interview

Maschinenverhalten beschreiben statt SPS programmieren

Mit der patentierten Selmo-Methode bietet Selmo Technology Maschinenherstellern und -anwendern die Möglichkeit zur parallelen Maschinenentwicklung in allen drei mechatronischen Disziplinen. Und damit eine echte Alternative zu den bisherigen Standards. Am Beginn steht die Beschreibung des gewünschten Maschinenverhaltens, aus der die SPS-Programme automatisch generiert werden. Das sorgt für verkürzte Entwicklungs- und Inbetriebnahmezeiten von Maschinen mit höchster Verfügbarkeit, erklärt DI DI (FH) Markus Gruber, geschäftsführender Gesellschafter der Selmo Technology GmbH.

Mit der Selmo-Methode können Maschinenhersteller an einem Digitalen Zwilling Funktion und Fertigung simulieren – bei deutlich geringerem Aufwand, mit immensem Zuwachs an Sicherheit und Transparenz.

DI DI(FH) Markus Gruber, CEO der Selmo Technology GmbH

Mit der Selmo-Methode können Maschinenhersteller an einem Digitalen Zwilling Funktion und Fertigung simulieren – bei deutlich geringerem Aufwand, mit immensem Zuwachs an Sicherheit und Transparenz. DI DI(FH) Markus Gruber, CEO der Selmo Technology GmbH

In der AUTOMATION 6/Oktober 2021 erläuterte DI DI (FH) Markus Gruber, geschäftsführender Gesellschafter der Selmo Technology GmbH, wie die Selmo-Methode die Entwicklung von SPS-Programmen für Maschinen und Anlagen vereinfacht und beschleunigt und dabei viele Fehlerquellen eliminiert.

In der No-Code-Entwicklungsumgebung Selmo Studio entsteht das vollständige, bit-genaue Verhaltensmodell einer Maschine.

In der No-Code-Entwicklungsumgebung Selmo Studio entsteht das vollständige, bit-genaue Verhaltensmodell einer Maschine.

Herr Gruber, bitte fassen Sie zunächst für unsere Leser kurz die Eckpunkte der Selmo-Methode zusammen!

Die Selmo-Methode kehrt den traditionellen Entwicklungsprozess – erst Mechanik, dann Elektrotechnik, zuletzt Software – um. Am Beginn steht als Basis für alles Weitere das Beschreiben – wir sprechen vom Konstruieren – des Maschinenverhaltens. Das geschieht in der No-Code-Entwicklungsumgebung Selmo Studio auf eine Weise, die sehr viel eher der Denkweise von Maschinenbauingenieuren entspricht als klassische Programmiersprachen. Die Erstellung der zur IEC 61131-3 konformen SPS-Programme und der HMI-Inhalte erfolgt zuletzt durch automatisierte Code-Erstellung.

Das Modellieren der Ablaufschritte des Maschinenmodells erfolgt komfortabel und schnell auf einer grafischen Oberfläche im Logic Layer der Entwicklungsumgebung Selmo Studio.

Das Modellieren der Ablaufschritte des Maschinenmodells erfolgt komfortabel und schnell auf einer grafischen Oberfläche im Logic Layer der Entwicklungsumgebung Selmo Studio.

Was sind die hauptsächlichen Vorteile der Selmo-Methode?

Für die Konstruktion der Maschinenlogik im Selmo Studio sind keine Softwarekenntnisse erforderlich, die Einarbeitung dauert erfahrungsgemäß zwischen einem und drei Tagen. Der Hauptvorteil ist, dass auf diese Art das Prozessabbild der Maschine vollständig vorliegt und getestet werden kann, noch ehe diese gebaut wird. Damit lässt sich die Maschinensoftware so gestalten, dass Programmfehler und die damit verbundenen Stillstandkosten gänzlich entfallen. Die Folge ist eine deutlich erhöhte Maschinenverfügbarkeit mit wesentlich geringeren Kosten für die Problembeseitigung.

Mit der Selmo-Methode konnte IGM Robotersysteme AG die Zeit für Softwareengineering und Inbetriebnahme von mehreren Monaten auf wenige Wochen senken.

Mit der Selmo-Methode konnte IGM Robotersysteme AG die Zeit für Softwareengineering und Inbetriebnahme von mehreren Monaten auf wenige Wochen senken.

