interview

Optimierung elektrischer und pneumatischer Linearantriebe durch hybride Automatisierungssysteme

Bei der Entwicklung von Automatisierungssystemen stellte man sich immer die Frage: pneumatische oder elektrische Antriebe? Beide haben ihre Stärken. Erstere gelten als robust, benutzerfreundlich und kompakt, während Letztere als intelligent, dynamisch und präzise angesehen werden. Heute gibt es hybride Automatisierungssysteme. Im Gespräch mit Linda Schwartzen und Selcuk Sahin, beide Produktmarketingmanager AVENTICS-Aktuatoren bei Emerson, wurde deutlich, worin der klare Vorteil liegt.

„Hybride Systeme können energieeffizienter sein, wenn sie die jeweils am besten geeignete Antriebstechnologie für eine bestimmte Aufgabe verwenden.“Linda Schwartzen, Produktmarketingmanagerin AVENTICS-Aktuatoren bei Emerson

„Hybride Systeme können energieeffizienter sein, wenn sie die jeweils am besten geeignete Antriebstechnologie für eine bestimmte Aufgabe verwenden.“Linda Schwartzen, Produktmarketingmanagerin AVENTICS-Aktuatoren bei Emerson

Frau Schwartzen, Herr Sahin – Ganz allgemein: Was verbirgt sich hinter dem Begriff „hybrides Antriebssystem“ im Factory Automation-Umfeld?

Linda Schwartzen: Den Begriff „hybrid“ kennen wir im Alltag zum Beispiel vom Automobil: Der Wagen kann sowohl klassisch mit Kraftstoff als auch elektrisch betrieben werden. Im Factory Automation-Umfeld bezieht sich der Begriff „hybrides Antriebssystem“ üblicherweise auch auf eine Kombination aus verschiedenen Antriebstechnologien. Dabei arbeiten die integrierten Technologien zusammen, um eine effiziente und flexible Automatisierungslösung zu schaffen.

„Hybride Systeme können Anwendern eine Reihe von Vorteilen bieten – im Vergleich zu „reinen“ elektrischen oder pneumatischen Systemen.“Selcuk Sahin, Produktmarketingmanager bei Emerson

„Hybride Systeme können Anwendern eine Reihe von Vorteilen bieten – im Vergleich zu „reinen“ elektrischen oder pneumatischen Systemen.“Selcuk Sahin, Produktmarketingmanager bei Emerson

Das bedeutet, das Einsatzfeld solcher Systeme ist vielfältig?

Schwartzen: Richtig. Sie können etwa in Produktionsanlagen, Robotern, Fördersystemen und anderen automatisierten Maschinen eingesetzt werden. Der Vorteil eines hybriden Antriebssystems ist es, dass mehrere Technologien kombiniert werden wie z. B. elektrische und pneumatische Antriebe. Nehmen wir etwa einen (elektrisch angesteuerten) Roboter mit einem Pneumatikgreifer als Werkzeug. Durch die Kombination können hybride Antriebssysteme die Vorteile beider Antriebsarten nutzen und gegenseitig ihre Schwächen ausgleichen.

Die PACMotion-Steuerung: Die Servodrives und Servomotoren von Emerson kombinieren eine integrierte Bewegungs- und Maschinenlogiklösung mit der Leistung, Flexibilität und Skalierbarkeit, die für eine fortschrittliche Maschinenautomatisierung erforderlich sind. (Alle Bilder: Emerson)

Die PACMotion-Steuerung: Die Servodrives und Servomotoren von Emerson kombinieren eine integrierte Bewegungs- und Maschinenlogiklösung mit der Leistung, Flexibilität und Skalierbarkeit, die für eine fortschrittliche Maschinenautomatisierung erforderlich sind. (Alle Bilder: Emerson)

Und welches sind die Stärken von pneumatischen und elektrischen Antrieben?

Schwartzen: Elektrische Antriebe werden bevorzugt eingesetzt, wenn man eine hohe Präzision und Dynamik anstrebt. Die Betriebskosten sind – ob der guten Energieeffizienz – ebenfalls gut. Auch beim Ziel eher geräuschärmerer Betriebe werden diese gerne eingesetzt. Weiters sind sie bei erhöhten Anforderungen an ein Process Monitoring oder einer IIoT Capability zu wählen, denn elektrische Antriebe arbeiten leiser und benötigen von Haus aus integrierte Sensorik, deren Daten für Condition Monitoring oder sogar einen Schritt weiter in Predictive Maintenance genutzt werden können.

