branchengeschehen
Die Industrie am Corona-Prüfstand
Mit anhaltendem Gegenwind war 2020 zwar zu rechnen – schließlich sagte die größte Netzwerkorganisation des europäischen Maschinenbaus, der VDMA, für dieses Jahr einen Produktionsrückgang von zwei Prozent voraus. Dass aber ein Virus auftauchen würde, der von heute auf morgen die ganze Welt auf den Kopf stellt, hatte wohl niemand am Radar. Demzufolge versuchte x-technik im Rahmen einer Umfrage zu eruieren, mit welchen Folgeerscheinungen der Corona-Pandemie die heimischen Betriebe derzeit am meisten zu kämpfen haben und welche Lösungsstrategien die vielversprechendsten sein dürften, um diese Krise einigermaßen gut zu durchtauchen. Von Sandra Winter, x-technik
Mit anhaltendem Gegenwind war 2020 zwar zu rechnen, aber nicht mit einem Virus, der von heute auf morgen die ganze Welt auf den Kopf stellt.
Es kam wie ein Paukenschlag aus dem Nichts. SARS-CoV-2, ein neuer Virentypus, der nicht nur die weltweiten Gesundheitssysteme auf den Prüfstand stellte, sondern auch die globalen Warenflüsse. Denn hier kam es zu erheblichen Beeinträchtigungen. Beim VDMA vermeldeten Mitte April mehr als 90 Prozent der Maschinenbauer angebots- bzw. nachfrageseitige Störungen. Und mehr als drei Viertel dieser Unternehmen erwarten auch für die nächsten drei Monate keine Entspannung der Situation. 28 Prozent rechnen sogar damit, dass sich die Lage weiter verschlechtern könnte. „Wenn JIT-Lieferanten nicht mehr lieferfähig sind, steht die Produktion“, weist ein Teilnehmer, der bei der x-technik Umfrage mitgemacht hatte, darauf hin, wie fragil perfekt gemanagte Supply Chains teilweise geworden sind, weil man sich „blind“ darauf verlässt, dass just-in-time auch grenzüberschreitend immer funktioniert. Nun, durch Corona wurden die Karten neu gemischt und wie es scheint ,denken derzeit etliche Unternehmen darüber nach, zusätzliche Bezugsquellen als Backup zu installieren.
Was die Entwicklung der Auftragslage betrifft, erwarten laut einer aktuellen Erhebung vom VDMA 43 Prozent der befragten Unternehmen eine Verschärfung der Situation. Und etwa 60 Prozent gehen von Umsatzrückgängen zwischen 10 und 30 Prozent für das Gesamtjahr 2020 aus. Die vom x-technik Fachverlag initiierte Untersuchung des Status quos in Industriebetrieben förderte ein ähnlich düsteres Bild zutage. Wir erhielten Antworten wie „Unsere Branche ist relativ stark betroffen“, „2020 wird ohne Zweifel ein extrem schwieriges Jahr für uns werden“, „Projektverschiebungen und Stornos bei Endkunden verursachen ein geringeres Produktionsvolumen in unseren Werken“, „Aufgrund von Produktionsengpässen und länderbezogenen Bestimmungen können Sublieferanten teilweise ihre Lieferungen nicht mehr garantieren“, „Das Zahlungsverhalten der Kunden verschlechtert sich“ etc., als wir zu eruieren versuchten, welche Spuren die Corona-Krise in Österreichs Industriebetrieben bis dato hinterließ. „Unsere Maschinenbau-Kunden haben ihre Tätigkeiten zurückgeschraubt oder komplett eingestellt. Das hat selbstverständlich auch Auswirkungen auf die Automatisierungsbranche, in der Sigmatek tätig ist. Aktuell haben wir noch genug Aufträge, um die Produktion auszulasten. Und unsere Entwicklungsabteilung ist ohnehin für die nächsten Jahre mit Projekten eingedeckt“, gibt Mag. Alexander Melkus, Geschäftsführer Entwicklung und Vertrieb, über den derzeitigen Stand bei Sigmatek Auskunft.