Bedeutet das auch mehr Prozessstabilität und Wiederholgenauigkeit im Betrieb?

Selbstverständlich. Das vollständige, bit-genaue Verhaltensmodell ergänzt die Modelle der Mechanik und Kinematik einer Maschine zum kompletten, fast möchte ich sagen lebendigen Digitalen Zwilling. In Form der automatisch generierten SPS-Programme steuert und überwacht das konstruierte Modell funktional stabil die Abläufe in der Maschine. In der SPS erfolgt während des Betriebes ein ständiger Soll/Ist-Vergleich. Das verhindert zuverlässig eine Emergenz, also das Auftauchen neuer Verhaltensmuster oder Betriebszustände in der Maschine.

Jede Abweichung vom Soll lässt Rückschlüsse auf Probleme mit der Mechanik, z. B. Schwergängigkeiten, oder der Elektrik, z. B. schwächelnde Antriebskomponenten zu. Das bietet auf einfache Weise auch Entscheidungsgrundlagen für Predictive Maintenance.

Das Team hinter Selmo Technology besteht aktuell aus 25 Mitarbeitern.

Das Team hinter Selmo Technology besteht aktuell aus 25 Mitarbeitern.

Was führt zu diesem Gewinn an Prozessstabilität bei gleichzeitiger Vereinfachung im Engineering?

Im Grunde handelt es sich um etwas, das es in Elektrotechnik und Mechanik längst gibt, das jedoch in der Software bisher weitgehend gefehlt hat: um die Standardisierung. Die Modellierung des Maschinenverhaltens erfolgt nicht als ein großes Werk, sondern durch Aneinanderreihen kleiner Einheiten. Jede davon repräsentiert einen konkreten Zustand eines einzelnen Teils der Maschine, z. B. „Achse 12 ist in Bewegung“ mit der Information „wahr“ oder „falsch“. Diese einzelnen Teile der Schaltlogik können sehr einfach und unbegrenzt oft wiederverwendet werden, um der Maschine einen Standard zu verpassen.

Jeder Aufgabe innerhalb einer Maschine oder Anlage ist somit ein exakt identes Programm hinterlegt. Zur Anpassung an die jeweilige Anwendung gibt man ihnen Parameter mit, im Fall der Bewegungsachse z. B. Richtung, Geschwindigkeit und Dauer sowie Texte für die Anzeige am HMI. So entsteht die Gesamtautomatisierung sehr rasch und ohne risikobehaftete Programmierung durch Zusammenstellung getesteter Teile. Wir nennen das Ablauflogikmodellierung, auf Englisch Sequence Logic Modelling. Davon leitet sich auch der Name Selmo ab.

Standards gibt es ja auch anderswo. Was macht den Selmo-Standard zu etwas Besonderem?

Unser Standard ist, das er ein WIRKLICHER Standard ist, und damit eine echte Alternative darstellt zu den nur sogenannten Standards, die meist nur Konventionen mancher Hersteller sind, an die sich Maschinenprogrammierer halten müssen, um Kompatibilitätsprobleme zu vermeiden. Oft ist deren Einhaltung eher mit einem Mehraufwand als mit der angestrebten Arbeitserleichterung durch Standardisierung verbunden. Und sie ist fehleranfällig, weil die hinterlegten Fehlerzustände von einem Programmierer erahnt werden müssen. Mit unserer Dolmetscher-Software Selmo weiß aber die Maschine, was sie zu tun und zu lassen hat, bis ins letzte Bit. Ein Stillstand ist dann nicht mehr wegen der Software eingetreten, aber mit ihrer Hilfe schneller zu beseitigen. Zudem beschränken sich diese Konventionen meist auf die klassische SPS-Programmierung selbst. Der Selmo-Standard in der Prozesslogik bringt auf ähnliche Weise Effizienzgewinne wie der Einsatz von Normalien in der Mechanik oder von Antriebstechnik mit bestimmter Netzwerktechnologie.

Welchen Nutzen bringt das den Maschinenherstellern?

