-Stunden-Tag gemeinsam zu vereinbaren. Das ist für uns selbstverständlich, dafür benötigen wir kein Gesetz.

Meines Erachtens sollten wir uns viel mehr an den individuellen Wünschen und Leistungskurven unserer Mitarbeiter orientieren als daran, ob jetzt „offiziell“ Bürozeit ist: Es gibt nun einmal Frühaufsteher und Nachtmenschen, absolute Sonnenanbeter, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit den nächsten Badeteich suchen und Menschen, die an besonders heißen Tagen lieber ins kühle Büro flüchten, Eltern und kinderlose Paare bzw. Singles etc. – auf diese unterschiedlichen Lebenssituationen sollte auch die Arbeitswelt reagieren und eine gewisse eigeninteressegesteuerte Flexibilität zulassen können.

Apropos eigeninteressegesteuerte Flexibilität: In der letzten x-technik AUTOMATION meinte Professor Dr.-Ing. Wilfried Sihn von Fraunhofer Austria an dieser Stelle, dass er die Möglichkeit dazu auch im Ausbildungswesen vermisse – was sagen Sie dazu?

Stimmt, es bräuchte auch im Aus- und Weiterbildungsbereich wesentlich mehr Flexibilität, um die Anforderungen der Zukunft meistern zu können. Meiner Meinung nach müsse es vermehrt darum gehen, gewisse Wissensziele zu erreichen – wobei auf das individuelle Lerntempo jedes einzelnen Auszubildenden Rücksicht genommen werden sollte. Das könnte dann beispielsweise so aussehen, dass ein Schüler, der in Mathematik den Stoff, der eigentlich für einen Vierjahres-Block vorgesehen ist, bereits nach zwei Jahren beherrscht, nicht gebremst, sondern entsprechend gefördert und gefordert wird, während er in Englisch oder in anderen Fächern mehr Zeit zum Erlernen des als wichtig Erachteten bekommt. Aber so ein Ausbildungsansatz würde halt völlig andere Schulsysteme und -modelle verlangen als wir sie heute haben.

Wie würden Sie das bestehende Ausbildungssystem beurteilen?

Ideal wäre es natürlich, das Ganze auf der grünen Wiese neu aufsetzen zu können. Aber das spielt es leider nicht. Fakt ist: Das Innovationstempo ist aufgrund eines immer schneller fortschreitenden technologischen Wandels extrem hoch und mit dieser Entwicklung heißt es ausbildungsmäßig Schritt halten. Lebenslanges Lernen halte ich demnach für ein Gebot der Zeit und jeder sollte einen Zugang dazu erhalten.

Was ich persönlich sehr positiv finde, ist, dass immer mehr Ausbildner freiwillig die Nähe zur Industrie suchen, um herauszufinden, welche Fähigkeiten und Kompetenzen der Arbeitsmarkt tatsächlich benötigt. Denn da tut sich im Moment irrsinnig viel.

Wie weit gibt es in Österreich bereits Ausbildungen für das, was vermutlich gebraucht werden wird in Zukunft?

Meines Erachtens stehen wir derzeit vor einer enormen gesellschaftspolitischen Herausforderung. Wenn Sie sich den Arbeitsmarkt als Pyramide vorstellen, dann ist es vor allem deren oberer Bereich, sprich die Spitze, die von Unternehmen vermehrt nachgefragt wird: Das sind vor allem Techniker, Naturwissenschaftler, Datenspezialisten, gut ausgebildete Menschen, die komplex, flexibel und kreativ denken können und die Vernetzung verschiedener Disziplinen – beispielsweise Maschinenbau, Elektrotechnik, Rechtswesen, Marketing etc. – beherrschen. Solche Experten sind allerdings schwer zu finden.

Stattdessen ist es die Basis der Pyramide, die immer breiter wird, weil immer mehr schlecht ausgebildete Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen. Das Problem dabei: Das ist genau jener Bereich, wo es aufgrund des zunehmend schärfer werden globalen Wettbewerbs immer weniger Job-Angebote geben wird, weil produzierende Unternehmen – insbesondere in Hochlohnländern – fast schon dazu gezwungen sind, zu automatisieren. Schließlich müssen sie sich auf dem internationalen Parkett mit Ländern wie China oder Südkorea matchen.

Möchten Sie damit andeuten, dass uns diese Länder voraus sind?

ABB untersuchte gemeinsam mit der Zeitschrift The Economist die „Automation Readiness“ 25 verschiedener Länder. Das vielleicht auf den ersten Blick etwas überraschende Ergebnis: Es sind Südkorea, Deutschland und Singapur, die bei diesem Ranking die Nase vorne haben. Weiters finden sich Japan, Kanada, Estland, Frankreich, UK, die USA und Australien unter den Top Ten der am besten für die zu erwartenden Veränderungen der Arbeits- und Wirtschaftswelt gerüsteten Länder.

ABB selbst bereitet sich mit der Schaffung digitaler Arbeitsplatzbedingungen und einer intensiven Schulung der Mitarbeiter im Umgang mit digitalen Automations-Tools auf die Zukunft vor. Außerdem fördern wir Innovationen, z. B. in den Bereichen künstliche Intelligenz, kollaborative Robotik oder smarte, sensorik- und IT-gestützte Automation, nicht nur in unternehmenseigenen Forschungszentren, sondern auch in zahlreichen Kooperationspartnerschaften mit Startups. Um diese zu ermöglichen wurde extra eine Risikokapitalgesellschaft – ABB Technology Ventures – ins Leben gerufen. Denn eines ist klar: Für Einzelkämpfer wird es immer schwieriger. Es braucht immer öfter die Zusammenarbeit mit anderen Firmen, sprich mit wahren Experten eines bestimmten Faches, um die aktuellen Marktanforderungen abdecken zu können.

Ing. Franz Chalupecky
Vorstandsvorsitzender der ABB AG Österreich

„„Die Kunden bei ihrem Streben nach höchstmöglicher Produktivität umfassend zu unterstützen, das liegt uns in den Genen, das ist unsere DNA. Jede Forschungs- und Entwicklungstätigkeit bei ABB wird auf dieses Ziel ausgerichtet.““

Filtern

Suchbegriff

Unterkategorie

Firmen

Inhaltstyp

Firmentyp

Land