Acam Simcenter: Virtuelle Kachelofen-Realität
Mittels Simulation zu nachhaltigerer Biomasseheizung per Kachelofen: Seit Jahrhunderten bewährt, erfreuen sich Kachelöfen auch in Zeiten von Niedrig- oder Plusenergiebauten anhaltender Beliebtheit. Als Ansprechpartner für deren Hersteller bietet der Österreichische Kachelofenverband unter anderem Normen- und Grundlagenarbeit sowie Forschung in der vereinseigenen Versuchs- und Forschungsanstalt der Hafner. Gemeinsam mit Siemens Solution Partner Acam schuf der Verband mit Software aus dem Simcenter-Portfolio von Siemens Digital Industries Software einen konfigurierbaren Digitalen Zwilling des Kachelofens. Damit lassen sich Temperaturverläufe im Kachelofen, an seiner Oberfläche und im umgebenden Raum untersuchen, ohne den Ofen zuerst physisch aufzubauen.
Kachelöfen sorgen für gleichmäßige Wärme und Behaglichkeit und erfreuen sich wachsender Beliebtheit als nachhaltige Raum- oder Hausheizung. (Bild: Brunner GmbH)
Anwender: Österreichischer Kachelofenverband
Der 1953 gegründete Österreichische Kachelofenverband ist ein gemeinnütziger Verein. Seine Mitglieder sind die neun Landesinnungen und die Bundesinnung der Hafner, Platten- und Fliesenleger und Keramiker und damit alle rund 600 österreichischen Hafnerbetriebe sowie rund 50 Industrieunternehmen. Der Verband betreibt eine eigene Forschungseinrichtung, die VFH (Versuchs- und Forschungsanstalt der Hafner; im Bild), die auch als akkreditierte und in Brüssel notifizierte Prüfstelle für Öfen und Herde fungiert. Der Verband beteiligt sich federführend an nationaler und internationaler Normung zu Raumheizgeräten und bietet Berechnungen und Nachweise rund um den Kachelofen.
Kachelöfen sorgen für ein ganz besonderes Raumklima. Sie speichern die beim Verfeuern von Holz entstehende große Wärmemenge und geben diese über einen längeren Zeitraum wohldosiert in den Raum ab. Die direkt wirkende, konstante und zugfreie milde Strahlungswärme trägt ebenso zur sprichwörtlichen Behaglichkeit des Kachelofens bei wie das stimmungsvolle Knistern der Scheite und das Flammenspiel hinter der Sichttüre, die heute meist statt der traditionellen eisernen Ofentür verwendet wird.
„Gemeinsam mit Acam Engineering haben wir einen Digitalen Zwilling des Kachelofens geschaffen, mit dem sich Temperaturverläufe für verschiedene Bauarten und Geometrien sehr exakt vorhersagen lassen. So können wir z. B. den Einfluss neuer Kachelgeometrien oder -werkstoffe untersuchen, ohne den Ofen im VFH physisch aufbauen zu müssen.“ DI Johannes Mantler, Projektleiter, Österreichischer Kachelofenverband
Nachhaltige Biomasseheizung
Ein weiterer Grund für die Beliebtheit von Kachelöfen ist der Nachhaltigkeitsaspekt. Mit dem nachwachsenden Brennstoff Holz aus heimischen Nutzwäldern beheizt, ist diese Form der Raumheizung CO2-neutral, sorgt für eine besonders hohe regionale Wertschöpfung und erhöht die Unabhängigkeit von Erdöl- und -gasimporten. Alleinstehend im Wohnzimmer wie als Zentrale einer Haus- oder Etagenheizung ist der Kachelofen die führende Art der Biomasseheizung in Österreich und auch in der Küche feiert der Kachelherd ein Comeback. Allein in Österreich entstehen jährlich rund 8.000 Neuanlagen.
Ein Kachelofen ist nicht nur Heizgerät, sondern auch kunstvoller Einrichtungsgegenstand. Einer seiner großen Vorteile ist die Gestaltungsvielfalt. Neben dem aus Bauernstuben bekannten traditionellen Aussehen bestimmen immer mehr auch schlichte, puristisch gestaltete Anlagen mit klaren Linien, geraden, verputzten Flächen und großen Sichtscheiben das Bild.
