anwenderreportage

Ein Hersteller, viele Lösungen: Fahrerlose Transportsysteme von DS Automotion bei Volkswagen

In Kassel produziert Volkswagen Fahrzeugkomponenten und beliefert sieben Marken in 35 Ländern. Dazu gehören Getriebe, Abgasanlagen sowie weitere Komponenten aus Europas größter Leichtmetall-Gießerei, Umform- und Antriebstechnik sowie Karosseriebau. Hergestellt werden diese auf spezialisierten und räumlich getrennten Produktionslinien. Ebenso unterschiedlich sind die beiden Fahrerlosen Transportsysteme von DS Automotion, die in Teilbereichen der Fertigung den innerbetrieblichen Transport erledigen. Jede auf ihre Art, tragen beide zu einer Flexibilisierung der Produktion mit hoher Prozessstabilität bei. Mit ihrer Hilfe betreibt Volkswagen Kassel die Automobilteileproduktion nach den Grundsätzen und mit den Methoden von Industrie 4.0.

Im Volkswagen Werk Kassel entstehen aus hochfesten Stählen die formgehärteten tragenden Bauteile für den Modularen Querbaukasten von Volkswagen. (Bild: Volkswagen AG)

Im Volkswagen Werk Kassel entstehen aus hochfesten Stählen die formgehärteten tragenden Bauteile für den Modularen Querbaukasten von Volkswagen. (Bild: Volkswagen AG)

Shortcut

Aufgabenstellung:
Automatisierung der Intralogistik von Bauteilen und Getrieben in jeweils unterschiedlichen Fertigungsstraßen im Werk Kassel des Volkswagen Konzerns.

Lösung:
Kundenspezifische FTS-Anlagen-Entwicklung mit Leitsteuerung sowie serienmäßige FTS von DS Automotion mit Still-Hochhubwagen.

Nutzen:
Bauteile-Beförderung: Ver- und Entsorgung erfolgt just in time. Im Notfall sorgt ein integriertes Safety-System zur Bildung von Rettungsgassen. Maximierte FTS-Verfügbarkeit per Akku-Ladung an sechs Ladestationen.

Getriebe-Beförderung: Flexible Bewältigung schwerer Lasten bis 1,9 t über unterschiedliche Bodenbeschaffenheiten. Sicherung der Prozessstabilität. Vom Leitsystem errechneter Fahrkurs erfolgt per Laser-Navigation.

Das Werk Kassel ist der wichtigste Getriebehersteller des Volkwagen Konzerns und zählt zu den bedeutendsten Komponentenlieferanten für die fahrzeugbauenden Werke. Außerdem werden in Kassel Abgasanlagen und formgehärtete Karosserieteile produziert. Seit Werksgründung 1958 haben mehr als 127 Millionen Getriebe die Produktionshallen verlassen, im Jahr 2016 rund 3,6 Millionen. Im gleichen Jahr wurden über 2,9 Millionen Abgasanlagen produziert – damit kommen 43 Prozent der Abgasanlagen für Volkswagen in Europa aus Kassel. Daneben werden täglich 600 Tonnen Stahlblech zu 50.000 Getriebe- und Antriebskomponenten sowie 135.000 Karosseriekomponenten gefertigt.

Am Standort Kassel ist auch der Konzern After Sales angesiedelt. Fünf Original Teile Center (OTC), das FIB (Fahrzeugintelligente Bauteile) sowie das weltweite Depotnetzwerk beherbergen 1,6 Millionen unterschiedliche Original Teile für 12 Konzernmarken. Jährlich werden aus Kassel rund 21 Millionen Auftragspositionen an 129 Kunden in mehr als 80 Länder abgewickelt und ausgeliefert. Von den insgesamt 16.500 Beschäftigten am Standort Kassel sind 2.500 Beschäftigte für den Bereich After Sales tätig.

