Geva IT & OT: IT trifft auf OT

Ein gewaltiges Hindernis auf dem Weg zu Industrie 4.0 und dem Internet der Dinge (IoT) ist nach wie vor die Trennung zwischen der IT-Welt und der Produktionstechnik beziehungsweise der "Operational Technology" (OT). Zusammen mit SAP will Mitsubishi Electric diese Lücke schließen.

Der digitale Zwilling ermöglicht umfangreiche Analysen und die Nutzung sämtlicher Anlagen- und Prozessdaten. (Quelle: Mitsubishi Electric Europe B.V., SAP, Getty Images)

Der digitale Zwilling ermöglicht umfangreiche Analysen und die Nutzung sämtlicher Anlagen- und Prozessdaten. (Quelle: Mitsubishi Electric Europe B.V., SAP, Getty Images)

Die Integration von IT und OT gilt als Schlüssel für eine erfolgreiche Umsetzung von Industrie 4.0. Während für die Informationstechnologie Schutz und Vertraulichkeit der Daten an erster Stelle stehen, ist die Verfügbarkeit das A und O in der Produktion. Mit der Anbindung bis dato geschlossener Fertigungssysteme an das Internet und der neuen Verantwortung der IT für die Verwaltung und Absicherung der Produktionsmittel müssen beide Seiten zueinanderfinden, um im Zeitalter des IoT produktiv und effizient zu arbeiten – eine Herausforderung, der sich Mitsubishi Electric und SAP gemeinsam stellen.

Wie weit die Abstimmung von Produktion auf der einen Seite und die MES/ERP-Welt auf der anderen Seite bereits fortgeschritten ist, veranschaulichte ein gemeinsamer Showcase auf der Hannover Messe 2017: Dabei handelte es sich um eine reale Roboterzelle mit einem digitalen Abbild (Digital Twin) des physischen Produkts in der "SAP Cloud Platform". Der digitale Zwilling ermöglichte dabei die umfängliche Analyse und Nutzung sämtlicher Anlagen- und Prozessdaten sowohl durch den Hersteller als auch den Betreiber – und zwar mittels benutzerdefinierter OEE-Dashboards sowie dem Einsatz von Augmented Reality für die vorausschauende Wartung.

Bevor das Projekt letztlich umgesetzt werden konnte, mussten sich SAP auf der IT-Seite und Mitsubishi Electric auf der OT-Seite erst einmal auf gemeinsame Begriffsdefinitionen verständigen, um die Anbindung der Automatisierungswelt mit ihren SPSen, Robotern, Motion-Controllern und CNC-Steuerungen an die Cloud von SAP zu realisieren. Thomas Lantermann, Senior Solution Consultant bei Mitsubishi Electric, nennt ein Beispiel: „Als die IT-Anwender in ‚ihrer‘ Echtzeit – also jede Sekunde – den Stromverbrauch der Achsen lesen wollten, mussten die OT-Leute schmunzeln, denn für sie heißt Echtzeit Millisekunden. Bei einer Abtastung in Sekunden könnte die Achse theoretisch immer im Stillstand sein. Die Lösung bestand letztlich darin, dass in der OT-Welt ein Mittelwert gebildet wurde.“ Eine wesentliche Voraussetzung für eine reibungslose Integration ist zudem eine zentralisierte Datenübergabe an die IoT-Services der Cloud-Plattform von SAP. Die Basis hierfür schafft die anlagenweite Transparenz, das heißt von einem Punkt im Netzwerk können alle Mitsubishi-Geräte, aber auch verschiedene andere Automatisierungsgeräte, angebunden werden. Somit kann von einer zentralen Stelle in der Produktion auf alle Daten zugegriffen werden und auch der Datenaustausch mit weiteren Komponenten wie RFID-Lesern, Sensoren oder anderen Steuerungssystemen ist einfach möglich.