Selcuk Sahin: Betrachtet man vom Kostenaspekt insbesondere die Investitionsausgaben, sind pneumatische Systeme vorzuziehen. Sie sind – vom Footprint her betrachtet – unschlagbar und grundsätzlich schneller in Betrieb zu nehmen. Zudem sind sie sehr robust und damit für viele Anwendungen auch in rauerer Umgebung geeignet.

Emersons elektrischer Linearantrieb SPRA der AVENTICS-Serie bietet die verbesserte Belastbarkeit, Genauigkeit und Zuverlässigkeit, die Hersteller zur Maximierung der Produktivität benötigen.

Emersons elektrischer Linearantrieb SPRA der AVENTICS-Serie bietet die verbesserte Belastbarkeit, Genauigkeit und Zuverlässigkeit, die Hersteller zur Maximierung der Produktivität benötigen.

Nun sind die hybriden Automatisierungssysteme stärker in den Fokus gerückt. Welche Vorteile bieten diese den Anwendern?

Sahin: Hybride Systeme bieten eine Reihe von Vorteilen – im Vergleich zu „reinen“ elektrischen oder pneumatischen Systemen. Dies macht sie zu einer attraktiven Option für anspruchsvolle und flexible Automatisierungsanwendungen in verschiedenen Branchen. Sie sind wesentlich flexibler als rein pneumatische oder elektrisch betriebene Anwendungen. Bei linearen Bewegungen, etwa beim Schieben von Kisten von einem Förderband, ist ein Pneumatikzylinder zunächst am sinnvollsten. Wenn diese Kisten jedoch auf verschiedene Linien oder Positionen auf dem Förderband sortiert werden, ist ein elektrischer Antrieb mit mehreren Positionen angebracht.

Die Optimierung von Betriebsabläufen hängt in hohem Maße von Echtzeitdaten aus pneumatischen, elektrischen oder hybriden Antriebslösungen ab.

Die Optimierung von Betriebsabläufen hängt in hohem Maße von Echtzeitdaten aus pneumatischen, elektrischen oder hybriden Antriebslösungen ab.

Wie schaut es bei der Anwendung aus?

Sahin: Die Anwendungsmöglichkeiten hybrider Automatisierungssysteme sind deutlich breiter als bei rein pneumatischen oder elektrischen. Mit hybriden Automationssystemen müssen sich Unternehmen nicht zwischen Leistung, Flexibilität, Nachhaltigkeit, Konnektivität und Kosten entscheiden. Je nach den spezifischen Anforderungen einer Anwendung können sie die jeweils am besten geeignete Antriebsart nutzen. So kann ein hybrides System schnelle Bewegungen und hohe Geschwindigkeiten ermöglichen, während gleichzeitig präzise Positionierungen gewährleistet werden. Dadurch sind hybride Automatisierungssysteme in der Lage, eine breite Palette von Bewegungen und Funktionen effizient zu unterstützen.

Schwartzen: Den Aspekt der Energieeffizienz darf man nicht vergessen. Hybride Systeme können insgesamt energieeffizienter sein als rein elektrische oder rein pneumatische Systeme, wenn sie die jeweils am besten geeignete Antriebstechnologie für eine bestimmte Aufgabe verwenden.

Elektrische und pneumatische Linearantriebe haben unterschiedliche Vor- und Nachteile.

Elektrische und pneumatische Linearantriebe haben unterschiedliche Vor- und Nachteile.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Schwartzen: In einer Anwendung mit geringer Taktzahl, wo lange Haltekräfte benötigt werden, wie etwa eine Presse, ist Pneumatik die erste Wahl. Wenn der Druck einmal aufgebaut ist, muss dem System keine weitere Energie zugeführt werden. Ein elektrischer Antrieb müsste permanent bestromt werden, um die Achse in Position zu halten. Entsprechend gilt bei Anwendungen mit sehr hohen Taktzahlen, dass pneumatische Antriebe viel Energie benötigen, denn der pneumatische Zylinder benötigt für jeden auszuführenden neuen Hub Druckluft, die mit der nächsten Bewegung ausgeblasen wird. Bei hohen Taktzahlen arbeiten elektrische Antriebe daher energie- und damit auch kosteneffizienter. Außerdem bieten viele Servo-Antriebe die Möglichkeit, Energie, die zum Beispiel beim Abbremsen des Antriebs frei wird, wieder in das System zurückzuspeisen.

Findet ein weitgehender „Tausch“ pro hybrider Systeme statt oder gibt es bestimmte Branchen, die besonders auf eine Kombination setzen?

