Siemens AG Österreich Living Lab Vienna: Prozessdigitalisierung auf dem Weg in die Praxis

Die digitale Transformation der Prozessindustrie ist in vollem Gange. Dazu bietet Siemens mittlerweile das komplette technologische Portfolio für das Digital Enterprise, das auch auf der kürzlich stattgefundenen Messe ACHEMA in Frankfurt präsentiert wurde. Zeitgleich kündigte Siemens dazu weitere Partner-Allianzen an, im Rahmen derer mit einem Co-Creation Ansatz die Entwicklung neuer innovativer Produkte und Angebote auf der Prozessebene bewirkt werden sollen. Wie weit Siemens im Verbund mit seinen Partnern dazu in der praktischen Umsetzung in realen Prozess-Applikationen ist und in welchen Branchen was schon machbar ist, hat x-technik bei Bernhard Kienlein, Leiter der Division Process Industries and Drives bei Siemens in CEE, eruiert. Von Luzia Haunschmidt, x-technik

Im Living Lab Vienna werden neue Technologien und Ideen von Forschern realitätsnah getestet und weiterentwickelt.

Im Living Lab Vienna werden neue Technologien und Ideen von Forschern realitätsnah getestet und weiterentwickelt.

Bernhard Kienlein
Leiter der Division Process Industries and Drives bei Siemens in CEE

„Bioprozesse können im Living Lab mathematisch modelliert, simuliert, analysiert und auf Basis der so generierten Daten optimiert werden. Doch nicht nur der Kernprozess einer Produktion kann damit digitalisiert werden, sondern auch die gesamte Prozesskette.“

Auf der ACHEMA präsentierte sich Siemens entsprechend seines durchgängigen digitalen Prozessportfolios weitgehend applikationsgerecht. So wurde im Pharma-Cube anhand eines Fermenters aus dem „Living Process“ von Siemens die Modellierung eines Fermentationsprozesses vorgestellt, der per mathematischem Modell einen Hefezellen-Zustand in jeglicher Ausprägung abbildet. Zielsetzung dazu ist ein bestmögliches Prozessverständnis durch umfangreiche Analysen zu erreichen. Dabei wurden essentielle Fragestellungen der Pharmaindustrie zu Qualitätssicherung, Einhaltung von Regularien, kurze Time-to-Market und Steigerung von Produktivität und Flexibilität thematisiert.

Bernhard Kienlein, Leiter der Division Process Industries and Drives bei Siemens CEE, äußert dazu erklärend: „Erfahrungen aus der Praxis haben gezeigt, dass für eine nachhaltige Optimierung eines Prozesses sowohl der Primärprozess – wie beispielsweise eine Produkterstellung – als auch der Sekundärprozess – wie z. B. ein Verpackungsablauf – betrachtet werden müssen. Und genau hier setzt Siemens mit dem Living Lab Vienna an: Bioprozesse können im Living Lab mathematisch modelliert, simuliert, analysiert und auf Basis der so generierten Daten optimiert werden. Doch nicht nur der Kernprozess einer Produktion kann damit digitalisiert werden, sondern auch die gesamte Prozesskette. Und damit erschließt sich unmittelbar die immer stärker thematisierte horizontale Integration der gesamten Lieferkette, also vom Consumer zum Business und vom Business wieder zurück zum Consumer. Das beschreibt unsere große Vision – ähnlich wie wir es aus der Automobilindustrie von einem individuell konfigurierbaren Modell kennen, wollen wir eine individualisierte Massenfertigung, also Kleinstserien, zum Preis großer Losgrößen auch in der Prozessindustrie möglich machen.“

Im Bioreaktor des Living Lab Vienna werden Musterorganismen wie Hefen und Laktobazillen fermentiert.

Im Bioreaktor des Living Lab Vienna werden Musterorganismen wie Hefen und Laktobazillen fermentiert.

Bernhard Kienlein
Leiter der Division Process Industries and Drives bei Siemens in CEE

„Nebst Optimierungen in der Instandhaltung der vielfach vorhandenen Brownfield-Anlagen, lässt sich in der Wasserwirtschaft auch gewaltiges Potenzial z. B. in deren Infrastrukturen zur Vesorgungssicherheit über die Digitalisierung heben.“

Digitale Transformation im Pharma- und Chemie-Bereich

Derart kann eine höhere Produktivität durch den Trend weg von der chargenorientierten hin zur kontinuierlichen Herstellung von Medikamenten in kompakten Einheiten, mit hohem Automatisierungsgrad erzielt werden. Und damit kann die Anlagenauslastung gesteigert und zugleich der Footprint einer Anlage reduziert werden.

