interview
Mit SPS-Virtualisierung zu modularisierten Steuerungskonzepten
Seit beinahe 70 Jahren sind speicherprogrammierbare Steuerungen (SPS) die Herzstücke von Maschinen, Anlagen und Fabrikautomationssystemen. Diese werden immer öfter modular aufgebaut. Zugleich steigen die Anforderungen an die Datenverarbeitung und -kommunikation. Im Interview erklärt Lukas Punzenberger, Director Product Management bei Copa-Data, wie zenon Logic als Soft-SPS Maschinen- und Anlagenentwicklern ermöglicht, in der Steuerungstechnik einen dezentralen statt zentralistischen Ansatz zu verfolgen. Und warum der SPS-Virtualisierung die Zukunft gehört.
„Mit der Soft-PLC zenon Logic lassen sich Steuerungsaufgaben fein granular aufteilen und auf beinahe beliebiger Hardware verteilt ausführen, von der Maschinenebene über die Edge bis zur Cloud. Das ermöglicht nicht nur die PLC as a Service (PLCaaS), sondern eliminiert Einschränkungen bei der Wahl der jeweils besten Lösung.“ Lukas Punzenberger, Director Product Management bei Copa-Data.
Digitalisierung und Modularisierung sind essenzielle Erfolgsfaktoren für automatisierte Produktions- und Verpackungsanlagen. Deshalb ist der klassische, zentralistische Aufbau industrieller Steuerungssysteme längst dezentralen Architekturen gewichen. Dabei erfolgen die Datenverarbeitung und -kommunikation nicht mehr nur auf einem zentralen Steuerrechner. Dieser teilt sich die Aufgaben mit spezialisierten Einheiten, etwa für die Bildverarbeitung, mit Steuerungen in den immer häufiger autonom arbeitenden Teilanlagen oder Maschinenmodulen, mit Edge-Devices, mit externen Services im firmeneigenen Rechenzentrum oder in der Cloud und mit übergeordneten Leitsystemen.
Angesichts flexibler, modularer Maschinen und Anlagen hat die klassische Automatisierungspyramide ausgedient. Statt zentralistischer Steuerungsarchitekturen sind dezentrale Lösungsansätze gefragt. Diese lassen sich mittels virtueller SPS realisieren.
Herr Punzenberger, Sie sind in der Branche noch nicht allgemein bekannt. Bitte stellen Sie sich kurz vor.
Sehr gerne. Nach meinem Studium in Computerengineering an der TU Wien habe ich bei einem Systemintegrator in der Schweiz gearbeitet, dem Copa-Data-Gold-Partner ControlTech Engineering AG in Liestal nahe Basel. Dort ging es um Implementierungen der Softwareplattform zenon für die Pharmaindustrie. Seit Ende 2023 leite ich das Produktmanagement bei Copa-Data, dem von meinem Vater Thomas Punzenberger gegründeten Softwarehersteller für industrielle Digitalisierung und Automatisierung.
zenon Logic nutzt bestehende IT-Technologien, bietet neben der Möglichkeit zur Programmierung nach IEC 61131 auch eine Python-Integration und Docker-Container für die logischen Blöcke.
In jüngster Zeit haben mehrere Steuerungshersteller virtuelle SPS vorgestellt. Was sagen Sie dazu?
Virtuelle SPS sind an sich nichts neues. Seit mehreren Jahrzehnten gibt es von zahlreichen Anbietern unter der vom englischen ‚Programmable Logic Controller‘ (PLC) für SPS abgeleiteten Bezeichnung Soft-PLC reine Softwaresteuerungen, die von der Hardware unabhängig sind. Sofern sowohl die SPS-Logik als auch das Applikationsprogramm in reiner Software vorliegen, kann eine Soft-PLC auf weitgehend beliebiger Hardware verwendet werden. Dann spricht man von einer virtuellen SPS.
Beim Retrofit bestehender Anlagen erleichtert die SPS-Virtualisierung den Umgang mit zusätzlicher Sensorik und Aktorik in und zwischen den Maschinen, da dafür die vorhandenen Steuerungen nicht modifiziert werden müssen.
Hat auch Copa-Data eine virtuelle SPS im Programm?
