interview

Siemens AG Österreich SIPAT: Digitalisierung muss sich rechnen

Der anfängliche „Hype“ rund um das Thema Industrie 4.0 hat sich gelegt. Stattdessen ist ein gesunder Pragmatismus eingekehrt. Jetzt wird nicht mehr nur mit Visionen von cyber-physischen Systemen vor allem verbal nach den Sternen gegriffen, sondern nach konkreten Aufgabenstellungen Ausschau gehalten und getan – auch in der Prozessindustrie. So beschreibt Werner Schöfberger die aktuelle Lage. x-technik sprach mit dem Leiter der Business Unit Process Automation bei Siemens CEE über digitale Herausforderungen, zukunftsorientierte Lösungen und neue Produkte. Das Gespräch führte Sandra Winter, x-technik

Bei der Entwicklung von Simatic PCS 7 V9.0 standen die zukunftsweisenden Möglichkeiten einer Digitalisierung bis in die Feldebene im Fokus. Profinet schafft die Voraussetzungen für eine leistungsfähige anlagenweite Kommunikation in Echtzeit.

Bei der Entwicklung von Simatic PCS 7 V9.0 standen die zukunftsweisenden Möglichkeiten einer Digitalisierung bis in die Feldebene im Fokus. Profinet schafft die Voraussetzungen für eine leistungsfähige anlagenweite Kommunikation in Echtzeit.

Werner Schöfberger
Leiter der Business Unit Process Automation bei Siemens CEE

„Die Definition einer auf die Zukunft ausgerichteten digitalen Strategie ist das eine, zusätzlich müssen aber auch konkrete Schritte gesetzt werden, die ein operatives Problem lösen.“

Jeder spricht derzeit vom digitalen Wandel und von der Reise in Richtung Industrie 4.0 – aber wie soll man es konkret angehen?

Das hängt sehr stark von den individuellen Bedürfnissen jedes einzelnen Unternehmens ab. Bei den Wiener Wasserwerken beispielsweise ging es ursprünglich darum, die alte Steuerzentrale zu erneuern. Während dieses Projekts stellte sich dann heraus, dass es klug wäre, sämtliche Außenstationen in dieses neu zu schaffende Leitrechnersystem miteinzubinden und nicht nur die neu hinzugekommenen. Somit wurde begonnen, auch die Bestandsanlagen Schritt für Schritt zu erfassen bzw. zu digitalisieren. Diese Datenbasis wird nun kontinuierlich gepflegt und ausgebaut.

Integrated Engineering out-of-the-box: Mit dem Simatic PCS 7 Plant Automation Accelerator stellt Siemens ein systemübergreifendes Engineeringtool zum einfachen und effizienten Aufbau des Prozessleitsystems Simatic PCS 7 zur Verfügung.

Integrated Engineering out-of-the-box: Mit dem Simatic PCS 7 Plant Automation Accelerator stellt Siemens ein systemübergreifendes Engineeringtool zum einfachen und effizienten Aufbau des Prozessleitsystems Simatic PCS 7 zur Verfügung.

Man sollte also mit einem überschaubaren Projekt starten, kann aber davon ausgehen, dass das Ganze beim konkreten Tun ohnehin eine gewisse Eigendynamik entwickelt und vollautomatisch den Weg zu weiteren Schritten weist?

Ja, denn niemand beginnt ein Digitalisierungsprojekt, wenn sich dieses nicht kurzfristig rechnet. Einerseits müssen wir zwar „nach den Sternen greifen“ und langfristige digitale Strategien definieren, aber auf der anderen Seite müssen möglichst rasch konkrete Schritte gesetzt werden, die ein operatives Problem lösen und die sich demnach schnell amortisieren. Im vorhin erwähnten Beispiel von Wiener Wasser standen die Themen Versorgungssicherheit und Zuverlässigkeit im Fokus. Denn ohne entsprechende digitale Dokumentation wäre – zumindest auf lange Sicht – beides nicht gewährleistet.