Für die innovative Weiterentwicklung des Portfolios, das schlussendlich Informationen über die gesamte Wertschöpfungskette einer Prozess-Anlage geben soll, bündelte Siemens sein Know-how mit dem Allianz-Partner PSE, einem Experten des Advanced Process Modellings. Im Rahmen ihrer Kooperation werden nun neue modellbasierte Lösungen für die Überwachung und das Monitoring von Anlagenkomponenten, Soft-Sensoren, Vorausberechnung einer Anlagenperformance, Echtzeit-Optimierung und Operator Training auf Basis detaillierter Prozessmodelle kreiert.

Profitieren können davon Branchen, wie die Chemie & Petrochemie, Öl & Gas, Raffinerien, Pharmazie, Nahrungs- & Genussmittel sowie Wasser. In Zukunft sollen die modellbasierten Technologien in weitere Anwendungen im gesamten Anlagenlebenszyklus integriert werden.

Auf der ACHEMA zeigten Siemens und PSE dazu die Technologie des Digitalen Zwillings am Beispiel einer Ethylen-Anlage, basierend auf PSEs gPROMS Olefins Operational Excellence Tools. Bei großtechnischer Anwendung dieser Technologien in einer Ethylen-Anlage wurden signifikante Ertragssteigerungen erreicht. Außerdem wurde ein Soft-Sensor in Kombination mit einer modell-prädiktiven Regelung in einer kontinuierlichen Nassgranulation der pharmazeutischen Tablettenfertigung gezeigt. Damit hat Siemens bereits Integrated Engineering realisiert und durch die Zusammenarbeit mit PSE wird ein weiterer Schritt in Richtung eines modellgestützten Anlagenbetriebs angestrebt, was Digitalisierung im höchsten Maße bedeutet. Denn derart tiefes Prozesswissen in Echtzeit in prädiktiven Modellen abbilden zu können, und diese Modelle dann im Digitalisierungsumfeld in jedem Schritt des Lebenszyklus wertschöpfend einzusetzen, bringt sämtlichen Prozessindustrie-Branchen tiefgreifendes Know-how über ihre Anlagenzustände. Dies ermöglicht ihnen nicht nur Produktionsabläufe zu optimieren, Condition Monitoring und Predictive Maintenance zu verbessern, Stillstände zu vermeiden oder gar die time to market zu beschleunigen. Auch gelingt auf dieser Basis eine äußerst flexible und dabei wirtschaftlich personalisierte Kleinstserien-Produktion, welche im Zuge der immer stärker werdenden individualisierten Massengütererzeugung – mit der man mittlerweile in der diskreten Fertigung vertraut ist – auch in gewissen Branchen der Prozessindustrie mehr und mehr gefordert wird.

Ein wichtiger Trend in der Pharmazeutischen Industrie ist die sogenannte Personalized Medicine - auch an der Umsetzung dieser Forderung arbeitet Siemens im Verbund mit seinen Partnern.

Ein wichtiger Trend in der Pharmazeutischen Industrie ist die sogenannte Personalized Medicine - auch an der Umsetzung dieser Forderung arbeitet Siemens im Verbund mit seinen Partnern.

Bernhard Kienlein
Leiter der Division Process Industries and Drives bei Siemens in CEE

„Ein wichtiger Trend in in der Pharma-Industrie ist die Personalized-Medicine – damit ist gemeint, dass individuelle Medikamenten-Kleinstserien perfekt an den einzelnen Patienten ud seine Bedürfnisse angepasst werden.“