Kachelöfen bestehen im Brennraum und in den Zügen aus Schamottesteinen. Nach einmaligem Einheizen kann man neben dem Kachelofen über zwölf Stunden oder mehr die behagliche Wärme erleben. (Restliche Bilder: Österreichischer Kachelofenverband)
Fachliche Unterstützung für Hafner
Handwerklich hergestellt werden Kachelöfen als individuell gefertigte Unikate von Hafnern (Ofenbauern). Über ihre Landesinnungen sind deren knapp 600 österreichische Unternehmen gemeinsam mit rund 50 Industrieunternehmen Mitglieder im 1953 gegründeten, gemeinnützigen Österreichischen Kachelofenverband (KOV). Dieser betreibt in der weltweit einzigartigen vereinseigenen Versuchs- und Forschungsanstalt der Hafner (VFH) konsequent Forschung zum Thema Kachelofen. Der Forschungsschwerpunkt liegt in der stetigen Verbesserung der Verbrennungsqualität und der Anpassung an neue Anforderungen im Wohnbau.
„Die VFH ist akkreditierte und in Brüssel notifizierte Prüfstelle für Öfen und Herde und hat außerdem den Vorsitz im europäischen Normungsgremium für Kachelöfen“, ergänzt DI Johannes Mantler, Projektleiter der Forschung am KOV. „Sie war maßgeblich für die Erarbeitung der EN 15544 verantwortlich, der ersten europäischen Norm für die Auslegung von Kachelöfen.“
Als Dienstleistungen führt der KOV kostenlose Beratungen zu technischen, gesetzlichen und normativen Fragestellungen sowie technische Seminare und Vorbereitungskurse zur Meisterprüfung durch. Darüber hinaus bietet der KOV seinen Mitgliedern, den Handwerkern, ein Berechnungsprogramm zur präzisen Auslegung von Kachelöfen an. Zudem führt er auf Anfrage Berechnungen und Nachweise rund um das Produkt Kachelofen durch.
Zum Aufbau des Computermodells in der Software Simcenter 3D erfolgte ein Meshing der Schamottesteine, der Luft und der Abgase für die Berechnung des Temperaturverlauf auf Basis physikalischer Zusammenhänge mittels Computational Fluid Dynamics (CFD).
Der Digitale Zwilling des Kachelofens
Obwohl Kachelöfen auf den ersten Blick recht einfach wirken, sind die thermodynamischen Vorgänge in ihrem Inneren hochkomplex. Die zyklische Beheizung führt zu variablen Betriebszuständen. Um das thermische Verhalten in und um Kachelöfen besser vorhersehen zu können, schuf der KOV im Rahmen eines von der öffentlichen Hand geförderten Forschungsprojektes ein Computermodell für die numerische Strömungssimulation (Computational Fluid Dynamics, CFD).
„Unser Ziel war, ein generisches, anhand von Messdaten aus der VFH validiertes Simulationsmodell zu erhalten“, erläutert Johannes Mantler. „Auf dieser Grundlage sollte es möglich sein, den Digitalen Zwilling eines individuellen Kachelofens zu erzeugen und seine Wirkung zu überprüfen, noch bevor er gesetzt wird.“ Dabei ging es einerseits um die Strömungsverläufe im Inneren des Ofens und deren Auswirkung auf die gleichmäßige Wärmeabgabe, andererseits aber auch um die Wärmeverteilung im Raum und die brandschutzrelevante Erwärmung von Wänden.
Das Brennmaterial (Scheitholz im Kreuzstoß) und die Flammen sind im Kachelofen-Simulationsmodell sichtbar.
Partnerschaftlich zum Computermodell
Der Österreichische Kachelofenverband hat für solche Aufgaben weder die passende Softwareausstattung noch die Berechnungsingenieure. Johannes Mantler suchte daher für das Simulationsprojekt kompetente Projektpartner. Diese fand er in der Acam Engineering GmbH im nahe gelegenen Wiener Neudorf (NÖ). Das 2015 gegründete Mitglied der Acam-Firmengruppe mit sieben Mitarbeitern agiert als Outsourcing-Partner der Industrie für die systembasierte mechanische Konstruktion und Entwurfsüberprüfung mittels 3D-Simulation.
