Hochwasser rechtzeitig vorhersehen mit Sensorik und Künstlicher Intelligenz von Endress+Hauser

Den Naturgewalten einen Schritt voraus: Hochwasser sind natürliche Ereignisse, stellen aber gleichzeitig eine große Gefahr da, denn Hochwasserfluten können Häuser und Infrastruktureinrichtungen zerstören und sogar tödlich sein. Innovative Frühwarnsysteme können solche gefährlichen Überraschungen künftig verhindern. Durch Sensormessungen und Künstliche Intelligenz (KI) erstellen sie Prognosen und ermöglichen so durch permanente, ganzheitliche Überwachung der Situation vor Ort das frühzeitige Einleiten von Schutzmaßnahmen.

Das innovative Frühwarnsystem Netilion Flood Monitoring von Endress+Hauser und Okeanos nutzt Sensormessungen und Künstliche Intelligenz (KI) zum Erstellen von Prognosen zur Hochwassergefahr. (Bild: Land Salzburg)

Das innovative Frühwarnsystem Netilion Flood Monitoring von Endress+Hauser und Okeanos nutzt Sensormessungen und Künstliche Intelligenz (KI) zum Erstellen von Prognosen zur Hochwassergefahr. (Bild: Land Salzburg)

Florian Falger
Business Development Manager Innovation Lab bei Endress+Hauser

„Sobald feststeht, wo die Messstellen sein sollen, ist das Frühwarnsystem innerhalb eines Tages installiert. Der Betrieb der wartungsarmen Lösung verursacht keinen zusätzlichen Personalaufwand.“

Nicht zuletzt aufgrund des fortschreitenden Klimawandels häufen sich extreme Naturereignisse wie Starkregenfälle, die nicht selten zu Hochwasser führen. Unerwartet schnell stiegen 2021 die Pegel der Salzach im Oberpinzgau über die erst kurz zuvor fertiggestellten Schutzbauten und der ruhige Kotbach in Hallein verwandelte sich in einen reißenden Strom.

Die Sensoren sind innerhalb eines Tages installiert und einsatzbereit.

Die Sensoren sind innerhalb eines Tages installiert und einsatzbereit.

Dr.-Ing. Benjamin Mewes
Geschäftsführer der Okeanos Smart Data Solutions GmbH

„Mit Netilion Flood Monitoring können die Anwender das Überschwemmungsrisiko in ihrem Gebiet genau einschätzen und zielgerichtet die nötigen Entscheidungen treffen.
Bild: Okeanos“

Gefahr für Werte und Existenzen

Hochwasser entstehen infolge langanhaltender und großräumiger Niederschläge, kurzem und lokal begrenztem ⁠Starkregen⁠ oder durch die Schneeschmelze. Besonders betroffen sind dabei gebirgige Regionen mit Landschaften, die von Tälern oder Schluchten geprägt sind. Während die Pegelstände der großen Flüsse nicht zuletzt als wichtige Information für die Schifffahrt laufend überwacht werden, ist dies bei Gewässern zweiten und dritten Grades meist nicht oder nur punktuell der Fall. Gerade solche entwickeln sich dann schnell von kleinen Rinnsalen zu reißenden Strömen.

Speziell im dicht besiedelten und verbauten Mitteleuropa sind Überschwemmungen eine ernstzunehmende Gefahr, denn die reißenden Fluten können Menschenleben fordern, Häuser und Infrastrukturen beschädigen oder zerstören und mit ihnen ganze Existenzen wegspülen. Die Folgen sind langwierige und teure Wiederaufbauarbeiten. Diese betreffen nicht zuletzt Unternehmen in Betriebs- und Gewerbegebieten, die in vielen Orten in hochwassergefährdeten Zonen angesiedelt sind.

Eine Künstliche Intelligenz berechnet auf Basis von Sensordaten, ob und wann ein Hochwasser droht. Die Vorhersage ermöglicht frühzeitige Schutzmaßnahmen.

Eine Künstliche Intelligenz berechnet auf Basis von Sensordaten, ob und wann ein Hochwasser droht. Die Vorhersage ermöglicht frühzeitige Schutzmaßnahmen.

