interview

Wie sieht Hilscher den Generationswechsel bei Netzwerk-Chips?

Sichere industrielle Kommunikation für Gigabit-Ethernet: Aktuelle Entwicklungen führen zu einem rasanten Anstieg der Anforderungen an die industrielle Kommunikation. Diesem Trend begegnet Hilscher mit der Ankündigung einer neuen Generation seiner multiprotokollfähigen Kommunikationsprozessoren. Die neue Generation netX 900 wird den steigenden Bedarf an Übertragungsbandbreite und Informationssicherheit abdecken und soll sich auch künftige Anforderungen abdecken. Über die Hintergründe dazu spricht im Interview Hilscher-CTO Thomas Rauch.

Die netX-900-Technologie von Hilscher bietet maximale Unterstützung für industrielle Kommunikation über Gigabit Ethernet mit maximaler Security und ergänzt den weiter bestehenden netX 90. Thomas Rauch, Chief Technology Officer (CTO) der Hilscher Gesellschaft für Systemautomation mbH

Die netX-900-Technologie von Hilscher bietet maximale Unterstützung für industrielle Kommunikation über Gigabit Ethernet mit maximaler Security und ergänzt den weiter bestehenden netX 90. Thomas Rauch, Chief Technology Officer (CTO) der Hilscher Gesellschaft für Systemautomation mbH

Herr Rauch, nicht allen unseren Lesern ist Hilscher ein Begriff. Bitte geben Sie uns einen kleinen Abriss!

Bereits seit 1986, also seit beinahe 40 Jahren, ist Hilscher eine feste Größe der industriellen Kommunikationstechnik und gehört zu den führenden Technologie- und Lösungsanbietern auf diesem Gebiet. Zentrales Element unserer Lösungen zur Integration in Maschinen und Gesamtsysteme auf Chip-, Modul- und Systemebene sind unsere multiprotokollfähigen netX-Kommunikationsprozessoren.

Die neue Generation netX 900 deckt im Maschinen- und Anlagenbau nach den Grundsätzen von Industrie 4.0 den steigenden Bedarf an Übertragungsbandbreite und Informationssicherheit ab.

Die neue Generation netX 900 deckt im Maschinen- und Anlagenbau nach den Grundsätzen von Industrie 4.0 den steigenden Bedarf an Übertragungsbandbreite und Informationssicherheit ab.

Worum handelt es sich bei den netX-Kommunikationsprozessoren?

Die netX-Familie umfasst unsere eigens entwickelten Kommunikationsprozessoren, die sowohl für Controller- als auch als für Device-Anwendungen generische Funktionen für die Datenakkumulierung und -übertragung beherrschen, ohne auf ein bestimmtes Protokoll festgelegt zu sein. Die Ertüchtigung für ein bestimmtes Protokoll erfolgt mittels Firmware. Durch diese flexible Architektur können die Anforderungen der Kommunikationsprotokolle auf der Software-Ebene abgebildet werden. Das hat den Vorteil, dass Geräte-, Maschinen- und Systemhersteller flexibel auf zukünftige Anforderungen reagieren können.

Zusätzlich kann so in vielen Fällen für alle relevanten und möglicherweise von Kunden vorgeschriebenen Varianten von Industrial Ethernet als auch Feldbustechnologien dieselbe Hardware verbaut werden. Diese Möglichkeit reduziert erheblich den Aufwand bei Entwicklung, Logistik, Produktion und Test.

Wie die bisherigen und weiterhin angebotenen netX-90-Kommunikationsprozessoren, sind auch die netX-900-Chips multiprotokollfähig.

Wie die bisherigen und weiterhin angebotenen netX-90-Kommunikationsprozessoren, sind auch die netX-900-Chips multiprotokollfähig.

Ist die netX-Technologie allgemein anerkannt?

Unternehmen, die Lösungen für die industrielle Automation schaffen, schätzen die Unabhängigkeit von den Protokoll-Präferenzen ihrer Kunden, die ihnen die netX-Technologie gibt. Und sie profitieren davon, dass wir komplette Kommunikationslösungen aus einer Hand liefern, von der Hardware über die Firmware bis hin zu Software und Konfigurationstools. Hardware und Software, die von unterschiedlichen Herstellern bezogen wird, hat oft den Nachteil, dass sie nicht 100 Prozent kompatibel sind. Das Problem haben Kunden von uns mit netX nicht. All dies hat dazu geführt, dass bis heute bei weltweit ca 3.000 Kunden über 24 Millionen netX-Knoten im Feld verbaut wurden. Und täglich werden es mehr.

Im Early-Adopter-Programm mit dem netX 902 als Companion-Chip bietet das passende Sockelboard (Bild zeigt vorläufigen Entwicklungsstand) ein umfangreiches, komplettes Ökosystem mit Hard- und Software.