Oder ein anderes Beispiel: Ein Nahrungsmittelhersteller, der mit dem Aufbau eines zentralen Rezepturmanagements auf immer kürzere Vorlaufzeiten bei den Bestellungen vom Handel reagiert. Dieser überlegt nun, ob er in einem nächsten Schritt nicht die Daten, die bei seinen Maschinen ohnehin erfasst werden, für weitere Optimierungsmaßnahmen nutzen könnte. Also dieser „Big Bang“ mit jetzt bin ich komplett Digital Twin und in meinem Unternehmen ist alles digital, findet fast nie statt. Die Reise in Richtung Industrie 4.0 wird in den meisten Fällen Schritt für Schritt angegangen.

Mit der Version 9 seines Prozessleitsystems Simatic PCS 7 eröffnet Siemens Anlagenbetreibern neuen Raum für Perspektiven in der Prozessindustrie. Dabei setzt Siemens voll auf Digitalisierung.

Mit der Version 9 seines Prozessleitsystems Simatic PCS 7 eröffnet Siemens Anlagenbetreibern neuen Raum für Perspektiven in der Prozessindustrie. Dabei setzt Siemens voll auf Digitalisierung.

Wo sehen Sie das meiste Optimierungspotenzial?

Das hängt natürlich von der jeweiligen Branche ab. Bei Prozessanlagen beispielsweise wissen wir, dass immer noch sehr viele Regelungsprozesse einmal eingestellt und nicht kontinuierlich an sich ändernde Rahmenbedingungen angepasst werden. Da gibt es sicher ein enormes Optimierungspotenzial. Oder was auch immer mehr Thema wird: Interne Benchmarks – dass beispielsweise die unterschiedlichen Fahrweisen von Maschinen und Anlagen an verschiedenen Produktionsstätten eines Unternehmens miteinander verglichen werden, um daraus zu lernen.

Wie groß ist die Digitalisierungsbereitschaft in der Prozessindustrie?

Das lässt sich schwer verallgemeinern. In der Pharmaindustrie, wo jeder Prozess validiert werden muss, wird natürlich genau überlegt, ob bzw. was verändert wird. Aber was von der Pharmaindustrie bereits jetzt schon sehr gerne und gut angenommen wird, ist beispielsweise unsere Process Analytical Technology-Software SIPAT. Diese verhilft einerseits zu einem besseren Prozessverständnis. Andererseits kann SIPAT – oder eigentlich der intelligente Algorithmus dahinter – mehrere physikalische Eingangsparameter und errechnete Werte so verdichten, dass eine Anlage letztendlich nach einem einzigen aussagekräftigen KPI geregelt werden kann. Somit lässt sich dann auch anhand dieses einen Parameters nachweisen, dass die Anlage innerhalb der definierten Grenzen gelaufen ist und es muss nicht mehr jeder einzelne Batch gemessen werden.

Und was sind in der Nahrungsmittelindustrie derzeit die „großen“ Themen?

Die Integration des Rezeptmanagements in den gesamten Produktionsprozess ist derzeit ein Riesenthema. Dass, wenn es morgen beispielsweise 20.000 Flaschen von einem bestimmten Fruchtsaft auszuliefern gilt, dieser Auftrag ohne manuellen Eingriff bis an die Maschine gebracht werden kann – und zwar inklusive Qualitätsüberwachung des Produkts, aber auch des Herstellungsprozesses. In diesem Zusammenhang geht es vor allem um mehr Transparenz: Welche Ressourcen müssen tatsächlich eingesetzt werden für die Herstellung eines bestimmten Produkts – Stichwort CO2-Bilanz bzw. Stromverbrauch eines Produkts? Wie ist es um die reale und nicht bloß um die vermutete Auslastung einzelner Maschinen und Anlagen bestellt? Und, und, und.

Weil Sie soeben das Thema Anlagen- bzw. Prozessüberwachung ansprachen – wie weit ist man bereit, gewisse Daten für beispielsweise Analysezwecke in die Cloud zu übertragen?

Die allgemeine Bereitschaft, die Cloud für bestimmte Zwecke zu nutzen, nimmt meiner persönlichen Erfahrung nach kontinuierlich zu. Ich kann mich noch sehr gut an ein Gespräch mit einem Kunden erinnern, in dem es anfangs hieß: Never ever gebe ich meine Daten in die Cloud. Jetzt, ein paar Monate später fragt er nur mehr, wann denn endlich alles fertig umgesetzt ist.