Ing. Franz Chalupecky, Vorstandsvorsitzender der ABB AG Österreich: „Um etwas Positives zu sehen: Die Geschwindigkeit der Digitalisierung der Industrie könnte durch diese Krise beschleunigt werden, da nun z. B. unterschiedlichste Remote-Lösungen, die wir unseren Kunden anbieten, für diese in Homeoffice-Szenarien von großem Vorteil sind.“ (Bild: Daniel Auer)
Unbeeindruckt von der Krise
Laut DI Gerald Schatz, CEO der Linz Center of Mechatronics GmbH, habe vor allem die Automotive-Branche und deren Zulieferindustrie momentan sehr zu kämpfen, wohingegen die Logistik-Branche beispielsweise aktuell geradezu boome. „Als Anbieter von F&E-Dienstleistung nimmt LCM wahr, dass viele Ideen für die Entwicklung neuer Produkte in den Herbst verschoben, aber nicht storniert werden“, berichtet er. Sick erwartet für das laufende Geschäftsjahr sogar trotz Corona ein Wachstum gegenüber 2019: „Da wir sehr häufig systemrelevante Produkte und Services liefern, spüren wir aktuell nur geringe negative Auswirkungen. Lediglich bei finalen Inbetriebnahmen und Serviceeinsätzen im internationalen Geschäft gilt es größere Herausforderungen zu meistern“, verrät DI (FH) Christoph Ungersböck, Geschäftsführer von Sick Österreich. Bei ABB geht man ebenfalls davon aus, dass man gestärkt aus der Krise herauskommen werde: „Wir haben einen Krisenstab eingerichtet, der alle unsere Maßnahmen koordiniert. Außerdem befinden wir uns in einem regelmäßigen Austausch mit unseren Kunden, Zulieferern, Geschäftspartnern und den zuständigen Behörden, um den Stand der Dinge kontinuierlich neu bewerten und entsprechend anpassen zu können“, beschreibt Ing. Franz Chalupecky, Vorstandsvorsitzender der ABB AG Österreich. Eine ähnliche Strategie verfolgt Stiwa. Der Krisenstab des Attnang-Puchheimer Familienunternehmens tagt täglich, um aktuelle Entwicklungen sofort reflektieren zu können und dabei Entscheidungen zu treffen. „Außerdem sind wir mit unseren langjährigen Geschäftspartnern bzw. Stammkunden im engen Kontakt, um diese Krise gemeinsam bestmöglich zu meistern. Diese Strategie des Miteinanders kommt uns aktuell sicherlich entgegen“, erklärt Ing. Mag. Peter Sticht, Geschäftsführer der Stiwa Holding.
Mag. Alexander Melkus, Geschäftsführer Entwicklung und Vertrieb bei Sigmatek: „Als sich die Corona-Epidemie Mitte Jänner in China auszubreiten begann, hat der Rest der Welt zugesehen und gehofft, dass dies ein chinesisches Problem bleibt. Hier hätte auf internationaler Ebene früher reagiert werden müssen.“
Produktionsstopp überwunden
Als größte Bedrohung für den „normalen Produktionsbetrieb“ wurden von den Teilnehmern unserer Umfrage derzeit vor allem zwei Dinge gesehen: Lieferketten, die aus welchen Gründen auch immer plötzlich nicht mehr funktionieren, sowie Corona-Erkrankungen im eigenen Betrieb. Letzteres war bei der Firma Engel der Fall. Am 10. März wurde ein Mitarbeiter des Großmaschinenwerks in St. Valentin positiv auf Covid-19 getestet, eine Woche später waren es insgesamt schon fünf bestätigte Corona-Infektionen, die das Unternehmen zu verzeichnen hatte. Am meisten betroffen war das Klein- und Mittelmaschinenwerk in Schwertberg. Die Geschäftsführung entschied sich demzufolge, das Stammwerk in Schwertberg bis einschließlich 15. April zu schließen und sowohl im Großmaschinenwerk in St. Valentin als auch im Roboterwerk in Dietach die Produktion, Fertigung und Montage bis zum 15. April zu unterbrechen. Nach den Osterfeiertagen konnten alle drei Werke wieder planmäßig hochgefahren werden. Vor diesem Neustart wurden allerdings neue, auf den Empfehlungen der Behörden basierende Rahmenbedingungen und Verhaltensrichtlinien entwickelt, um in allen Abteilungen ein sicheres Arbeiten zu ermöglichen. So wurden beispielsweise durch eine Staffelung der Arbeits- und Pausenzeiten die Personenströme begrenzt und die Sitzplätze in den Bürobereichen neu angeordnet, um einen Mindestabstand von 1,5 Metern zu anderen Personen sicher einhalten zu können.
Um eine weitere Ausbreitung von SARS-CoV-2-Viren in Österreich zu unterbinden, wurde hinter den Kulissen sehr viel umgestellt in den heimischen Betrieben. Bei Emco arbeiten Teile des Teams von zu Hause aus, um die Abstandsregelungen zu vereinfachen, wobei die Mitarbeiter, die zu einer Risikogruppe zählen, laut Dr. Ing. Stefan Hansch, CEO, eine besondere Berücksichtigung fanden. Bei Sigmatek wird auf persönliche Schichtübergaben verzichtet. Außerdem gibt es zwischen den Schichten eine halbe Stunde Versatz, damit die Umkleidebereiche sowie Toiletten gründlich gereinigt und desinfiziert werden können. Ähnliche Vorgehensweisen meldeten uns auch zahlreiche andere Firmen zurück. Das Thema Homeoffice ist durch die Corona-Krise ohnehin allerorts salonfähig geworden. Selbst jene Unternehmen, die sich in der Vergangenheit eher dagegen wehrten, schwenkten nun vollkommen selbstverständlich in Richtung vermehrtes Arbeiten von zu Hause aus um. Regen Gebrauch machten die von uns befragten Unternehmen auch von der Kurzarbeit. Zumindest in einzelnen Teilbereichen wurde nur allzu gerne auf diese Möglichkeit zurückgegriffen, um die wirtschaftlichen Folgen, die das neuartige Virus mit sich brachte, etwas abzufedern.