Sahin: Das ist schwer zu sagen. Es gibt einige Industrien, die bevorzugt pneumatische oder elektrische Systeme anwenden, aber auch hier hängt es immer von den spezifischen Anforderungen und Zielen einer bestimmten Anwendung ab. Die Frage ist ja: Was benötigt die Anwendung? Von welchen Eigenschaften der jeweiligen Technologie kann profitiert werden? In der Verpackungsindustrie, der Holzverarbeitung oder in der Schwerindustrie werden klassischerweise hauptsächlich pneumatische Systeme eingesetzt, da hier eine hohe Robustheit erforderlich ist.

Schwartzen: Elektrische Systeme werden traditionellerweise in der Elektronikindustrie sowie in der Halbleiterfertigung eingesetzt, da hier Präzision, Wiederholbarkeit, hohe Dynamik und eine fein abgestufte Geschwindigkeitskontrolle von großer Bedeutung sind. Wir haben in den letzten Jahren jedoch beobachtet, dass der Einsatz von hybriden Systemen zugenommen hat, besonders in der Automobil-, Verpackungs- und Lebensmittelbranche. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass der Automatisierungsgrad generell stark zunimmt und die Systeme immer leistungsfähiger werden. Des Weiteren gibt es auf dem Markt mittlerweile einige Hersteller, die ihren Kunden sowohl Lösungen für elektrische wie pneumatische Systeme anbieten. Denn das ist für den Kunden ein wichtiger Aspekt, um beide Technologien smart miteinander verbinden zu können.

Welche Rolle spielen die Nachhaltigkeitsaspekte, die auch die Industrie betreffen, hinsichtlich des Einsatzes hybrider Systeme?

Schwartzen: Nachhaltigkeitsaspekte spielen in der Industrie eine immer wichtigere Rolle. Persönliches Verantwortungsbewusstsein, die Kundennachfrage, behördliche Vorschriften sowie der Druck von Interessengruppen fördern diesen Trend. Viele Unternehmen gehen langfristige Verpflichtungen ein, die auf ehrgeizigen Netto-Null-Initiativen basieren. Dies beeinflusst dann auch Entscheidungen bei der Auswahl der Automatisierungssysteme. Da hybride Systeme die Vorteile der integrierten Technologien nutzen, bietet dies durchaus einen Vorteil in puncto Energieeffizienz und damit auch in der Nachhaltigkeit.

Welche weiteren Trends treiben den Einsatz hybrider Systeme an?

Sahin: Industrie 4.0 ist ein Trend, der hybride Systeme bevorzugt. Hersteller arbeiten nun mit intuitiven Benutzeroberflächen digitaler Systeme und erwarten die gleichen digitalen Möglichkeiten auch von den eingesetzten industriellen Systemen. Eine optimale Voraussetzung für hybride Systeme, denn sie bieten Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, um komplexe, vernetzte und automatisierte Prozesse zu unterstützen. Ein weiterer Trend ist der zunehmende Einsatz von KI. Die Integration von KI und maschinellem Lernen in die Automatisierung ermöglicht eine optimierte Steuerung und Regelung von hybriden Systemen. Intelligente Algorithmen können die Leistungsfähigkeit und Effizienz der Antriebssysteme weiter verbessern. Angesichts des Arbeitskräftemangels und Lieferkettenproblemen stehen Industrieunternehmen hier auch unter Zugzwang.

Wie schaut es mit dem Kosten-Benefit aus?

Schwartzen: Hybride Systeme können kosteneffizienter sein als reine elektrische Systeme, insbesondere wenn sie weniger komplexe und Cap-Ex-intensive elektrische Komponenten verwenden; sie können auch kostengünstiger sein als rein pneumatische Systeme, da sie die Vorteile der Energieeffizienz und Präzision von elektrischen Antrieben nutzen. Es kommt also darauf an, in welchem Kontext hybride Systeme genutzt werden, um die Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit richtig einschätzen zu können. Hybride Systeme bieten etwa die Flexibilität, individuelle Kundenanforderungen und Produkte zu berücksichtigen. Unternehmen können auf diese Weise Kosten für speziell angefertigte Maschinen und Anlagen sparen und dennoch maßgeschneiderte Lösungen anbieten.

Insgesamt zeigt sich, dass hybride Automatisierungssysteme eine vielversprechende Option für Unternehmen darstellen, die in der modernen industriellen Fertigungsumgebung agieren. Stimmen Sie dem zu?

Schwartzen: Ja, denn angesichts der sich stetig weiterentwickelnden Landschaft der Industrie 4.0 wird es spannend sein zu sehen, wie sich hybride Antriebssysteme weiterentwickeln und welchen Beitrag sie zur Effizienzsteigerung und Innovation in der industriellen Fertigung leisten werden.

Vielen Dank für das Gespräch.

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