An der Leergut-Station setzt ein Kran einen leeren Behälter auf eines der 18 kundenspezifischen Fahrzeuge im fahrerlosen Transportsystem des österreichischen Herstellers DS Automotion. (Bild: DS Automotion)

An der Leergut-Station setzt ein Kran einen leeren Behälter auf eines der 18 kundenspezifischen Fahrzeuge im fahrerlosen Transportsystem des österreichischen Herstellers DS Automotion. (Bild: DS Automotion)

Stefan Greif
Logistikplaner, Volkswagen AG (Bild: Volkswagen AG)

„Im VW-Werk Kassel arbeiten in zwei Produktionsbereichen zwei grundverschiedene FTS von DS Automotion. Jedes davon ist exakt auf die jeweiligen Produktionserfordernisse abgestimmt.“

Strukturbauteile auf großer Fahrt

Heutige Pkw sind im Baukasten-Prinzip auf Plattformen wie dem „Modularen Querbaukasten“ von Volkswagen aufgebaut. Die formgehärteten tragenden Bauteile dafür werden im Fachjargon als „Unterwäsche“ bezeichnet. Sie entstehen im Volkswagen Werk Kassel aus hochfesten Stählen in Formhärteanlagen. Ihre endgültige Form erhalten sie im sogenannten Laserpark mit rund 45 Laser-Schneidmaschinen.

In speziell konstruierten Transportboxen gelangen die Teile zu einer Behälterversandanlage mit 8.000 Stellplätzen. Die Halle, in der sich der Laserpark befindet, ist riesig, sie misst ca. 250 x 500 m. Entsprechend lang sind die Wege der Behälter vom Leergut-Lager zum Laserpark und von dort zur Behälterversandanlage. Aktuell sind 500 Behälter im Umlauf, im Endausbau werden es 800 sein. Die Zahl der Bewegungen ist doppelt so hoch, denn jeder Behälter wird einmal leer zum Laserpark gebracht und voll wieder abgeholt.

Früher entnahmen Mitarbeiter die fertigen Teile aus den Laserschneidmaschinen, um sie in die Transportboxen zu legen. Per Stapler stellten Mitarbeiter die leeren Behälter an den Maschinen bereit und holten gefüllte ab, um sie auf Plattformwagen für den zyklisch erfolgenden Abtransport zu sammeln. „Mit der in 2011 bevorstehenden Einführung des Modularen Querbaukastens ergab sich damals die Chance, die Logistik auf völlig neue Beine zu stellen“, erklärt Stefan Greif, Logistikplaner bei Volkswagen Kassel. „Wir starteten 2011 ein Projekt mit dem Ziel einer zeitgemäßen Ver- und Entsorgung der Teilefertigung.“

Das FTS bringt die Behälter leer zu und holt sie voll von den 45 Laserschneidmaschinen. Dort werden sie innerhalb einer Schutzeinhausung von Robotern beladen. (Bild: DS Automotion)

Das FTS bringt die Behälter leer zu und holt sie voll von den 45 Laserschneidmaschinen. Dort werden sie innerhalb einer Schutzeinhausung von Robotern beladen. (Bild: DS Automotion)

Harald Weißenbek
Projektleiter, DS Automotion GmbH (Bild: DS Automotion)

„Digitalisierung und Industrie 4.0 braucht Fahrerlose Transportsysteme. Die beiden FTS-Anlagen von DS Automotion tragen im VW-Werk Kassel zu einer hohen Effizienz und Prozessstabilität der Strukturteilefertigung und der Getriebemontage bei.“

Intelligentes Navigations- und Ladekonzept

2012 erfolgte die Inbetriebnahme der FTS-Anlage von DS Automotion. Die 18 fahrerlosen Unterfahr-Fahrzeuge sind eine kundenspezifische Entwicklung für Volkswagen. Nur mit den Transferwagen beladen, fahren sie an die Leergut-Station, wo ein automatisches Übergabeportal je einen leeren Behälter aus dem Hochregallager aufsetzt. Nachdem die Fahrerlosen Transportfahrzeuge je einen Behälter zu einer der Laserschneidanlagen gebracht haben, bringen sie volle Behälter von dort zu einem Übergabepunkt an der Behälterversandanlage.

Die Fahraufträge errechnet die DS-Leitsteuerung anhand der Leergut-Anforderungen, die er per Schnittstelle von den Laserschneidmaschinen erhält. So erfolgt die Ver- und Entsorgung nach dem Prinzip just in time. Der Überprüfung des Kurses dienen in den Boden eingelassene Permanentmagnete. Auf dem sehr ausgedehnten Kurs herrscht Gegenverkehr mit Linksfahren. „Als Besonderheit schaltet der Leitrechner eine Verkehrslichtanlage“, berichtet Harald Weißenbek, Projektleiter bei DS Automotion. „Diese sichert die niveaugleiche Kreuzung mit bemannten Fahrzeugen in einer Ecke der Halle ab.“ Zudem besteht eine Verbindung zum Notrufsystem, sodass die Fahrzeuge des FTS im Notfall zur Seite fahren, um eine Rettungsgasse zu bilden.