Tatsächlich hat Copa-Data bereits seit über 20 Jahren unter der Bezeichnung zenon Logic eine mit dem Standard IEC 61131-3 kompatible Soft-PLC im Programm. Diese ist hardwareunabhängig und lässt sich dadurch als virtuelle SPS nutzen. Programme und Funktionen können auf jeder Ebene ausgeführt werden, sofern die Hardware eine PC-ähnliche Architektur aufweist. Im Vordergrund steht für uns immer die Flexibilität für den Anwender. Dieser hat keine Einschränkung bei der Wahl der jeweils besten Lösung.
Wie weit reichen die Virtualisierungsmöglichkeiten von zenon Logic?
Je nachdem, wo es betrieblich sinnvoller ist, kann zenon Logic auf einer SPS oder einem Industrie-PC direkt in der Maschine laufen, auf einem Edge-Device in einem maschinennahen Schaltschrank, im firmeninternen Serverraum, im Konzern-Rechenzentrum oder überhaupt auf Infrastructure as a Service (IaaS) bei einem überregional tätigen Cloud-Anbieter. Um die Bereitstellung der SPS-Funktionalität plattformunabhängig zu vereinfachen, arbeiten wir aktuell daran, zenon Logic in Docker-Container verpackt anzubieten. Diese lassen sich leicht als Dateien transportieren und installieren und gewährleisten so die Trennung und Verwaltung der auf einem Rechner genutzten Ressourcen. Das macht die Möglichkeiten zur Virtualisierung von zenon Logic, aber auch zur Zusammenführung von OT und IT tatsächlich grenzenlos.
Was unterscheidet zenon Logic noch von anderen virtuellen SPS?
zenon Logic ist ein integrierter Bestandteil unserer Softwareplattform zenon für die umfassende Anlagenautomatisierung. Dadurch kann die Soft-PLC ohne Mehraufwand bei der Konfiguration auch in größere Projekte integriert werden.
Was bringt es, SPS-Funktionalität in ein übergreifendes zenon-Projekt einzubetten?
Das volle Potenzial der Digitalisierung und Automatisierung auszuschöpfen, indem man Maschinen und Anlagen verbindet und als Gesamtanlage beobachtet, analysiert und steuert, ist Zweck und Funktion der Softwareplattform zenon. Projekte können dabei über die zenon IIoT Services auch Maschinen und Anlagen an entfernten Standorten sowie beispielsweise die Gebäudeleittechnik oder Energieanlagen und die Verbindung zur IT einschließen. Zu den Stärken von zenon gehört neben der Branchen- und Hardwareunabhängigkeit auch die Interoperabilität auf allen Ebenen. Die Softwareplattform ist mit allen gängigen Industrie-Steuerungen, Feldbussen und Varianten von Industrial Ethernet sowie OPC UA-kompatibel. Darüber hinaus erfüllt sie branchenspezifische Normen, etwa für die Energieerzeugung und -verteilung. Innerhalb dessen ist zenon Logic eine Art Wunderwaffe, denn sie ermöglicht es, an beliebiger Stelle im Gesamtsystem SPS-Funktionalität zu implementieren, ohne Hardware zu installieren oder in bestehende Subsysteme einzugreifen.
Können Sie uns dafür einen Anwendungsfall nennen?
Obwohl die Softwareplattform zenon bereits native Schnittstellen als Treiber zu mehr als 300 verschiedenen Geräten und Systemen mitbringt, kann ein Zwischenschritt sinnvoll sein. Dabei dient die Soft-PLC als prozessnahe Komponente zum Ansprechen der Sensoren, zur Vorverarbeitung der von den Sensoren gelieferten Daten und zur direkten Ansteuerung von Aktoren, die zeitnah reagieren sollen. Dabei kann das Engineering im übergeordneten Gesamtsystem erfolgen. Die Programmausführung erfolgt außerhalb der eigentlichen Maschinensteuerung und belastet diese daher nicht.
In welchen Fällen kann das nützlich sein?
Vor allem beim Retrofit erleichtert dies den Umgang mit zusätzlicher Sensorik und Aktorik. Um Bestandsanlagen für die Industrie 4.0 zu ertüchtigen, ist es oft erforderlich, in und zwischen den Maschinen zusätzliche Sensoren zu verbauen. Dabei ist es oft nicht praktikabel, diese in die vorhandenen Steuerungen zu integrieren. Zudem wäre das in vielen Fällen nicht ohne ein erneutes Durchlaufen von Zertifizierungsvorgängen möglich. Schließt man die Sensoren direkt oder über zenon Logic an zenon an, müssen die existierenden CPUs und die darauf laufenden Programme in der Regel überhaupt nicht modifiziert werden.