Überflutungen kommen sehen

Der Nobelpreisträger Niels Bohr konstatierte: „Vorhersagen zu treffen ist schwierig, vor allem, wenn es dabei um die Zukunft geht.“ Allgemein hat sich die Treffsicherheit von Wetterprognosen nicht zuletzt dank der Satellitenaufklärung enorm verbessert. Wenn Bäche und Flüsse über ihre Ufer treten, geschieht dies jedoch immer noch häufig überraschend schnell.

Das muss nicht so bleiben, denn das innovative Frühwarnsystem Netilion Flood Monitoring kann solche gefährlichen Überraschungen künftig verhindern. Entwickelt vom Messtechnikspezialisten Endress+Hauser, gemeinsam mit dem Start-up Okeanos, nutzt es eine Vielzahl verschiedener Sensormessungen und Künstliche Intelligenz (KI) zum Erstellen von Prognosen zur Hochwassergefahr. So ermöglicht die permanente, ganzheitliche Überwachung der Situation vor Ort das frühzeitige Einleiten von Schutzmaßnahmen.

Bürgermeister, Feuerwehrleute oder Mitarbeitende von Bauhöfen und Ingenieurbüros werden in Echtzeit darüber informiert, wie sich Gewässer in ihrem Gebiet entwickeln und ob kritische Werte erreicht sind.

Bürgermeister, Feuerwehrleute oder Mitarbeitende von Bauhöfen und Ingenieurbüros werden in Echtzeit darüber informiert, wie sich Gewässer in ihrem Gebiet entwickeln und ob kritische Werte erreicht sind.

Ganzheitliche Situationserfassung

Als Grundlage dafür dienen lokale Messwerte, die direkt an den Bachläufen und deren Umgebung gesammelt werden. Um ein Gebiet so gut wie möglich zu verstehen, werden Pegelmessgeräte und Starkregensensoren installiert.

Dazu kommen Bodenfeuchtsensoren, denn der Boden kann die Niederschläge nur begrenzt dem Grundwasser zuführen oder zwischenspeichern. Der Rest fließt über die Oberfläche in die Gewässer und kann so zu einer Überschwemmung führen. Gerade dieser Effekt tritt oft innerhalb weniger Minuten ein. Deshalb ist es für das rechtzeitige Einleiten von Schutzmaßnahmen wichtig, die Bodenbeschaffenheit ständig zu überwachen.

Wie 2021 in Hallein (Salzburg) können Hochwasser Menschenleben fordern, Häuser und Infrastrukturen beschädigen oder zerstören und mit ihnen ganze Existenzen wegspülen.
(Bild: Freiwillige Feuerwehr Puch)

Wie 2021 in Hallein (Salzburg) können Hochwasser Menschenleben fordern, Häuser und Infrastrukturen beschädigen oder zerstören und mit ihnen ganze Existenzen wegspülen. (Bild: Freiwillige Feuerwehr Puch)

Schnelle, einfache Installation

Die meisten verwendeten Sensoren sind batteriebetrieben und übertragen die Daten kabellos. Sie brauchen keine Infrastruktur. Aufwendige Baumaßnahmen wie z. B. Veränderungen am Gewässer zur Schaffung von Querschnitten oder die Errichtung von Pegelhäuschen sind für die Installation ebenfalls nicht erforderlich.

„Sobald feststeht, wo die Messstellen sein sollen, ist das Frühwarnsystem innerhalb eines Tages installiert“, erklärt Florian Falger, Business Development Manager Innovation Lab bei Endress+Hauser. „Der Betrieb der wartungsarmen Lösung verursacht keinen zusätzlichen Personalaufwand.“

Die Sensoren lassen sich an vorhandenen Querbauwerken wie Rohrleitungen, Brücken, Unterführungen, Mauern oder Straßen anbringen. Dazu braucht es meist keine Genehmigungen. Bestehende Systeme wie Landespegelmessstellen können in die Analyse integriert werden.

Datenbasierte KI-Entscheidungshilfe

Die verschiedenen Sensoren des Frühwarnsystems senden ihre Messwerte in die Cloud-Plattform Netilion von Endress+Hauser. Dort erfolgt ihre rechnerische Integration durch die KI. Diese bezieht zusätzlich weitere Daten in die Berechnung ein, etwa die Geländebeschaffenheit und aktuelle Wetterprognosen. So können ihre Algorithmen vorhersagen, ob und wann ein Hochwasser droht. Anwender erhalten diese Vorhersagen als eindeutige Information, müssen die Messdaten also nicht selbst interpretieren.