Wegen der rund 800 m langen Strecke war das übliche Konzept der bedarfsabhängigen Akku-Ladung nicht praktikabel. Stattdessen fahren die Fahrerlosen Transportfahrzeuge nach jedem Transportzyklus eine der sechs Ladestationen an, um die NiCd-Akkus mindestens fünf Minuten lang nachzuladen. Das vermeidet Staus vor den Ladestationen durch gleichzeitigen Bedarf und maximiert so die Fahrzeugverfügbarkeit.

Nach jedem Transportzyklus fahren die fahrerlosen Transportfahrzeuge eine der sechs Ladestationen an, um die NiCd-Akkus mindestens fünf Minuten lang nachzuladen. (Bild: DS Automotion)

Nach jedem Transportzyklus fahren die fahrerlosen Transportfahrzeuge eine der sechs Ladestationen an, um die NiCd-Akkus mindestens fünf Minuten lang nachzuladen. (Bild: DS Automotion)

Infos zum Anwender

Volkswagen produziert in Kassel Fahrzeugkomponenten und beliefert sieben Marken in 35 Länder. Dazu gehören Getriebe, Abgasanlagen sowie weitere Komponenten aus Europas größter Leichtmetall-Gießerei, Umform- und Antriebstechnik sowie Karosseriebau. Seit Werksgründung 1958 haben mehr als 127 Mio. Getriebe die Produktionshallen verlassen, im Jahr 2016 rund 3,6 Mio., wobei zugleich über 2,9 Mio. Abgasanlagen produziert wurden – damit kommen 43 % der Abgasanlagen für Volkswagen in Europa aus Kassel. Daneben werden täglich 600 t Stahlblech zu 50.000 Getriebe- und Antriebskomponenten sowie 135.000 Karosseriekomponenten gefertigt. Insgesamt sind 16.500 Beschäftigte am Standort Kassel tätig.
www.volkswagen.de

Mit steigendem Automatisierungsgrad mitwachsen

Eine Herausforderung für die FTS-Anlage war die weitere Automatisierung der Teileproduktion. Dort übernehmen sukzessive Roboter das Befüllen der Transportbehälter, je einer für zwei Maschinen. „Die größte Hürde dabei war die Kommunikation zwischen den einzelnen Systemen, da diese mit unterschiedlichen, auch sicherheitsgerichteten Steuerungssystemen ausgestattet sind“, berichtet Stefan Greif. „Dazu kommt der Entfall der Manipulation durch den Mitarbeiter an der Maschine.“ So muss der leere Behälter je nachdem, für welche Maschine er bestimmt ist, mit der Öffnung links oder rechts auf das Fahrzeug aufgesetzt werden.“

Carsten Kühlewind, Anlagenplaner Laserschneidanlagen Fahrzeugteile bei Volkswagen Kassel zur Automatisierung der Anlage: „Das FTS ist von Beginn an stabil gelaufen und hat den Leistungstest auf Anhieb bestanden.“

2014 nahm Volkswagen in Kassel in der neuen Halle das „Clean Factory“-Konzept in Betrieb. Dort erfolgt unter anderem die Montage des Siebengang-Doppelkupplungsgetriebes DL382 für größere Audi-Modelle. (Bild: Volkswagen AG)

2014 nahm Volkswagen in Kassel in der neuen Halle das „Clean Factory“-Konzept in Betrieb. Dort erfolgt unter anderem die Montage des Siebengang-Doppelkupplungsgetriebes DL382 für größere Audi-Modelle. (Bild: Volkswagen AG)

Elektromotoren für die Welt

Neben Schalt- und DSG-Getrieben fertigt der Standort auch Elektromotoren. Kassel ist das Kompetenzzentrum für elektrische Antriebe der Marke Volkswagen. Durch seine hohe Kompetenz im Bereich Entwicklung und Planung sowie in der Serienfertigung von e-Maschinen und Hybridgetrieben, trägt das Werk maßgeblich zu den Zukunftsprojekten der Marke Volkswagen bei. Kassel ist Leitwerk für Elektroantriebe und damit für die Planung und Entwicklung des Modularen Elektrifizierungsbaukastens (MEB) verantwortlich. Produkte aus Kassel werden in allen e-Modellen sowie im Audi A3 e-tron verbaut.