Muss man ein komplexes zenon-Projekt aufsetzen, um von den Vorteilen einer Soft-PLC zu profitieren?
Keineswegs. Mit zenon Logic können Anwender ganz klein beginnen. So können sie etwa ihre Anlagen mit einer Handvoll zusätzlicher Sensoren und Aktoren effizienter oder nachhaltiger machen oder die OT/IT-Konvergenz herstellen. Sie könnten aber auch die bisherige SPS in einer Maschine oder einem Modul durch einen Buskoppler ersetzen und die zentrale CPU auf einer virtuellen Maschine installieren. Das würde nicht nur eine gewisse Kostenersparnis bringen. Auch im Hinblick auf die Instandhaltung hätte der Entfall spezifischer Steuerungshardware und des damit verbundenen Wartungsaufwandes Vorteile.
Was bringt das für den Bau modularer Maschinen und Anlagen?
Eine der größten Veränderungen gegenüber der klassischen SPS-Technik ist die Möglichkeit, Aufgaben sehr feingranular zu verteilen. Da die Hardwarebindung wegfällt, kann man statt einer SPS mit vielen Aufgaben viele Instanzen von zenon Logic vorsehen, die im Extremfall nur je eine Aufgabe erledigen. Damit lässt sich die Gesamtaufgabe in handliche Stücke teilen. So können Anwender die Steuerungsaufgabe modularisieren. Das unterstützt nicht nur die Modularisierung von Maschinen und Anlagen, sondern auch deren dynamische Rekonfiguration während des Betriebes, um sich auf veränderte Anforderungen einzustellen. Nur damit ist das eigentliche Ziel von adaptiven Produktionsanlagen nach den Grundsätzen von Industrie 4.0 zu erreichen.
Unterstützt das auch die Skalierbarkeit von Maschinen und Anlagen?
Selbstverständlich. Schon allein nicht von vorn herein wissen zu müssen, was später an Hardware benötigt wird, ist ein Vorteil. Zusätzlich können die einzelnen Instanzen der Soft-PLC je nach den Erfordernissen beispielsweise hinsichtlich Echtzeit-Datenübertragung auf verschiedene Hardware portiert werden. Um das für Anwender noch einfacher realisierbar zu gestalten, nutzen wir bestehende IT-Technologie (Cloud-Standards, Data Center Standards) und verpacken die logischen Blöcke in Docker-Containern. Sofern die Hardware das unterstützt, ist das der einfachste Weg und macht es wesentlich leichter, zu skalieren, etwa wenn ein Teilprozess mehr Rechnerleistung braucht.
Brauchen Maschinen- oder Anlagenbauer dafür nicht knappe und teure IT-Spezialisten?
Personen, die sich mit klassischer SPS-Technologie gut auskennen, sind heute viel weniger leicht zu finden als Softwareentwickler, die mit außerhalb der industriellen Automatisierung verbreiteten Technologien vertraut sind. Deshalb haben wir die Hochsprachen-Unterstützung unserer Soft-PLC erweitert. Diese umfasst neben der Möglichkeit zur Programmierung nach IEC 61131-3 auch eine Python-Integration. Generell gilt ja für zenon das Prinzip „Konfigurieren statt Programmieren“, das sich jedoch für SPS-Funktionalität nicht lückenlos anwenden lässt.
Welches sind für Sie die hauptsächlichen Benefits der virtuellen SPS?
Neben der Ersparnis durch den Entfall der dedizierten Steuerungshardware ist das vor allem der wesentlich größere Freiheitsgrad bei der Gestaltung von Maschinen oder Anlagen. Man kann die Systemgrenzen dort einziehen, wo der User-Benefit liegt. Die Entwicklungsaufgabe lässt sich wesentlich einfacher auf mehrere Schultern verteilen. Zusätzlich können Produktentwickler einfacher heutige Methoden nutzen wie den Digital Twin für Simulation und Tests bis hin zur virtuellen Inbetriebnahme. All das hilft dabei, Umsetzungszeiten zu verkürzen sowie Fehler und Nacharbeit zu vermeiden. Zusätzlich eröffnet die Virtualisierung ganz allgemein, noch mehr aber die Containerisierung, die Möglichkeit, zentrale Teile der industriellen Steuerungs- und Automatisierungstechnik mit etablierten Mitteln der IT zu betreiben und zu warten.
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