Im Early-Adopter-Programm mit dem netX 902 als Companion-Chip bietet das passende Sockelboard (Bild zeigt vorläufigen Entwicklungsstand) ein umfangreiches, komplettes Ökosystem mit Hard- und Software.

Was veranlasst Hilscher dazu, einen technologischen Sprung anzukündigen?

Vor allem durch Bildverarbeitungssysteme und Anwendungen der künstlichen Intelligenz steigen die Anforderungen an die Übertragungsbandbreiten in Industriemaschinen und -anlagen rapide an. Wir halten GbE für ein wichtiges Zukunftsthema, da es uns und unseren Kunden zusätzliche Anwendungen ermöglicht, um noch effizienter zu produzieren.

Zugleich erfordern zunehmend offenere Systeme rigide Maßnahmen zum Schutz vor Datenmissbrauch und erpresserischer Sabotage. Wir sind davon überzeugt, dass die Anforderungen an die Datensicherheit ebenso rapide zunehmen werden wie diejenigen an die Bandbreite. Deshalb wird auch in Bezug auf GbE und Security gelten, was bisher galt, nämlich dass bei Hilscher alles aus einer Hand kommt.

Die netX-900-Technologie unterstützt Gigabit und Security im industriellen Kontext und ist nicht Ablösung, sondern Ergänzung für netX 90.

Alle Bilder: Hilscher

Die netX-900-Technologie unterstützt Gigabit und Security im industriellen Kontext und ist nicht Ablösung, sondern Ergänzung für netX 90. Alle Bilder: Hilscher

Welche Umstände führen Ihrer Ansicht nach zu diesem starken Anstieg der Anforderungen an die Security?

Im Interesse einer sicheren Produktion beschäftigt uns das Thema Security schon lange, und es wird zunehmend wichtiger. Schätzungen zufolge erfolgen täglich rund 400.000 Cyber-Attacken. Zugleich sind laut Cybersecurity Readiness Index von Cisco nur rund 20 % der Unternehmen hinreichend gegen solche Angriffe abgesichert. Unter anderem deshalb hat die EU-Kommission im September 2024 den Cyber Resilience Act (CRA) verabschiedet. Dieser setzt die Feldbustechnologien erheblich unter Druck. Die gute Nachricht ist, dass die Zertifizierung des Maturity Level 3 nach der IEC 62443 bei Hilscher bereits zu 70 % implementiert und dokumentiert ist und sowohl netX 90 als auch die netX-900-Technologie CRA-ready sind.

Wie haben wir uns die Kombination von GbE und Security vorzustellen?

Analog zur seinerzeitigen Einführung von netX 90 wird die Basistechnologie von netX 900 sowohl heutige als auch zukünftige industrielle Gbit-Standards abdecken. Dazu werden die Chips eine verbesserte Switch-Architektur und erweiterte Schnittstellen aufweisen. Die Sicherheitsverarbeitung erfolgt dabei getrennt von der eigentlichen Kommunikation, aber embedded, also direkt auf dem Chip.

Dieser weist 22 µm Strukturbreite auf und enthält unter anderem zwei ARM Cortex CPUs, sodass er solche Aufgaben ohne Performance-Einbußen erledigen kann. Das ermöglicht CRA-konforme Implementierungen und, mit Verschlüsselungseinheiten direkt im Datenpfad, eine sichere Echtzeitkommunikation durch On-the-Fly-Encryption.

Wann und in welcher Form erfolgt die Einführung der neuen Technologie?

In der zweiten Jahreshälfte 2025 startet mit ausgewählten Kunden unser Early-Adopter-Programm mit dem ersten Prozessor der neuen Serie, dem netX 902 als Companion-Chip. Dabei bietet das Sockelboard der netX-900-Generation ein umfangreiches, komplettes Ökosystem mit Hard- und Software. Als erstes Serienprodukt wird zu Jahresbeginn 2026 das auflötbare netRAPID NRP 902 auf den Markt kommen und eine schnelle Integration ermöglichen.

Welches werden die ersten Prozessoren der Serie sein?

Starten werden wir im Markt mit dem netX 902. Die Ziffer 2 an der Einerstelle steht für die zwei verfügbaren Kommunikationskanäle des Controllers. Die Zehnerstelle gibt die Anzahl Applikations-Prozessorkernen an. Naheliegenderweise wird als nächstes Produkt der netX 912 folgen, da kann ich Ihnen allerdings noch keine Angaben zur Verfügbarkeit machen.