Ziel dieses Frühwarnsystems ist es, die Entscheidungsträger von Behörden, Kommunen und Rettungskräften im Falle eines drohenden Hochwassers mit genügend Vorlaufzeit zu informieren, vom Bürgermeister über Feuerwehrleute oder Mitarbeitende von Bauhöfen und Ingenieurbüros. „Mit Netilion Flood Monitoring können die Anwender das Überschwemmungsrisiko in ihrem Gebiet genau einschätzen und zielgerichtet die nötigen Entscheidungen treffen“, sagt Okeanos-Gründer Dr.-Ing. Benjamin Mewes. „Sie werden online per Smartphone oder Computer in Echtzeit darüber informiert, wie sich Gewässer in ihrem Gebiet entwickeln und ob kritische Werte erreicht sind.“

Lernendes System verbessert Analyse

Ab Installation der Sensoren liefert das Hochwasserschutzsystem vom ersten Tag an zuverlässige Hinweise. Je länger es im Einsatz ist und je mehr Daten zusammengetragen werden, desto tiefer sind die Erkenntnisse, die sich daraus ableiten lassen.

„Der große Vorteil einer KI liegt darin, dass sie sich selbstständig optimiert. Der Algorithmus lernt mit der Zeit dazu und versteht ein Gebiet somit immer genauer“, erklärt Benjamin Mewes. „Die Digitalisierung ermöglicht also nicht nur schnellere Entscheidungen, sondern auch langfristige Verbesserungen der Hochwasserschutzkonzepte.“ So können z. B. kritische Stellen durch das gewonnene Wissen über die Gebietsreaktion gezielter durch Hochwasserschutzbauten gesichert werden.

Erfolgreicher Einsatz im Schwarzwald

In der Schwarzwaldgemeinde Lenzkirch (D) ist Netilion Flood Monitoring bereits im Einsatz. Die Gemeinde wurde zuletzt 2018 von einer Überschwemmung überrascht, die Schäden in Höhe von mehreren hunderttausend Euro anrichtete. Die Ortschaft befindet sich in einer Kessellage, umgeben von Bergen und Hügeln. Zusätzlich fließen zwei Flüsse mitten durch den Ort. „Bei Starkregen ist die Gefahr groß, die Vorlaufzeit gering“, sagt Andreas Graf, der Bürgermeister von Lenzkirch. „Damals ist das Wasser unheimlich schnell angestiegen, was an einem Unwetter mit gleichzeitiger Schneeschmelze lag.“

Heute sind rund um Lenzkirch verschiedene Messstellen verteilt. Im Boden stecken sechs Bodenfeuchtesensoren. Sie verraten, ob das Erdreich noch genügend Regenwasser aufnehmen kann oder bereits gesättigt ist. Am Dachgiebel des Bauhofs und an einem Schulgebäude ist jeweils ein Niederschlagsensor angebracht. Und an insgesamt neun Stellen entlang der Flüsse und Bäche sind Radar-Pegelmessgeräte installiert, die den Stand der Gewässer anzeigen.

Die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr von Lenzkirch sind vom Nutzen der digitalen Kontrollmöglichkeiten überzeugt. „Als im Februar 2021 kritische Hochwasserwerte erreicht wurden, konnten wir von unserer Leitwarte aus die Pegelstände überwachen und mussten nicht die einzelnen Stellen abfahren“, sagt Gesamtfeuerwehrkommandant Thomas Raufer. „Das spart nicht nur wertvolle Zeit, sondern erhöht auch die Sicherheit für die Einsatzkräfte.“

Über die Technik hinaus

Die frühe Warnung vor einem drohenden Hochwasser durch die Technik allein kann Katastrophen nicht verhindern. Hier sind die Kommunen gefragt, entsprechende Krisenkonzepte mit konkreten Handlungen zu etablieren. „Dabei ist uns die technologische Unterstützung sehr willkommen“, unterstreicht Andreas Graf. „Das System kann ein Hochwasser nicht vermeiden, aber wir gewinnen durch die frühe Warnung wertvolle Zeit. Und bei einer Überschwemmung zählt schließlich jede Minute.“

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