Mit der digitalen Prozessbeschreibung ist ein erheblicher Teil des Digitalisierungsaufwandes bereits erledigt, alles Weitere kann darauf aufbauen. Dadurch ist der Weg zur virtuellen Inbetriebnahme vorgezeichnet und nicht weit. Maschinenhersteller können dadurch mit nur 5 % des Gesamtaufwandes 95 % der Maschinenentwicklung erledigen; sie sparen immens an Ressourcen bei gleichzeitigem Gewinn an Funktions- und Fertigungssicherheit. Sie müssen nicht länger Softwareänderungen an der fertigen Maschine vornehmen. Und sie erhalten durch den stets mitlaufenden Soll-/Ist-Vergleich eine unvergleichlich einfache Möglichkeit für die Modellpflege und -optimierung.

All dies ist die Voraussetzung für neue Geschäftsmodelle, etwa mit Pay per Use. Zudem erlaubt es die Optimierung des Maschinenbaus durch Reduktion der Massen und Redimensionierung der Antriebstechnik sowie die ressourcenschonende Dezentralisierung der Maschinenproduktion. Und das ohne Data Scientists oder sonstige knappe und teure Softwareexperten.

Gibt es bereits erste erfolgreich umgesetzte Projekte auf Basis der Selmo-Methode?

Obwohl die Selmo-Methode noch sehr jung ist, gibt es zahlreiche Einzelprojekte im In- und Ausland. Darunter sind auch größere Maschinenanwender. In den meisten Fällen handelt es sich jedoch um Maschinen- und Anlagenbauer sowie Automatisierer, die hochkomplexe Anlagen mit einem hohen Anteil an kundenspezifischen Anpassungen herstellen. Zu diesen gehört etwa die IGM Robotersysteme AG als Hersteller hoch automatisierter Schweißsysteme.

Das Unternehmen konnte mit der Selmo-Methode die Digitalisierung nutzen, um die Zeit für Softwareengineering und Inbetriebnahme von mehreren Monaten auf wenige Wochen zu senken. Zudem profitiert es von Vereinfachungen bei Wartung und Modifikation durch die lückenlos und nachvollziehbar dokumentierten Abläufe.

Wie hat sich Selmo seit unserem Interview im vergangenen Jahr weiterentwickelt?

Wir betrachten uns nicht mehr als Startup, sondern sind als klassisches Scale-up-Unternehmen im Wachsen begriffen, sind eine strategische Partnerschaft mit einem Finanzinvestor eingegangen und halten aktuell bei 25 Mitarbeitern. Die sind durch Kundenprojekte sehr gut ausgelastet, denn wir bieten unseren Kunden auch ein Full-Service-Paket an.

Woraus besteht dieses Full-Service-Paket?

Ich kann es am Beispiel von IGM erläutern. Dort haben wir den Kunden nicht nur mit Selmo Studio ausgestattet und im Rahmen der Selmo Academy seine Mitarbeiter ausgebildet. Wir haben die Entwicklung von der ersten Anforderungsdefinition weg begleitet und mit den Automatisierungsexperten Hand in Hand gearbeitet. So konnten diese ohne einschlägige Vorerfahrung innerhalb von nur zwei Wochen das Prozessmodell für eine Fördertechnikanlage mit acht Förderbändern schaffen und diese innerhalb einer Woche virtuell in Betrieb nehmen.

Was haben Sie Anwendern von Maschinen und Anlagen zu bieten?

Wir unterstützen Endanwender dabei, den Selmo-Standard für künftige Anschaffungen bereits in ihrer Unternehmensstrategie sowie in den Lasten- und Pflichtenheften zu verankern. Dadurch helfen wir ihnen, ihre Betriebs- und Instandhaltungsaufwände in Zukunft zu reduzieren und bieten ihnen eine Art Versicherung gegen ungeplante Ausfälle und Stillstände ihrer Produktionsmittel.

Gibt es dafür schon konkrete Beispiele?

Die gibt es, z. B. in Form eines großen österreichischen Getränkeabfüllers. Allerdings darf ich dessen Namen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht nennen.

Haben Sie noch weitere Erfolge vorzuweisen?

Allerdings. Die patentierte Selmo-Methode ist unter den Top 3 der Nominierten für den Staatspreis Patent 2022. Entscheidung und Vergabe erfolgen im kommenden November.

Herzliche Gratulation und besten Dank für diese Erläuterungen!

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