„Dazu nutzen wir hauptsächlich hoch performante Softwareprodukte aus dem Simcenter-Portfolio von Siemens Digital Industries Software, die unsere Mutterfirma Acam Systemautomation GmbH als Siemens Solution Partner zur Verfügung stellt“, erklärt Ing. Florian Schüssler, MSc, Mitgründer und Geschäftsführer der Acam Engineering GmbH. „Sie ermöglichen Aufbau und Untersuchung vollständiger Digitaler Zwillinge über alle Engineering-Disziplinen hinweg mit vollständiger Datendurchgängigkeit.“
Nachdem Acam Engineering ein Proof of Concept geliefert hatte, erstellten die Experten von KOV und Acam Engineering gemeinschaftlich die Konstruktion eines Kachelofens mit konfigurierbarer Zug-Geometrie in der CAD-Software NX. Zum Aufbau des Computermodells in der Software Simcenter 3D erfolgte ein Meshing der Schamottesteine, der Luft und der Abgase für die Berechnung des Temperaturverlauf auf Basis physikalischer Zusammenhänge mittels der Finite Elemente Methode (FEM).
„Um die Rechnerbelastung bei ausreichender Genauigkeit beherrschbar zu halten, wählten wir ein Netz mit rund 75.000 Elementen für den Schamottekörper und ca. 500.000 für das Luftvolumen“, berichtet Florian Schüssler. „Als Eingabegrößen für die Simulationsmodelle definierten wir die Brennraumleistung auf Basis der Holzmenge, den Volumenstrom am Abgasstutzen, den Wärmeübergangskoeffizient an die Umgebung sowie die Raumtemperatur.“
Die Computermodelle sollten auch die Betrachtung der thermischen Behaglichkeit im Aufstellraum ermöglichen. Daher erfolgte anhand der Kachelofen-Simulationsmodelle eine Analyse des Einflusses der Wandaufbauten im Aufstellraum. „In einem weiteren Forschungsprojekt untersuchten wir z. B. die Staubverfrachtungen im Raum aufgrund der Luftbewegungen“, schildert Johannes Mantler. Auch die Erfüllung der aktuellen Anforderungen an den Brandschutz durch die passende Aufstellung des Ofens wurde im Simulationsmodell überprüft.
Repräsentative Ergebnisse
Zur Überprüfung und Validierung der Simulationsergebnisse wurden zwei Kachelöfen – je einer mit und ohne Luftspalt – unter Verwendung derselben Konstruktionsdaten in der VFH physisch aufgebaut. Zur Überprüfung der Simulationsmodelle mittels Temperaturmessungen wurden diese im Schamotte-Festkörper und im Abgas mit Thermoelementen ausgestattet. Zusätzlich wurde mittels Wärmebildkamera die Temperaturverteilung an der Oberfläche erfasst.
Die Gegenüberstellung der Messergebnisse mit den Ergebnissen der Simulation zeigt eine sehr gute Übereinstimmung bei der Wärmeverteilung. Die Simulationsergebnisse geben den zeitlichen Temperaturverlauf in der Schamotte, an der Ofen-Oberfläche sowie im Abgas sehr zuverlässig wieder. Das bestätigt die Validität der Digitalen Zwillinge, an denen sich auch der Einfluss von Details des Kachelofen-Aufbaus wie Luftspalt, Zugverlauf, Türanordnung oder Brennraumgeometrie in der Simulation analysieren lässt.
Überprüfung ohne Prototyp
Die gute Übereinstimmung zwischen Simulation und Realität bestätigt die Gültigkeit des Digitalen Zwillings. „Der Temperaturverlauf im Kachelofen, an seiner Oberfläche und im umgebenden Raum lässt sich für verschiedene Bauarten und Geometrien sehr exakt vorhersagen“, bestätigt Johannes Mantler. „So können wir beispielsweise den Einfluss neuer Geometrien oder Oberflächen untersuchen, ohne den Ofen in der VFH physisch aufbauen zu müssen.“
Zudem wird die Simulation zukünftig dazu dienen, die Interaktionen von Kachelöfen in Wohnräumen oder ganzen Gebäudeeinheiten zu betrachten, um traditionelle Kachelöfen als Ganzhausheizung stärker zu forcieren. Zur Betrachtung der Behaglichkeit im gesamten Gebäude beabsichtigt der Österreichische Kachelofenverband weiters eine Berücksichtigung von Wetterbedingungen und -prognosen. „Das wird Gegenstand weiterer Forschungsprojekte in Kombination mit systematischen praktischen Versuchsdurchführungen sein“, blickt der KOV-Techniker in die Zukunft. „Auch dafür werden wir uns wieder der Unterstützung durch Acam Engineering versichern.“
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