Welche Protokolle wird netX 900 unterstützen?

netX 900 wird alle Echtzeitprotokolle mit einiger Verbreitung unterstützen. Dazu gehören neben den Gigabit-Protokollen Profinet TSN, EtherNet/IP TSN, EtherCATG, CC-LinkIE TSN und OPC UA TSN auch Standard-Industrial-Ethernet-Technologien wie PROFINET, EtherCAT und EtherNet/IP. Zumindest zu Beginn wird es jedoch keine Unterstützung für POWERLINK, Sercos oder Varan geben. Das kann sich natürlich jederzeit durch das Auftreten eines größeren Bedarfs ändern.

Wie schnell werden Gigabit-Technologien bestehende 100-Mbit-Technologien verdrängen?

Aufgrund der höheren Kosten und Energieverbräuche rechnen wir damit, dass beide Technologien sehr lange nebeneinander Bestand haben werden. In der Tat gehen wir davon aus, dass auch in fünf Jahren noch mehr 100-Mbit-Geräte als Gbit-Geräte entwickelt werden. Deshalb wird die GbE-fähige netX-Technologie die aktuellen Produkte rund um netX 90 nicht ersetzen, sondern ergänzen. netX 90 ist nach wie vor der beste Multiprotokollchip für Mbit-Device-Anwendungen.

Sind die Kommunikationsprozessoren der Serie netX 900 pinkompatibel zu den netX-90-Chips?

Nein, das wäre angesichts der anderen Architektur, aber auch aufgrund anderer abweichender Anforderungen nicht ohne weiteres möglich. Da sich auch die Außenbeschaltung stark unterscheiden muss, um die Vorteile der neueren Technologie ausschöpfen zu können, würde das aber auch keinen echten Vorteil bringen.

Wie trifft das Thema Security Bestandskunden?

Im Gegensatz zu Neuprodukten, die CRA-konform entwickelt werden müssen, können Bestandsprodukte weiterhin verkauft werden. Allerdings gelten bei signifikanten Anpassungen ebenfalls die CRA-Kriterien. Dies betrifft auch die digitalen Elemente wie beispielsweise die Firmware oder die Applikationen. Wie gesagt, bieten sowohl netX 90 als auch die netX-900-Technologie alles, was man benötigt, um sichere Feldgeräte zu bauen und den Anforderungen gerecht zu werden. Wir stellen dies auch künftig durch eine entsprechende Weiterentwicklung sicher. Ein klarer Differenziator und Wettbewerbsvorteil wird allerdings künftig das proaktive Patch Management der eingesetzten Geräte sein.

Was hat es mit diesem Patch-Management auf sich?

Durch den CRA müssen alle Beteiligten in der Lieferkette sowie die für den Betrieb von Anlagen verantwortlichen Personen sicherstellen, dass eine Updatefähigkeit unter Berücksichtigung niedriger Kosten möglich ist. Dieser Umstand wird zum Treiber für IIoT-Lösungen und Edge-Management, da diese ein zentrales Patch-Management einzelner Komponenten bis zu kompletten Maschinen ermöglichen. Dafür bieten wir mit netFIELD eine sichere Infrastruktur. Diese ermöglicht IIoT-Anwendungen mit proaktivem, hersteller-agnostischem Patch-Management sowohl on-premise wie auch aus der Cloud heraus. Das erweist sich vor allem bei Retrofit-Anwendungen als sehr hilfreich.

Zudem betreiben wir auch den Flagshipstore für die OI4 Community (Open Industrie 4.0 Alliance), aus dem ein sicherer Transfer von Industrial Apps vom App Provider bis zum Edge Device des Betreibers gewährleistet ist.

Welche zusätzlichen Einflüsse sehen Sie für die Zukunft der industriellen Automation?

Wir sind davon überzeugt, dass in zehn Jahren der überwiegende Teil der Steuerungsaufgaben durch softwarebasierte Systeme und virtualisierte Hardware ausgeführt wird, Stichwort virtuelle SPS. Das wird in industriellen Maschinen und Anlagen die Anforderungen an die Datenkommunikation ebenso weiter steigern wie diejenigen an die Security. Nicht zuletzt deshalb haben wir und dazu entschlossen, mit netX 900 eine Technologie zu entwickeln, die diesen Anforderungen auch auf sehr lange Sicht gerecht wird.

Vielen Dank für das Gespräch!

Produkt im Bericht

<b>Hilscher Austria netX 900: </b>Mit der netX-Technologie bietet Hilscher seit über 30 Jahren eine flexible und multiprotokollfähige Kommunikationsplattform für Feldbusse, Industrial Ethernet sowie das Industrial Internet of Things (IIoT) an.

Hilscher Austria netX 900

Mit der netX-Technologie bietet Hilscher seit über 30 Jahren eine flexible und multiprotokollfähige Kommunikationsplattform für Feldbusse, Industrial Ethernet sowie das Industrial Internet of Things (IIoT) an.

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