Vor allem für verteilte Anlagen, bei denen es darum geht, weltweit Daten zu sammeln, zu komprimieren, zu analysieren und zentral verfügbar zu machen, bietet sich der Einsatz von Cloud-Lösungen an. Die Fleet Manager-App für die industrielle IoT-Plattform MindSphere beispielsweise lässt sich sehr gut für die Überwachung weltweit verteilter Maschinenflotten nutzen – sowohl von OEMs als auch von Endanwendern. Damit können Feedback-Schleifen installiert, unterschiedlichste Leistungskennzahlen eruiert bzw. analysiert sowie sämtliche Maschineninformationen visualisiert werden.

Feedback-Schleifen?

Ja, denn es bietet sich geradezu an, die Fertigung als Datenquelle zu nutzen und die erfassten Informationen einem ausgewählten Personenkreis zur Verfügung zu stellen. Denn dann wüsste beispielsweise auch der Einkäufer sofort, wenn der Einsatz eines vermeintlich günstigeren Rohstoffs Probleme macht im Fertigungsgeschehen und letztendlich sogar teurer kommt.

Mit modernen Regelkonzepten wie Advanced Process Control für Simatic PCS 7 lässt sich natürlich auch einiges bewegen: Damit werden sogar komplexe Zusammenhänge zwischen einzelnen Prozessparametern mathematisch beschreib- und somit für einen situationsgerechten Anlagenbetrieb nutzbar. Das kommt einer automatischen Selbstoptimierung schon sehr nahe.

Apropos PCS 7 – Anfang des Jahres wurde ja die Version 9 dieses Prozessleitsystems vorgestellt, was sind da die Highlights?

Dass wir Profinet ins Feld bringen. Mit der Nutzung von Profinet schaffen wir die Voraussetzungen für eine leistungsfähige anlagenweite Kommunikation in Echtzeit. Das ist für eine durchgängige Diagnose, Überwachung und Auswertung prozessrelevanter Daten besonders wichtig. Außerdem lassen sich mit Profinet flexible und einfach skalierbare Netzwerkstrukturen realisieren. Übrigens: Configuration in RUN – also Anlagenänderungen während des laufenden Betriebs – funktioniert jetzt auch im Profinet-Umfeld, das ist in diesem Zusammenhang auch wichtig zu wissen.

Was gibt es auf Hardware-Seite Neues?

Einiges. Die Compact Field Unit Simatic CFU etwa ist das beste Beispiel für Plug & Produce. Dank direkter Profinet-Anbindung ans Leitsystem werden die angeschlossenen Geräte automatisch adressiert. Damit reduziert sich die Inbetriebnahme- und Konfigurationszeit auf ein Minimum.

Ganz gezielt auf die Anforderungen in der Prozessindustrie ausgelegt wurde auch das dezentrale Peripheriesystem Simatic ET 200SP HA: Das spiegelt sich u. a. in einer hohen Performanz, in einer Temperaturbeständigkeit von -40 bis +70 Grad und in einem besonders kompakten Design wider. Pro Station ist der Einsatz von bis zu 56 Peripheriemodulen möglich – mit einer Kanaldichte von bis zu 32 Kanälen auf einem 22,5 mm breiten Modul.

Letzte Frage: Was fällt Ihnen ganz spontan zum Thema Simulationen als Optimierungshebel ein?

SIMIT. Dieses Software-Tool wird extrem stark eingesetzt bei unseren Kunden. Nach einem SIMIT-Test heißt es selbst bei großen, komplexen Migrationsaufgaben mehr oder weniger: Plug & Play. Diese Simulationssoftware erweist sich immer wieder als Beschleuniger und „Qualitäts-Boost“ bei Inbetriebnahmen. Da wurden schon viele Erwartungen bei weitem übertroffen.

Ein zweiter Punkt ist die Verwendung von SIMIT für Operator Trainings. Mit dieser Software kann der Anlagenbetrieb unter realen Bedingungen geübt werden – ähnlich wie bei einem Flugsimulator, auch Extremfälle und Ausnahmesituationen. Das kommt bei den Kunden ebenfalls sehr gut an.

Herr Schöfberger, vielen Dank für das informative Gespräch!

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