Vermehrte Rückkehr zu lokalen Produktionen
Der Steckverbinder-Spezialist Binder zeigt sich mit seinem breit gefächerten Produktportfolio, das eine Vielzahl an Branchen abdeckt, derzeit nicht von einer „erodierenden Wirtschaftslage“ betroffen, wie es der Vertriebsleiter der österreichischen Niederlassung ausdrückt. „Einerseits leisten wir als systemrelevanter Lieferant für Medizingerätehersteller einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der aktuellen Situation. Und andererseits kommt uns jetzt zugute, dass wir uns in der Vergangenheit aus gutem Grund gegen den Weg in eine Abhängigkeit entschieden haben. Als ein von traditionellen Werten geprägtes Familienunternehmen sind wir in Europa stark verwurzelt und produzieren ausschließlich an unseren eigenen Standorten in Deutschland, in der Schweiz, in Ungarn sowie hier in Österreich“, betont Ing. Martin Grabler.
Viele Unternehmen hatten nämlich in letzter Zeit damit zu kämpfen, dass ihnen die üblichen Lieferketten gekappt wurden. „In hochautomatisierten, digitalisierten Unternehmen reduzierte sich zwar die ‚Angriffsfläche' Mensch während der Corona-Krise und die damit verbundenen Maßnahmen entfielen, aber auch diese Firmen sind Teil eines internationalen Netzwerks von Zulieferern und Abnehmern und sind somit abhängig von funktionierenden Lieferströmen und Prozessen“, geht Emco-CEO Stefan Hansch davon aus, dass vermutlich jede Firma die Auswirkungen der Corona-Krise in irgendeiner Form zu spüren bekommt. Weiters denkt er, dass viele Unternehmen ihre bisherige Zuliefer-Strategie prüfen und vermehrt auf Produktionsstandorte in Europa setzen werden. In diese Tonart stimmt auch Dieter Ennsbrunner, Geschäftsführer von Wenglor Österreich, ein: „Wir sollten den Zusammenhalt innerhalb Europas stärken und die Abhängigkeiten von globalen Lieferketten und Drittstaaten hinterfragen“, schlägt er für die Zukunft vor. „Wir bieten gerade jetzt viele unserer Software-Lösungen bis zum Ende dieses Jahres kostenlos an, mit denen Anwender dabei unterstützt werden, ihr Tagesgeschäft und die Produktionslinien am Laufen zu halten, auch während sie von zu Hause arbeiten“, erläutert Ing. Franz Chalupecky, Vorstandsvorsitzender der ABB AG Österreich, die positiven Aspekte der Digitalisierung in Krisenzeiten. „Denn haben ist besser als brauchen“, bringt Mag.(FH) Ing. Georg Rausch, Geschäftsführer der Ing. Ludwig Rausch Ges.m.b.H., mit wenigen Worten eine der wichtigsten Lehren, die aus der Corona-Krise zu ziehen sind, perfekt auf den Punkt.
Corona brachte einen Digitalisierungsschub
Eine der wesentlichsten Verhaltensregeln, um Coronaviren Einhalt zu gebieten, lautet: Abstand halten. Mindestens ein bis zwei Meter, aber je mehr desto besser. Diese Aufforderung von offizieller Seite zum Distanz-wahren führte zu einer sprunghaften Zunahme digitaler Prozesse und Arbeitsweisen. Plötzlich wurde überall online konferiert, über Remote-Verbindungen aus der Ferne gewartet, mittels Webinaren geschult und einiges andere mehr. „Aber obwohl der Bedarf an verschlüsselten, sicheren und qualitativen Videokonferenzsystemen ein wesentlicher Entwicklungstreiber für die Zukunft sein wird, glaube ich nicht, dass das persönliche Gespräch vor Ort an Bedeutung verlieren wird“, sagt Ing. Martin Grabler, Vertriebsleiter bei Binder Austria. „Ob 5G, Drohnen oder AI: Am Beispiel China, aber auch bei vielen Technologien, die bei uns aktuell zur Anwendung kommen, erleben wir, wie der Coronavirus die Digitalisierung vorantreibt. In den unterschiedlichsten Bereichen wird eine große Anzahl intelligenter und informationsbasierter Lösungen eingesetzt, die zur Kontrolle von Epidemien und zur Wiederaufnahme der Arbeit beitragen“, bringt Dr. Ing. Stefan Hansch, CEO bei Emco, ein paar Beispiele dafür, inwieweit SARS-CoV-2 den Einsatz von Hightech ankurbelt.
Zum Thema „Was wir aus dieser Krise lernen sollten“ überlassen wir stellvertretend für alle, die dankenswerter Weise bei der x-technik Umfrage mitgemacht haben, Ing. Marcus Schellerer, Geschäftsführer von Rittal Österreich, das Schlusswort. Er meinte: „Es braucht Mut und Entschlossenheit, alternative Wege zu gehen und die Bereitschaft, diese einzuschlagen. Denn nichts ist selbstverständlich.“ Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
Teilen: · · Zur Merkliste