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ABB übernimmt Perle der Maschinen- und Fabrikautomation
Neues Kapitel für B&R: Mehr als nur gelungen kann man die Überraschung dieser Verkündung bezeichnen: ABB wird B&R übernehmen – oder, wie ABB-CEO Ulrich Spiesshofer sagte – die Perle der Maschinen- und Fabrikautomation. Für Kenner der automatisierenden Branche ist diese Meldung absolut nachvollziehbar. Ergänzen sich doch beide Unternehmen perfekt. So ist es auch kein Wunder, dass B&R unter dem Dach von ABB ein eigenes Unternehmen bleibt, wie B&R-Geschäftsführer Hans Wimmer im Gespräch mit der x-technik bekräftigt. Das Gespräch führte Luzia Haunschmidt / x-technik
Unser Firmenname, all unsere Produktnamen und selbst unser Marktauftritt bleiben zur Gänze erhalten – denn genau diese Werte möchte ABB auch übernehmen.
Hans Wimmer
Geschäftsführer B&R
„Unser Firmenname, all unsere Produktnamen und selbst unser Marktauftritt bleiben zur Gänze erhalten – denn genau diese Werte möchte ABB auch übernehmen.“
Herr Wimmer, die Übernahme von B&R durch ABB ist derzeit in aller Munde und überraschte selbst die Mitarbeiter beider Unternehmen. Seit wann erfolgten die ersten Überlegungen seitens B&R das Unternehmen zu verkaufen?
Schon in den vergangenen 30 Jahren erhielt B&R immer wieder Interessensbekundungen für eine Übernahme. Zu ABB gab es die ersten Kontakte vor ca. sechs Jahren – allerdings betrafen diese Gespräche nicht eine eventuelle Übernahme, sondern eine mögliche Zusammenarbeit. Als dann vor einigen Monaten die Zeit reif war, über die Art des Fortbestandes von B&R nachzudenken, haben unsere Inhaber, Erwin Bernecker und Josef Rainer, eine Möglichkeit gesucht, wie B&R auch künftig eine zentrale Position in einem neuen unternehmerischen Gefüge einnehmen kann.
All diese Voraussetzungen erfüllt ABB hervorragend. B&R füllt – wie Ulrich Spiesshofer selbst sagte – eine historische Lücke in ABBs Angebot. Zudem sicherte ABB zu, dass B&R eine zentrale Position im ABB-Konzern einnehmen wird. Wir werden künftig das weltweite Zentrum für Maschinen- und Fabrikautomation der ABB sein. Bei uns werden Forschung und Entwicklung, die Fertigung, die gesamte Portfolio-Definition, wie auch sämtliche Produktstrategien für diesen Bereich liegen. Unsere Tochterfirmen bleiben in der jetzigen Form bestehen und werden weiterhin an uns berichten. Somit bewahren wir unseren Zugang zum Markt, wie auch die Schnittstelle zu unseren Kunden.
Ist somit anzunehmen, dass die bestens eingeführten B&R-Produktnamen wie auch der Firmenname künftig erhalten bleiben?
So ist es! Unser Firmenname, all unsere Produktnamen und unser Marktauftritt in der Farbe Orange bleiben zur Gänze in der bekannten Art und Weise erhalten, da all diese Dinge einen hohen Wert repräsentieren. Immerhin steht B&R für technologische Innovation und für Führerschaft in der Industrieautomation, wenn es um Maschinen und Fabriken geht. Genau diese Werte möchte B&R bewahren und wegen diesen Werten wollte uns ABB übernehmen.
Wie wird dann künftig Ihrer beider Marktauftritt ersichtlich gemacht – werden Sie beispielsweise auf Messen, in der Medienkommunikation etc. weiterhin getrennte oder nun gemeinschaftliche Auftritte planen?
Über derartige Details wurde bis dato noch nicht gesprochen und somit auch nichts geplant. Das hat allerdings derzeit auch keine hohe Priorität für uns. Denn das Wichtigste ist, dass wir uns zuallererst um die Fortführung unserer Geschäfte kümmern, die Kunden bestens betreuen und die Märkte bearbeiten – das ist unser Fokus.
Kommen wir zum technologischen Teil. B&R unterhielt bis dato, z. B. im Feld der Robotik, Kooperationen mit entsprechenden Anbietern, welche allerdings Mitbewerber von ABB darstellen. Werden diese Kooperationen künftig gehalten?
Das ist sehr leicht zu erklären: Unsere Kunden bestimmen, welche Produkte sie wollen. Der Maschinenbauer wie auch der Endkunde entscheidet sich für ein bestimmtes Produkt von uns und für einen bestimmten Roboter. Unser Ziel ist es, dass der Kunde diesen Roboter bestmöglich in eine B&R-Automatisierungslösung integrieren kann. Und genau dieser Linie bleiben wir auch zukünftig treu! Natürlich werden wir in Zukunft auch ABB-Roboter stärker in unsere Automatisierungsumgebung integrieren. Das ist naheliegend, da ABB ein großer Anbieter ist und ein sehr breites Portfolio an Robotersystemen und, Kinematiklösungen hat. Wir werden unsere Kunden bei der Wahl der Robotiklösung jedoch nicht einschränken.