Durch die Übertragung von vorab definierten Daten von seinen Automatisierungslösungen zur SAP Cloud Platform ist es Mitsubishi Electric möglich, die Grundlage für wertschöpfende IoT-basierte Dienste für Kunden und Partner in der Fertigungs- und Prozessindustrie zu schaffen. (Quelle: Mitsubishi Electric Europe B.V., SAP)

Durch die Übertragung von vorab definierten Daten von seinen Automatisierungslösungen zur SAP Cloud Platform ist es Mitsubishi Electric möglich, die Grundlage für wertschöpfende IoT-basierte Dienste für Kunden und Partner in der Fertigungs- und Prozessindustrie zu schaffen. (Quelle: Mitsubishi Electric Europe B.V., SAP)

Hohe Anlagensicherheit

Die Besonderheit und wesentliche Vereinfachung der gemeinsamen Lösung von Mitsubishi Electric und SAP besteht in der direkten Anbindung der Produktion ohne Nutzung weiterer Gateways. Das bedeutet: Mitsubishi Electric verwendet dabei eine proprietäre Technologie unter Umgehung Windows-basierter Systeme, was u. a. ein hohes Maß an Sicherheit (Cyber Security) für die Anlagen gewährleistet. Alternativ bzw. bei anderen Herstellern erfolgt die Anbindung mit einem Software-Gateway über OPC UA. Lantermann hierzu: „Die OPC-UA-Anbindung beinhaltet, genau wie die Webservice-basierte Anbindung direkt aus der Mitsubishi-Electric-Plattform, zahlreiche Zertifizier-, Verschlüsselungs- und Authentifizierungsmöglichkeiten. Jedoch sind weitere Gateways auch eine zusätzliche Fehlerquelle, insbesondere wenn sie Windows-basiert sind.“

Die SAP-Cloud-Plattform übernimmt schließlich die effiziente Speicherung sehr großer Datenmengen in einem "Big Data Lake". Dieser Speicher stellt die Daten dann allen Applikationen und Services in der Cloud-Umgebung zur Verfügung. Kurzfristige Daten, beispielsweise die Zeitreihen der vergangenen vier Wochen, werden dabei in einer In-Memory-Datenbank abgelegt, um einen schnellen Zugriff zu ermöglichen. Die historischen Daten hingegen werden in kostengünstigeren klassischen Big-Data-Speichern verwaltet. Da SAP dies als Service (PaaS) anbietet, muss der Anwender keine Big-Data-Architektur im eigenen Rechenzentrum aufbauen und betreiben.

Für die Anbindung an SAP wird auf der Programmierplattform iQ Works von Mitsubishi Electric eine Struktur für die Daten (Strukturierter Daten Typ (SDT) nach IEC 61131-3) definiert, die an die SAP-Plattform gesendet werden sollen.

Predictive Maintenance: Gesundheitszustand und Wartungsaufgaben von Anlagen auf einen Blick. Optimierung und Kosteneinsparung durch Dynamisierung von Wartungsintervallen und die Vermeidung von Stillständen. (Quelle: SAP)

Predictive Maintenance: Gesundheitszustand und Wartungsaufgaben von Anlagen auf einen Blick. Optimierung und Kosteneinsparung durch Dynamisierung von Wartungsintervallen und die Vermeidung von Stillständen. (Quelle: SAP)

IT-Anbindung der Produktion

Für den Showcase wurden 1000 Messwerte vorgegeben; die Größe der Datenstruktur ist jedoch frei wählbar. Anschließend sind nur noch die IP-Adresse der IoT-Services und die Login-Daten (Name, Passwort) an der Kommunikationsschnittstelle "C Application Server" zu parametrieren. Danach werden die Daten kontinuierlich ausgetauscht, typischerweise alle 500 ms. Grundsätzlich sind auch weitere Datenstrukturen mit unterschiedlichen Übertragungsinterwallen definierbar, wobei die ereignisgesteuerte Übertragung von einzelnen Daten parallel möglich ist.

In der Cloud werden diese Informationen auf die unterschiedlichen Applikationen verteilt. Die hier zur Verfügung stehenden Services umfassen u. a. Analysetools zur Auswertung von Fehlercodes, Machine Learning Services, Entwicklungsservices für die geräteübergreifende Entwicklung eigener Anwendungen sowie Integrationsservices für die lokalen ERP-Systeme. Im letzten Schritt werden die ausgewerteten Daten wieder in einer vordefinierten Datenstruktur an die Automatisierungswelt übertragen. Die Datenstrukturen zum Senden und Empfangen legten die IT- und OT-Teams dabei jeweils gemeinsam fest. Danach wurden die Datenstrukturen aus den verschiedenen Roboterwerten, wie z. B. der Position oder dem Energieverbrauch, aber auch die SAP-Ticketnummer im OT-Programmiertool editiert. Nun lassen sich die Werte direkt mit den Werkzeugen der IoT-Services prüfen und visualisieren sowie an die unmittelbar nutzbaren Anwendungen verteilen.