Wirtschaftliche Produktion individualisierter Kleinserien

Auf die Pharmazeutische Branche eingehend, umreißt Bernhard Kienlein die Herausforderungen, die diesem Wirtschaftszweig quasi unter den Nägeln brennen: „Ein wichtiger Trend in diesem Zusammenhang ist die sogenannte Personalized-Medicine – damit ist gemeint, dass individuelle Medikamenten-Kleinstserien perfekt an den einzelnen Patienten und seine Bedürfnisse angepasst werden. Diese Entwicklung stellt große Herausforderungen an die Produktion und deren Prozesse. Nicht zuletzt erfordert es eine komplexe Verzahnung von technischer und wirtschaftlicher Unternehmensstruktur bis hin zu Logistik und der Interaktion mit dem einzelnen Individuum. Da eine exakte und gleichzeitig flexible Abstimmung der einzelnen Produktionsprozesse erforderlich ist, rücken Themen wie cloud-based Applikationen oder Scheduling, also Zeitablaufsteuerungen, in den Vordergrund. Für Produktionsprozesse bedeutet das, dass sie erheblich flexibler und modularer werden müssen. Die Lösung dafür findet sich in der Kombination von automatisierten wie digitalisierten Anlagen, welche einen schnellen Wechsel von Rezepturen und Prozessfolgen bewerkstelligen können. Darüber hinaus ist die Einhaltung des Datenschutzes für Patienten von fundamentaler Bedeutung und natürlich zu lösen. Denn um eine Personalized Medicine-Produktion tatsächlich durchführen zu können, sind ja die individuellen Gesundheitsdaten von Patienten als Grundlage für die persönlich abgestimmten Rezepturen notwendig.

Am Beispiel der pharmazeutischen Industrie zeigt sich, in welche Richtung die Digitalisierung die Prozessindustrie künftig führen wird. Das Thema Integrated Engineering bedingt konsistente Datenhaltung und Dokumentation und führt zu Durchgängigkeit von der Konstruktion bis zum Betrieb (Digital Twin). Der verstärkte Einsatz von elektronischen Workflows wird die heute noch durch Regularien vorgeschriebene Papierdokumentation verdrängen. Doch die Veränderungen werden noch tiefgreifender sein: Digitalisierung führt dazu, dass prozesstechnische Anlagen schneller und flexibler errichtet und dadurch auch einfacher auf neue Produkte umgerüstet werden können.

Gemeinsam mit Siemens entwickelt der bekannte Glashersteller Steklarna Hrastnik aus Slowenien aktuell eine detaillierte Roadmap für die digitale Transformation des Unternehmens – inklusive Zeitplan, Technik-Empfehlungen und Return-on-Investment-Daten.

Gemeinsam mit Siemens entwickelt der bekannte Glashersteller Steklarna Hrastnik aus Slowenien aktuell eine detaillierte Roadmap für die digitale Transformation des Unternehmens – inklusive Zeitplan, Technik-Empfehlungen und Return-on-Investment-Daten.

Digitaler Wandel in der Glasindustrie – über Business-Consulting zur Digitalisierungsstrategie

In einem gemeinsamen Digitalisierungs-Consulting-Projekt haben Steklarna Hrastnik und Siemens eine maßgeschneiderte Strategie für die digitale Transformation des Unternehmens in den kommenden fünf Jahren erarbeitet. Bereits in den vergangenen Jahren hat Steklarna Hrastnik mit Investitionen in Automatisierung und Digitalisierung den Grundstein für den digitalen Wandel gelegt. Die Transformation zur Smart-Factory soll das Unternehmen nun u. a. in die Lage versetzen, seine Nischenposition im Highend-Bereich zu verbessern. Das Management des Unternehmens ist überzeugt, dass es mit der Umsetzung der in der Roadmap angeführten Maßnahmen seine Produktionskapazitäten steigern, die Fertigungszeiten verkürzen, seine Flexibilität erhöhen und somit die Reaktionszeiten auf individuelle Kundenwünsche verbessern kann. „Mit der Umsetzung von Industrie 4.0 sind wir in der Lage auch die technisch komplexesten Flaschenformen herzustellen und in unserer Produktion einen noch höheren Grad an Präzision zu erzielen. So können wir Qualität, Produktivität und Effizienz weiter steigern, was eine deutliche Verkürzung der Zeitspanne vom Auftragseingang bis zur Umsetzung bedeutet. Eine Konsequenz daraus ist, dass wir unsere Marktanteile bei Spezialglasflaschen der höchsten Qualitätsklasse erweitern wollen“, betonte Peter Čas, CEO Steklarna Hrastnik.

Auch die Mitarbeiter von Steklarna Hrastnik sind bereits auf die bevorstehenden Veränderungen vorbereitet und verfügen über entsprechende Fertigkeiten und Kompetenzen, um einen erfolgreichen Übergang zur Smart-Factory zu gewährleisten. Mit der Einführung modernster Technologien zielt Steklarna Hrastnik auch auf einen niedrigeren Energieverbrauch ab, um so seine Ökobilanz weiter zu verbessern.