Fertigung und Montage für die Elektromotoren wurde 2014 in einer neuen Halle aufgenommen, wodurch die Planer den innerbetrieblichen Teiletransport frei gestalten konnten. Die Transportbehälter sind mit Konturwannen zur Aufnahme bestimmter Getriebe ausgestattet. Per Lkw angeliefert, gelangen sie vollautomatisch per Verladebodensystem in den Bereich der Logistik. Dort werden sie in Gassen bereitgestellt, um leer zum Ende der Linie gebracht zu werden. Im Austausch kehren beladene Behälter wieder zurück.

„Ursprünglich sollten die Getriebe mit Routenzügen vom Ende der Linie zu den Lkw-Verladestationen gebracht werden“, berichtet Stefan Greif. „Angesichts der rund 1.600 Einheiten Tagesproduktion wurde rasch klar, dass der Transport schneller und vor allem kontinuierlich erfolgen muss.“

Den Transport der Getriebe zur LKW-Ladestation erledigt ein FTS von DS Automotion mit vier automatisierten Serienfahrzeugen. Diese laden ihre Lithium-Ionen-Akkus zyklisch an zwei Ladepunkten (Bildmitte) nach. (Bild: DS Automotion)

Den Transport der Getriebe zur LKW-Ladestation erledigt ein FTS von DS Automotion mit vier automatisierten Serienfahrzeugen. Diese laden ihre Lithium-Ionen-Akkus zyklisch an zwei Ladepunkten (Bildmitte) nach. (Bild: DS Automotion)

FTS mit automatisierten Serienfahrzeugen

Im Gegensatz zur Strukturteilefertigung hatten die Planer von Volkswagen für diese Anwendung keine voll kundenspezifische Lösung ins Auge gefasst. Stattdessen favorisierten sie von Beginn an ein System mit automatisierten Serienfahrzeugen. „Hauptgrund dafür war die geringe Anzahl von nur vier Fahrzeugen, die hier benötigt werden“, sagt Stefan Greif. „Die Verwendung von Fahrzeugen, die im Unternehmen im bemannten Betrieb bereits im Einsatz stehen, bringt zudem Synergien im Bereich der Instandhaltung.“

Die Ausführung durch DS Automotion erfolgte unter Verwendung von Hochhubwagen der Marke Still. Der Leitrechner erhält die Anforderung in Form einer Bereitstellungsmeldung durch die Getriebemontage, sobald diese einen Stapel aus vier Getriebegestellen gefüllt hat. Diese Aufforderung zum Abtransport ist für das FTS zugleich eine Leergutbestellung. Pro Schicht werden hier im Drei-Schicht-Betrieb 240 Getriebegestelle bewegt.

Ein Unterschied zur Anlage am Laserpark ist das Energiekonzept. Die Fahrzeuge sind mit Lithium-Ionen-Akkus ausgestattet. Diese werden an zwei Stationen nach einem zyklischen Plan ohne Ausbau aufgeladen. Die Überprüfung des vom Leitsystem errechneten Fahrkurses erfolgt mittels Laser-Navigation.

Zu den Herausforderungen bei dieser Anlage gehörte das hohe Transportgewicht. Ein Stapel mit vier Getriebegestellen wiegt beladen bis zu 1,9 Tonnen.

Zu den Herausforderungen bei dieser Anlage gehörte das hohe Transportgewicht. Ein Stapel mit vier Getriebegestellen wiegt beladen bis zu 1,9 Tonnen.

Herausforderung Gewicht und Kontinuität

Zu den größten Herausforderungen bei dieser Anlage gehörte das hohe Transportgewicht. „Eine volle Ladung wiegt bis zu 1,9 Tonnen“, erklärt Stefan Greif. „Das ist problematisch, da wir wegen des 'Clean Factory Konzeptes' einen Bürstenteppich überqueren müssen, um keinen Schmutz in die Halle zu bringen.“

Auch die Erfüllung der Anforderungen an die Prozessstabilität ist kritisch. Das Ausbleiben des rechtzeitigen Abtransportes würde unweigerlich einen Produktionsstillstand nach sich ziehen, mit weitreichenden Folgen für die nachgelagerten Verarbeitungsprozesse. Das FTS von DS Automotion steigert die Flexibilität und stabilisiert die Produktionsprozesse. Stefan Greif: „Dass im Werk Kassel zwei völlig verschiedene FTS-Anlagen im Einsatz sind, zeigt die Sinnhaftigkeit anwendungsorientierter und nicht notwendigerweise gleicher Lösungen.“

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