Der "Digital Twin" ist schließlich der Punkt, an dem alle Informationen über ein Asset zusammenlaufen – von den CAD-Daten bis hin zu den Live-Cycle-Informationen. Hier lassen sich auch Parameter, Programme und Bibliotheken über die Automatisierungsgeräte ablegen. Auf diese Weise ist ein automatisierter Datenaustausch von der Konstruktion bis zur Simulation realisierbar. „Eigentlich ist der digitale Zwilling ein alter Hut“, so Adrian Langlouis, Solution Architect, Discrete Industries bei SAP: „Hersteller von intelligenten Geräten verwalten für den Service zum Teil schon längst das digitale Abbild in ihrem Servicemodul und Anlagenbetreiber nutzen ihr Instandhaltungsmodul zur Definition der Wartungsintervalle. Bislang hatten Hersteller und Betreiber allerdings eine jeweils einseitige Sicht auf die Vorgänge in den eigenen Modulen.“ Ein moderner digitaler Zwilling hingegen entsteht Adrian Langlouis zufolge dann, wenn Informationen zum physischen Produkt auf einer Cloud-Plattform, wie z. B. dem SAP Asset Intelligence Network, zwischen allen Beteiligten austauschbar sind. Hersteller, Servicepartner und Betreiber von Anlagen erhalten auf diese Weise jeweils eine individualisierte Sicht auf die Anlage.

Für den Hersteller bietet sich die Nutzung des digitalen Zwillings im Asset-Netzwerk als Serviceportal an, wo er u. a. Dokumentationen, 3D-Modelle oder Wartungsanweisungen der Anlage bereitstellen und Self-Service-Funktionen für den Kunden einrichten kann, beispielsweise die direkte Bestellung von Ersatzteilen durch Auswahl am 3D-Modell. Die Anlagenbetreiber wiederum erhalten eine einheitliche Sicht auf die digitale Maschinenakte und können bei Bedarf direkt im Kundenportal ein Serviceticket anlegen und Ersatzteile beim Originalhersteller oder beispielsweise über einen angebundenen 3D-Druck-Marktplatz von SAP bestellen. Durch letzteres erschließt sich auch herstellerseitig Optimierungspotenzial – etwa durch Verzicht auf die Bevorratung und das Management druckfähiger Ersatzteile, die nur selten bestellt werden.

Durch die FA IT Open Platform  können alle Daten aus der Produktion gelesen und geschrieben werden. Auf dem EDGE Level werden sie dann vorverarbeitet und danach an diverse Applikationen weitergeleitet, z. B. Vorbeugende Wartung, Analytics. Das Fazit sind transparente Daten von Sensor bis zur Cloud. (Quelle: Mitsubishi Electric Europe B.V.)

Durch die FA IT Open Platform können alle Daten aus der Produktion gelesen und geschrieben werden. Auf dem EDGE Level werden sie dann vorverarbeitet und danach an diverse Applikationen weitergeleitet, z. B. Vorbeugende Wartung, Analytics. Das Fazit sind transparente Daten von Sensor bis zur Cloud. (Quelle: Mitsubishi Electric Europe B.V.)

Optimierung der Wartung mit Predictive Maintenance

Eine im Kontext von Industrie 4.0 zentrale Aufgabenstellung ist die Analyse historischer Maschinendaten aus der Steuerung und Sensorik, um daraus Abweichungen und Fehlermuster zu identifizieren und die dabei gewonnenen Erkenntnisse letztlich zur Überwachung von Anlagen bzw. zur Optimierung von Wartungszyklen zu nutzen. Die Lösung "SAP Predictive Maintenance and Service" liefert hierfür zum einen die notwendigen Datenmodelle und Algorithmen für das Trainieren der Modelle, zum anderen schafft sie die Grundlage für die Überwachung der Anlagen durch regelmäßig berechnete und visualisierte "Health Scores", aus denen sich der Gesundheitszustand einer Anlage ableiten lässt. Darüber hinaus wird die Integration in die Instandhaltungs- und Service-Lösungen von SAP sichergestellt.

Hersteller mit einer Vielzahl baugleicher Maschinen im Einsatz bei Kunden können durch eine statistisch relevante Anzahl von ähnlichen Geräten eine besonders solide Datenbasis für die Health Scores liefern und entweder selber Monitoring und Predictive Maintenance als Service anbieten, oder aber dem Betreiber die Instandhaltung erleichtern, indem sie ihm diese Informationen über das Serviceportal extern zur Verfügung stellen. In jedem Fall lassen sich auf diese Weise Wartungszyklen optimieren und zum Teil erhebliche Kosten einsparen. Was die Datenbasis angeht, sind der Wartungsfall auf Betreiberseite und der Servicefall auf der Herstellerseite nichts weiter als zwei Seiten derselben Medaille.