Nebst den Ergänzungen finden sich auch einige Felder der Überschneidungen – wie z. B. bei den Steuerungen oder auch in der Servotechnik. Wie beabsichtigt man hierzu den Markt künftig zu betreuen?
Nun, im Bereich der Servotechnik haben wir als B&R eine ausgezeichnete Position – dazu haben wir uns in gut 15 Jahren vom Newcomer zu einem führenden Hersteller aus eigener Kraft entwickelt – besitzen ein tolles Produktportfolio an Servoverstärkern und -motoren und werden dieses weiter entwickeln. Was die klassische Servoanwendungstechnik für Maschinenautomatisierung betrifft, sind wir der stärkere Part im Verbund mit ABB. Daher wird das viel kleinere Servoantriebstechnik-Portfolio von ABB in das Angebot von B&R integriert und weiter betrieben werden. Diese Aufgabe fällt klar in die Zuständigkeit von B&R. Ähnlich wird es auch im Bereich der Steuerungstechnik ablaufen. So werden die bestehenden Steuerungs-Teams von ABB mit denen von B&R zusammengelegt und wir werden die Produkthoheit übernehmen.
Wie sieht es im Prozessbereich aus? ABB und B&R sind beide in diesem Bereich aktiv.
In der Prozessindustrie ist der B&R-Fokus in den vergangenen Jahren deutlich Richtung Prozessdatenakquisition und Fabrikautomatisierung gewandert – hier haben wir Produkte, die ABB nicht hat. Die ABB-Produkte werden in großen Anwendungen, z. B. in Raffinerien, in der Öl- und Gasindustrie oder in der Schwerchemie eingesetzt. Was im prozesstechnischen Bereich noch interessant sein wird: ABB hat im Gegensatz zu B&R ein MES-System im Angebot. Da besteht die Möglichkeit, unsere Fabrikautomatisierung mit dem MES-System von ABB zu koppeln.
Auch was Industrie 4.0 und das Industrial Internet of Things betrifft, kann ABB mit seiner Ability-Plattform punkten. Dies ist ein Bereich von dem B&R sehr profitieren wird, da wir keine eigene Plattform-Lösung dafür haben. Hier bietet es sich geradezu an, dass wir z. B. unser Prozessleitsystem Aprol als Edge-Node, also in einer lokalen Cloud, platzieren und von dort an die zentrale ABB-Cloud anbinden.
Natürlich gilt für alle besprochenen Portfolios, dass wir nach der offiziellen Übernahme – dem Closing – Details zu den Abwicklungen und Handhabungen beschließen werden. Dazu liegt der Fokus unserer strategischen Entwicklungen klarerweise in der Erfüllung der Wünsche unserer Kunden.
Ein weiteres technologisches Feld ist der aus dem B&R-Unternehmen hervorgegangene Kommunikationsstandard POWERLINK, der über die Nutzergesellschaft EPSG, vorangetrieben wird. Ist die EPSG ebenfalls von der Übernahme ABBs in irgendeiner Form betroffen?
Es ist richtig, dass POWERLINK von B&R entwickelt wurde und wir auch heute im Verband der EPSG gemeinsam mit anderen Verbandsmitgliedern den Kommunikationsstandard weiter ausbauen. Da die EPSG jedoch seit ihrer Gründung im Jahr 2003 ein unabhängiger Verband ist, der völlig losgelöst von B&R agiert, ist dieser wie auch deren Technologie von der ABB-Übernahme in keinster Weise betroffen.
Dass die Mitarbeiter beider Unternehmen die Übernahme positiv empfinden, wurde eingehend bei Ihrer Pressekonferenz erläutert. Doch wie sieht die Realität der B&R-Mitarbeiter in nächster Zukunft aus – behalten sie allesamt ihre Jobs, ihre Positionen, gleiche Entlohnungen etc., oder erfolgt hierzu eine Anpassung an die Direktiven von ABB?
So wie wir dies in unserer Pressekonferenz bereits erläutert haben, stehen unsere Mitarbeiter der Übernahme durch ABB sehr offen gegenüber und gehen ausgesprochen optimistisch in diese neue Situation hinein. Ein entscheidender Hintergrund dafür ist, dass unser Wachstum von 1000 auf 3000 Mitarbeiter in sehr kurzer Zeit erfolgte und wir unsere Kultur trotz rasantem Wachstum auch über alle wirtschaftlichen Höhen und Tiefen stets erhalten konnten. Darüber hinaus beruht der Erfolg unseres Unternehmens auf dem besonderen Engagement unserer gesamten Mannschaft und dem von Beginn an sehr familiär gehaltenem Identitätsbewusstsein. So finden sich bei uns jede Menge Kollegen, die schon 10, 20 oder gar 30 Jahre bei B&R sind.
Somit bleiben das Management von B&R, die Mitarbeiter von B&R sowie alle strukturellen Bereiche mit ihren Positionen und ihren Wertvorstellungen erhalten und wir freuen uns alle sehr, mit ABB die Möglichkeit zu erhalten, noch weiter und schneller wachsen und unsere technologischen Innovationsbestrebungen steigern zu können.
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