Wasser 4.0: Die von Siemens realisierte neue Leitzentrale der MA 31 steuert und überwacht das 3.000 Kilometer umfassende Wiener Wasserversorgungsnetz, sowie sämtliche Anlagen und Kraftwerke entlang der I und II Hochquellleitung.

Wasser 4.0: Die von Siemens realisierte neue Leitzentrale der MA 31 steuert und überwacht das 3.000 Kilometer umfassende Wiener Wasserversorgungsnetz, sowie sämtliche Anlagen und Kraftwerke entlang der I und II Hochquellleitung.

Digitaler Change in der Wasserwirtschaft

Per Integrated Engineering lassen sich aber auch Potenziale in der Wasserwirtschaft heben, die stark durch den Betrieb von Bestandsanlagen geprägt ist. Bernhard Kienlein sieht dazu über den Tellerrand der Optimierung dieser auf der klassischen Ebene der Instandhaltung durch Digitalisierung hinaus: „Nebst Optimierungen in der Instandhaltung der vielfach vorhandenen Brownfield-Anlagen, lässt sich in der Wasserwirtschaft auch gewaltiges Potenzial z. B. in deren Infrastrukturen zur Versorgungssicherheit über die Digitalisierung heben. Auch hierzu bietet Siemens nebst auf der technologischen Ebene mit seiner Software COMOS auch das Consulting an und arbeitet in Österreich auch in Kooperation mit dem Unternehmen EDS 4.0 GmbH aus Salzburg sehr intensiv zusammen. Ein sehr schönes Consulting- wie auch technologisches Digitalisierungsprojekt wickeln wir derzeit beispielsweise mit Wiener Wasser ab, deren Trinkwasserversorgung auf einer gut 150 Jahre alten Anlage basiert.“

Neue Leitzentrale bei Wiener Wasser

Die Magistratsabteilung 31 – Wiener Wasser versorgt mit über 103.000 Anschlussleitungen die Stadt Wien mit Trinkwasser, das über die I und II Hochquellenleitung in die City gelangt. Ende 2017 nahm – nach einer etwa zweijährigen Planungs- und Bauphase – der von Siemens realisierte neue Leitrechner in der Zentrale den Betrieb auf. Der Leitrechner steuert und überwacht das 3.000 km umfassende kommunale Wasserversorgungsnetz, sowie sämtliche Anlagen und Kraftwerke entlang der I und II Hochquellleitung. Im Zuge der Arbeiten wurden auch die zugehörige Netzwerk -und Fernwirktechnik erneuert.

Mit dem neuen Leitrechner hat die Stadt Wien einen großen Schritt in Richtung „Wasser 4.0“ gesetzt. Gemeinsam mit der EDS 4.0 GmbH wurde im Zuge des Projektes das Digitalisierungskonzept umgesetzt. Mit Hilfe des Life-Cycle-Engineering-Tools Comos wurden alle EMSR Komponenten bereits in die Planungs- und Engineering-Phase integriert und die Anlageninformationen in der zentralen Datenbank gespeichert. Sie stehen damit auch für weitere Anwendungen zur Verfügung. Das SCADA-System WinCC OA (Open Architecture) stellt im Verbund mit dem Telecontrol-System Sinaut ST-7 und den bewährten Simatic S7-300-Steuerungen Redundanz und Hochverfügbarkeit sicher. Das Fernwirksystem Sinaut ST-7 steuert sichere Verbindungen über unterschiedliche Kanäle. So können Datenleitungen zu den sogenannten Sub-Zentralen redundant und hochverfügbar ausgeführt werden. Im Zuge der Umsetzung des Projekts wurde eine umfassende Dokumentation samt einheitlicher Rückdokumentation der Bestandsanlagen auf Basis Comos durchgeführt. Diese dient nicht zuletzt der Konservierung von Expertenwissen. In Zukunft sind auf Basis dieser Datenbank Netzwerksimulationen und hydraulische Analysen für weiterführende Anwendungen realisierbar.

„Der heutige Stand der Technik macht die Versorgung wesentlich sicherer, als dies früher der Fall war. Und sie gestaltet Prozesse im Zuge der Verteilung des Trinkwassers für unsere Mitarbeiter deutlich klarer und transparenter. Die Prozesse und damit das Detailwissen beginnen mit der Digitalisierung zu leben“, zeigt sich DI Dr. Wolfgang Zerobin, Betriebsvorstand der MA 31 – Wiener Wasser sehr erfreut.

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