Anhand vom eingeblendeten 3D-Modell eines Roboters kann einem Servicetechniker angezeigt werden, welches Teil ausgetauscht werden sollte und wie er dabei vorgehen muss.
[Quelle: Mitsubishi Electric Europe B.V., SAP, Getty Images]

Anhand vom eingeblendeten 3D-Modell eines Roboters kann einem Servicetechniker angezeigt werden, welches Teil ausgetauscht werden sollte und wie er dabei vorgehen muss. [Quelle: Mitsubishi Electric Europe B.V., SAP, Getty Images]

Augmented Reality in der Wartung

Angesichts des Fachkräftemangels in der Industrie trifft es Service-Organisationen oder Instandhaltungsabteilungen schwer, wenn Mitarbeiter mit Erfahrung in Pension gehen oder das Unternehmen verlassen. Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet die Nutzung von Augmented Reality (AR) für den Wartungseinsatz. Wartungsanweisungen Schritt für Schritt über ein 3D-Modell mit einer Datenbrille zu visualisieren, macht es möglich, komplexere Wartungsaufgaben auch unerfahrenen Mitarbeitern zu übertragen. Wird dennoch Unterstützung benötigt, kann ein erfahrener Techniker per Video zugeschaltet werden und den Kollegen vor Ort bei der Arbeit unterstützen.

Auch SAP und Mitsubishi Electric haben sich in ihrem gemeinsamen Showcase mit dem Thema befasst bzw. eine entsprechende Lösung umgesetzt: Der Techniker kann dabei ein mobiles Gerät – etwa ein Industrie-Tablet – direkt auf den Roboter richten und bekommt das 3D-Modell vor dem physischen Produkt eingeblendet. Im 3D-Modell wird ihm angezeigt, welches Teil auszutauschen ist und wie er dabei vorgehen muss. Ein denkbares Szenario in diesem Kontext wäre, dass der Roboter sich selbstständig meldet, wenn er eine Wartung benötigt. In SAP werden daraufhin Maßnahmen eingeleitet, um den Service mit einem Techniker möglichst effizient durchzuführen.

Equipment as a Service (EaaS)

Durch die vollständige Anbindung an die Gerätedaten über die Cloud und die Nutzung der sich neu ergebenden Möglichkeiten in punkto Fernüberwachung können sich Anlagenbauer künftig als Full-Service-Anbieter positionieren und letztlich die komplette Verantwortung für die Instandhaltung und Verfügbarkeit der Anlagen übernehmen. Während Fertigungsunternehmen auf diese Weise unproduktive Tätigkeiten auslagern und sich so auf Aktivitäten zur Wertschöpfung konzentrieren können, profitiert der Hersteller durch Kundenbindung sowie bessere Kontinuität und Nachhaltigkeit seiner Umsatzströme.

Konsequent weitergedacht, lassen sich auf der Grundlage der universellen Datentransparenz neue Geschäftsmodelle entwickeln – sprich weg vom bisher üblichen Gerätevertrieb. „Ein ganz klares Geschäftsmodell sehe ich darin, dass die Betreiber die Anlage vielleicht gar nicht mehr kaufen, weil ihnen die Investition zu hoch ist. Stattdessen nutzen sie die Dienstleistung, die nach einem Pay-per-Use-Modell abgerechnet wird,“ beschreibt Thomas Lantermann von Mitsubishi Electric seine Vision. Mit anderen Worten: Der Kunde erhält ein Rundum-sorglos-Paket mit einer im Rahmen von Service Level Agreements (SLAs) zugesicherten Verfügbarkeit. Die Maschine oder Anlage bleibt dabei im Besitz und der Verantwortung des Herstellers, der seinem Kunden die Performance respektive den Output auf Basis einer Metrik berechnet. Bereits existierende Beispiele aus der Industrie sind die Anzahl bedruckter Seiten bei Druckmaschinen, Betriebsstunden bei Baugeräten und die Menge an komprimierter Luft bei Kompressoren.

Erstveröffentlichung in der Fachzeitschrift Computer & Automation 12-2017 Autor: Günter Herkommer

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